Thema: Alle Jahre wieder

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el-supremo Erstellt am Di 29.11.2005
Verhaltenstipps für die Weihnachtsfeier
Die alljährlich stattfindenden betriebsinternen Weihnachtsfeiern sind eine prima Gelegenheit, sich bei Kollegen und Chefs gleichermaßen unbeliebt zu machen. Lassen Sie sich diese Chance nicht entgehen, nachträglich Opfer der Kündigungswelle zu werden.
Erster Tipp: zu spät kommen. Diese scheinheiligen Feiern beginnen ja meist so um 19 oder 20 Uhr, damit alle noch kurz nach Hause dieseln, sich umziehen und frisches Cool Water in die verschwitzte Achsel des Bösen schmieren können. Wenn Sie klug sind, verlassen Sie den Arbeitsplatz etwas früher, um sich "besonders schick" zu machen - nur bei so einem Anlass kassieren Sie dafür keine Abmahnung. Sie kaufen dann in aller Ruhe den Elektronik-Ramsch ein, den ihr kleiner Pisa-Versager unlängst per McDonalds-Wunschzettel eingefordert hat. Anschließend etwas Zeitung lesen auf dem Klo. Trotz schlechter Nachrichten über weitere Massenentlassungen verschafft Ihnen das Erleichterung und die ist wichtig, um von der typisch deutschen Schwermütigkeit loszukommen. Sie werden hinterher wesentlich dynamischer gehen!
Falls Sie sich doch umziehen: Bloß nicht zu formell, immerhin ist das eine Weihnachtsfeier. Beziehungsweise eine "Betriebsversammlung mit Essen", weil es angeblich nix zu feiern gibt. Jedenfalls keine Kommunion, Konfirmation und auch kein Begräbnis. Also ziehen Sie ruhig das quietschebunte Hawaii-Hemd an. Das macht nicht nur Ihnen gute Laune. Und sparen Sie nicht mit Gel, eine säuberlich quer belegte Platte ist besser als gar kein Haar.
Wenn Sie dann zu spät zur Weihnachtsfeier kommen, macht das nichts. Denn Sie sollten wie bereits erwähnt nicht zu den ewigen Nörglern gehören und die Dinge statt dessen positiv sehen. Auch wurden Sie deutlich bemerkt, nicht zuletzt dank des Hawaii-Hemds. Merke: Negativ auffallen ist besser als gar nicht auffallen.
Sie haben ohnehin nichts versäumt: Die zähen Vorträge von GFs und Vorständen gleichen sich nämlich wie ein Vaterschaftstest dem anderen. Stets ist da die Rede vom dunklen Tal der Tränen, das durchschritten werden müsse (Psalm 84), oder vom Licht am Ende des Tunnels (Reflektorschild mit Aufschrift ‚Sackgasse'), und dass alle zusammenhalten müssten und verzichten, und von der rettenden Hand am Ufer, die durch das neue Budget sichtbar wird. Mit "alle" sind natürlich Limbos wie Sie gemeint, die die eigentliche Arbeit machen; Vorstandslimousinen werden nicht verkauft.
Gebildete GFs und Vorstände klauen bei Churchill und bringen die "Blut, Schweiß und Tränen"-Rede. Nachdem die zündenden Plädoyers für mehr Engagement, Präzision und ganzheitliches Denken abgefeuert wurden (wichtig ist, bei Buzzwords wie "Synergieeffekte" oder "offene Tür" anerkennend die Stirn zu runzeln), dürfen Limbos wie Sie auch Fragen stellen. Bei diesem Spiel geht es darum, Ihnen das Gefühl zu geben, wertvolle humane Ressource zu sein. Das ist eine Maßname zur Ertragssteigerung, ganz ähnlich wie die Mozartbeschallung in Schweinemastbetrieben. Es gibt Ihnen jedoch die Möglichkeit, mit Fragen zu punkten:
1. Sie täuschen Intelligenz vor. Indem Sie die Klappe halten. Denn natürlich ist eigentlich alles gesagt worden, was zu sagen war, jede weitere Frage kann also nur unbequem oder blöd sein. Blöde Fragen sind blöde, das verbietet sich von selbst. Unbequeme Fragen werden nicht beantwortet, sie zu stellen wäre daher ebenfalls blöde. Vorteil: Wenig Aufwand, null Risiko. Nachteil: Sie gehen schweigend in der tumben, dumpfen Masse unter.

