Offline
|
Ullapool-Biker1961
Erstellt am Sa 01.12.2001
Die Geschicht paßt zwar nicht ganz um Thema "Bike", aber zur kommenden Zeit, die auch an Biker nicht vorbeigeht. ;-)
Deshalb fand ich sie gut.((c:
Fröhliche Alleinnachten!!!
Es passierte an einem Heiligabend vor drei Jahren, so gegen halb elf. Zu Hause weihnachtete es vor sich hin, mein Vater bekam den Korken nicht aus der Rotweinflasche und meine Schwester probierte die Dessous, die ihr Freund ihr geschenkt hatte. Mutter fand das geschmacklos. Ich ging vor die Tür, die Luft war kühl und klar. Ich ging spazieren. Dabei traf ich den Weihnachtsmann. Ganz im Ernst.
Er saß auf einer Parkbank und hatte die Kapuze zurückgeschoben. Die wenigen weißen Haare waren schweißverklebt. Der Weihnachtsmann riss sich gerade eine Dose Bier auf, als ich mich zu ihm setzte.
„Na, erschöpft?“ fragte ich.
„Ja,“ sagte er mit tiefer Stimme, „aber glücklich. Denn jetzt ist mein Weihnachten. Ich bin endlich allein. Ich bin nur deshalb Weihnachtsmann geworden, damit ich heute garantiert meine Ruhe habe. Herrlich.“
Er schob mir eine Dose Bier zu. Wir tranken und schauten auf die vielen erleuchteten Fenster. Überall sahen wir Menschen. Alle hatten sehr viel zu tun. Sich freuen, sich bedanken, sich unterhalten.
„Das Leben ist schon hart,“ sagte der Weihnachtsmann, „aber an Weihnachten ist es härter.“
Er hatte Recht. Ich trank das Bier aus und beschloss, mir in Zukunft Weihnachten zu schenken und alleine zu bleiben. ALLEINNACHTEN. Heute kann ich sagen, es sind die besten Tage des Jahres.
363 Tage im Jahr wird man nicht in Ruhe gelassen. Jeden Tag will irgend jemand was. Rechnungen bezahlt haben, angerufen werden, geliebt werden. 363 Tage im Jahr ist man für andere da. Die Mitwelt verlangt nach einem, und man verlangt nach der Mitwelt. Nur am 24. und am 25. Dezember, da erstirbt die Mitwelt plötzlich. – Sie weihnachtet. Alle Menschen, die man kennt, kehren sich nach Innen und zwingen sich zu einer eigentümlichen Geselligkeit. Dann müssen sie die verhassten Schwiegereltern besuchen, müssen sich mit ihren langweiligen Onkeln und Tanten amüsieren, müssen ihre Frauen lieben, müssen, müssen.
Man kann die Schwiegereltern auch am 28. August besuchen und sich den Tannenbaum am 7. Februar ins Zimmer stellen. Man kann, aber man muss nicht. Weihnachten muss man. Mussnachten.
Ein gelungenes Alleinnachten kann in aller Ruhe vorbereitet werden. Das fängt mit dem Einkaufen an. Alleinnachten ist der Tag der Single-Produkte, nie waren sie so wertvoll wie heute. Man merkt es im Supermarkt. Vor den Regalen der Familienpackungen schubsen sich panische Weihnachter. Sie sind elende Zweifler und Zögerer.
„Reicht das?“ und „Wenn Onkel Herbert nun keine Cervelatwurst mag?“ und so weiter.
Sie bereiten sich auf den GAF, den Größten Anzunehmenden Familienbesuch, vor. Anschließend verstopfen sie die Kassen, weil sie alles mögliche vergessen haben. Der Alleinnachter ist dagegen souverän. Gelöst greift er sich die „Ein-Teller“-Suppen, die Dosengetränke, die Champagner-Piccolos, die kleine Dose Kaviar und so weiter. Listig schleicht er sich an der Kassenschlange vorbei nach vorne.
„Hab’ ja nur die paar Sachen,“ und schadenfroh lässt er die anderen mit ihren geplatzten Tüten und zentnerschweren Geschenkbergen hinter sich. Niemand spricht ihn auf dem Weg nach Hause an. Nicht einmal die besten Bekannten. In allen Köpfen rieselt nämlich schon der Schnee.
Am 24. Dezember klingelt dann vormittags zum letzten Mal das Telefon. Irgendwelche Freunde wünschen ein frohes Fest. Sie klingen, als verabschiedeten sie sich vor einer zweitägigen Tunnelfahrt oder einer Gletscherwanderung. Und sehnsüchtiger Neid erfüllt sie, wenn sie hören, dass der Alleinnachter alleine bleibt.
„Puuuh, du hast es aber gut.“
Gegen Mittag schweigt das Telefon. Niemand hat jetzt noch einen Grund anzurufen. Es beginnen die schönsten Stunden des Jahres. Im Windschatten des familiären Großereignisses kann der Alleinfeiernde tun und machen, was er will. Niemand wird ihn beachten, niemand wird sich an ihm stören. Man schaut aus dem Fenster und sieht die Kleinfamilien Kinderwagen vor sich her schieben und die Eltern hinter sich herziehend. Holy night, lonely night. Bedächtig nimmt der Alleinnachter den Kaviar zu sich, trinkt ein wenig Champagner und blättert in all den Zeitschriften mit Weihnachtsgeschichten und Geschenkejournalen. Oder er schaut Fernsehen. All die herrlichen Weihnachtsfilme. An keinem Tag im Jahr gibt es so viel Gefühl im Fernsehen. Ungestört und hemmungslos saugt der Feiernde es ein. Oder er schiebt CD’s in den Player oder legt die alten Platten auf . Weihnachtsplatten. „White Christmas“ gehört immer noch zu den besten Lieder, die geschrieben wurden.
Spät am Abend geht der Alleinnachter aus. An Weihnachten ist jede Kneipe weltklasse. Überall sitzen Menschen, die genauso denken und sich garantiert nicht kennen. Es ist der Abend, an dem Freundschaften für’s Leben entstehen.
Irgendwann klingelt wieder das Telefon. Dann ist Weihnachten zu Ende.
„Dann geht der Scheiß von vorne los. Vorbestellungen für’s nächste Jahr und Reklamationen,“ sagte der Weihnachtsmann und ging.
Thema melden
|