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Gelöschter Benutzer
Erstellt am Mo 04.10.2004
Die allerbesten Motorräder haben zwei Zylinder. Alle anderen sind bloß Gurken, Schrott und zweite Wahl
von Joachim Staat
Ich habe nur zwei Beine, zwei Hände für Gas, Kupplung und Bremse, zwei Hirnhälften und manchmal, ja manchmal fühle ich auch zwei Seelen. Wie viele Zylinder hat also am besten ein Motorrrad? Ich meine, zwei reichen.
Mein erstes großes, echtes Motorrad, oder das erste große, das ich fahren durfte, war eine Honda CB 750. Der berühmte Vierzylinder, dessen Verkaufsprospekt (Preis: 6570 Mark) lange über meinem Bett hing. Mein Cousin Klaus besaß Jahre später diesen ersten, legendären Höllenofen. Klaus ließ mich ein paar Kilometer fahren. Ich war 18 Jahre alt. All mein passives Wissen, wie gefährlich Tempo 80 in unserer engen Ruhrgebiets-Stadt sein konnte, war mit einem Dreh am Gasgriff weggeblasen. Die Honda lief wie angestochen. 100, 110, hoho und ich flog durch die engen Häusergassen. Der Spaß am Motorradfahren hätte ein frühes Ende nehmen können.
Dennoch bin ich ein frommer Zeuge der wahren, reinen Urlehre vom Zweizylinder. Das Schlimme an meiner heiligen Twin-Religion ist: Ich bin ein Konvertierter, und diese Wechselbälger gelten zu Recht als die unerschütterlichsten Eiferer. Jahrelang habe ich Vierzylinder gefahren, die wilden wie die sanften, und heute weiß ich: Der Vierzylinder kitzelt den Teufel aus mir heraus.
Ich gebe ein bisschen Gas - dann passiert auch nur ein bisschen. Die vier kleinen Kolben rucken an, sie singen: "Hier steckt Leheben driiin", und sie tun es so verführerisch leise. "Dreh mehr", singen sie. Die rechte Hand dreht, und es passiert mehr, bis das Summen des Vierzylinders zum Grolllen anschwillt, zum Röcheln, Stöhnen, Schreien, Jagen, zum Pulsrasen. So ein Motor treibt mich in den roten Bereich. Bin ich ein Opa, wenn ich diesen Himalaya der Herzfrequenz aus Gründen der reinen Selbsterhaltung mittlerweile gerne vermeide? Und vier Zylinder mit Halbgas langweilen mich.
Nein, ein Motorrad muss leben, muss beben, toben und tanzen wie ein Irrwisch, und zwar vom ersten Meter an, nicht erst dort, wo ich schon um mein armseliges Leben fürchte. Es muss mich packen - wie ein Zweizylinder.
Die Offenbarung beginnt schon beim Berühren des Starterknopfes. Der Twin erwacht (meinem Wesen nicht ganz unähnlich) mit unwilligem Knurren und Rumpeln, beim ersten Gasdreh grollt der Ofen mit der tiefen Stimme eines schlummernden Bären. Nur dass das Untier mit viel mehr Schmackes von der Kupplung geht als der Vierzylinder.
Das Erlebnis beginnt schon ganz unten auf dem Drehzahlmesser, das Zauberwort lautet Drehmoment. Am Ortsende-Schild, ohne hektisch herunter zu schalten, einfach nur den Hahn aufmachen und genussvoll zuhören, wie der Bär den Asphalt weg schlabbert - das ist MEIN Motorradgenuss. Ich habe Zeit, das Gras zu riechen, die Bäume zu sehen und in mich hinein zu blicken. Der Twin massiert die Seele statt sie zu kitzeln.
Außerdem ist ein Zweizylinder individueller. Es gibt viel mehr Bauformen, ergo mehr Möglichkeiten, seinen persönlichen Favoriten zu suchen. Die Evolution bescherte uns V-oder Reihenmotor, längs oder quer eingebaut, jeder mit seiner eigenen Stimme, dem eigenen Stil. Das ist es doch, die ewige Suche nach dem Motorrad, das am besten zu mir passt. Ich kenne es noch nicht endgültig, aber es hat auf jeden Fall zwei Zylinder.
Ich will nicht verschweigen, dass besonders raubauzigen Twins mit ihren Vibrationen ganze Motorräder zerschütteln oder Hände nach langen Tagesstrecken leblos machen. Egal, erst Opfer vertiefen den Glauben, der da lautet: Zwei reichen.
Ich habe nur zwei Beine, zwei Hände für Gas und Kupplung, zwei Hirnhälften und manchmal, ja manchmal fühle ich auch zwei Seelen. Wie viele Zylinder hat also am besten ein Motorrrad? Zwei reichen.
Artikel erschienen am Sa, 21. August 2004
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Hab ich zugeschickt bekommen und irgendwie gefiel mir das. *fg*
;o) Uwe
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