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Gelöschter Benutzer
Erstellt am Di 21.12.2004
Entweder das Motorrad bleibt. Oder Du.
Mein erstes Mal
von Joachim Staat, 46, Redakteur bei AutoBild
Sie hieß Bergsteiger. Zündapp Bergsteiger, wobei der alpine Beiname daher rührte, daß sie zwei Gänge besaß, mit denen das Mofa Steigungen leichter nahm als die DKW mit Fliehkraftkupplung, die später meine erste eigene "Maschine" werden sollte.
Diese Bergsteiger besaß ein Klassenkamerad, der entscheidende Monate früher 15 Jahre alt geworden war und schon mit der Zündapp herumkurven konnte, während wir armen Fuzzis noch Fahrrad trampeln mußten. Nie waren ein Altersunterschied und die Bedeutung des amerikanischen Cruising, das angeberische Herumgondeln, schmerzhafter als mit vierzehneinhalb.
Den Schmerz linderte der Bergsteiger-Besitzer, indem er nach und nach uns Jüngere fahren ließ. Natürlich erst nach wochenlangem Bestechen und Zureden. Besitz war schließlich Macht. Eines Nachmittags kam der heilige Moment und ich war dran, gespannt umringt von den anderen, die schon früher drauf gedurft hatten und nun warteten, welchen Bockmist ich bauen würde. Ich war aufgeregt wie nie zuvor.
Geduldig ließ ich mir alles erklären, was ich längst wußte. Gas rechts, Kupplung links, jajaja. Was ich nicht wußte war, daß die dynamische Komponente eines pötternden Zweitakters auch fest eingeprägtes Wissen durcheinander schüttelt. Anders gesagt: Als ich den ersten Meter fuhr, hatte ich alles vergessen. Die Kupplung der alten Möhre schnappte zu, das Mofa (mit sagenhaften 1,5 PS) riß mich nach vorne und ins Verderben. Immerhin habe ich nicht geschrieen, das taten schon die anderen. "Brems!". "Kupplung!". "Gas weg". Es war alles zu viel. Und zu spät.
Die Bergsteiger knallte keine fünfzehn Meter weiter vor eine niedrige Mauer und kassierte nonchalant ihre xte Schramme. Blöd nur, daß ich nicht mehr fahren durfte, weil mein Beulen-Kontingent gleich beim ersten Versuch ausgeschöpft war. Heute weiß ich, daß ein Automatik-Mofa alles viel einfacher gemacht hätte, damals aber litt ich wochenlang unter Selbstzweifeln ("Ich bin zu blöd") und der Häme unserer wachsenden Clique, zu der ich unbedingt dazu gehören wollte. Die Bergsteiger stand wie eine Mauer vor meinem Traum.
Drei Monate später kaufte ich die DKW, mit Automatik und letzten Minderwertigkeits-Komplexen. Egal. Ich war mobil. Frei. Erwachsen und stolzgeschwellt. Mit allerlei Tuning lief das Ding 34 km/h, die ich selbst bei Wind und Regen lächelnd ertrug, denn jeder Kilometer brachte Erfahrung für den großen Sprung: 16. Geburtstag! Führerschein Klasse 4, Kleinkraftrad, 6,25 PS, echte 80 Sachen und das welt-bewegendste Erlebnis nach dem ersten Kuß: Überholen. Endlich den stinkenden Auto-Auspuffen entfliehen. Kein männlicher Initiations-Ritus kann erhebender sein.
Seitdem ist die Flucht zur ewigen Sucht geworden. Es folgte selbstverständlich der Einser. Wegen meines ersten echten Motorrads, das ich heimlich gekauft hatte, flog ich mit 19 zu Hause raus. Gut so. Wurde auch Zeit. Motorrad fahren macht erwachsen.
Artikel erschienen am Sa, 18. Dezember 2004
Quelle: Die Welt
Ach, war die Jugend doch schön....
;o) Uwe
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