2. Sie täuschen Blödheit vor. Heißt: Sie stellen entweder unsäglich dumme oder unbequeme Fragen und haken bei beidem nach, bis selbst die Aufrührer aus dem Betriebsrat (unkündbar, daher gerne Großmäuler) augenrollend wegschauen. Vorteil: Sie fallen auf. Nachteil: Wahrscheinlich negativ, nämlich als Querulant oder Blödmann. Daher gibt es noch eine
3. Möglichkeit: Sie geben positives Feedback. Sie finden all das Gesagte lautstark extrem gut und wünschen allen was Nettes, plus Weltfrieden. Das bringt Pluspunkte, sofern Sie nicht länger als drei Minuten brauchen und nach 80 'Äh's krebsrot stotternd enden.
Dann gibt es endlich die Vorspeise (es ist jetzt kurz nach 22:00), in der Regel eine dünne Suppe. Die wird schon aufgetischt, als auch die runzlige Oberhauptgeschäftsleitung sich noch einmal für alles mögliche Unkonkrete bedankt (haben ihren Job gut gemacht ... nicht zuletzt dank ... blabla) und damit erstmalig etwas Positives beizutragen weiß, sieht man mal von der warmen Mahlzeit ab, die es aber auch bei der Heilsarmee gäbe.
Bei der Suppe gilt: Man muss Eingebrocktes auslöffeln, solange die Brühe heiß ist. Warten Sie also nicht, bis andere essen oder die Suppe kalt wird, löffeln Sie los. Um nicht zu sabbern lohnt es sich, erst Leberknödel, Grießnockerl, Graupen oder andere Suppenschwämme rauszupicken und die Restsuppe dann mit dem Teller an den Lippen zu führen und auf Ex auszuschlürfen. Indem Sie Erster werden und den Teller ablecken, zeigen Sie, dass Sie in Sachen Engagement und Präzision mit gutem Beispiel voranschreiten, noch ehe das neue Jahr begonnen hat.
Bis Ente/ Lamm/ Gans/ Hirsch/ Hase kommt, vergeht nun einige Zeit. Die lässt sich nur mit Drinks überbrücken, denn die ranzigen Walnüsse auf dem Tisch sind vom letzten Jahr. Auch vom Brot würde ich an Ihrer Stelle die Finger lassen. Es sei denn, Sie wollten Ihre Amalgam-Inlays ohnehin austauschen, um das krankenkassensubventionierte Zeugs loszuwerden. Ein zweiter oder dritter Drink kann derweil nicht schaden. Bier ist flüssige Nahrung und im Wein liegt die Wahrheit. Bier auf Wein, das muss sein. Wein auf Bier, das rat' ich Dir.
Denken Sie daran, dass Sie fürderhin positiv denken wollen, und das geht erstens mit einer gewissen Schwebung im Kopf besser und zweitens sehen Sie die Dinge nüchtern einfach zu nüchtern. Also ruhig noch mal nachbestellen, dazu "Hey!" rufen, pfeifen oder mit den Fingern schnippen. Gelegentliches Rülpsen zeigt, dass Sie sich wohlfühlen, das sieht der Chef gern. Nach einigen Drinks kriegen Sie dann den erhofften Effekt, nämlich das süffisante Dauergrinsen eines positiv denkenden Mitarbeiters. Zur Not holen Sie den Joint raus, um zu entspannen. Müden hilft dagegen eine Line auf dem Klodeckel. Das gibt Drive, und den brauchen Sie auf der Überholspur!
Zeit für die Hauptspeise. Zeit, sich über all jene Kollegen hämisch zu verbreiten, die ein vegetarisches Gericht bestellt haben. Denken Sie daran: Manager-Typen sind Haie, Wölfe, Löwen, ergo Fleischfresser - nur Antilopen, Zebras und andere Opfer-Tiere essen Gemüse. Benutzen Sie ab und zu das Handy und diktieren Sie ihrem Anrufbeantworter zuhause Aktien-Kauftipps. Weisen Sie darauf hin, dass geschüttelte Martinis der Untergang des Abendlandes sind.
Das alles ist wichtiger, als manche meinen mögen. Denn natürlich sind Weihnachtsfeiern und andere Betriebsfeste in Wirklichkeit verkappte Assessment-Center. Hier prüft das Management genau, wer das Zeug zum Alpha-Tier hat und wer zu den Losern gehört. Nutzen Sie also jede Gelegenheit, sich in die Nähe des Mgt. zu begeben. Sich schon bei der Ankunft direkt den GF-Tisch auszugucken und dort devot anzudocken, das bringt Punkte. Mit GFs saufen ebenfalls.
Vergessen Sie nicht, über unfähige Kollegen abzulästern und Ihre eigenen Verdienste herauszustellen. Bestätigen Sie noch einmal, wie klug die soeben von der Geschäftsleitung aufgewärmt vorgetragenen Ideen sind. Vermeiden Sie dabei Satzfallen wie "aber" und "jedoch", denn Ihr neues Power-Wording kennt keine negativen Begriffe. Zitieren Sie Hans-Olaf Schenkel mit Bewunderung. Sagen Sie was Böses über Sozis und Gewerkschaftler. Aber übertreiben Sie es nicht, denn nein, in diesem Land sollte man niemanden vergasen.
Ganz wichtig: Sehen Sie zu, dass Sie von der Party wegkommen, BEVOR Sie sich quer über den GF-Tisch übergeben.


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