Endurado

16. September 2010 Der Norden Thailands entpuppt sich nicht nur als grandioses Enduro-Revier. Fernab von Phuket und Badeurlaub macht insbesondere die natürliche Freundlichkeit seiner Bewohner den fernen Trip so reizvoll.

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Freundlich lächelt uns die alte Frau hinter dem groben Zaun im Bergdorf zu, dabei entblößt sie eine prächtige Zahnlücke. Wir halten auf dem staubigen, unbefestigten Pfad, um ein kleines Schwätzchen zu halten. Doch alle Verständigungsversuche schlagen fehl – die Alte spricht nur ihren siamesischen Dialekt und bei uns ist mit Schulenglisch Schluss. Hier oben im abgelegenen Bergland Nord-Thailands ist man eben nicht auf sonnenhungrige Touristen eingestellt wie im erstklassig erschlossenen Süden; statt blauer Lagunen und Firstclass-Residenzen gibt’s nur Monsunwälder und Bambushütten auf Stelzen. Ein Trupp verwegener Enduristen wie wir rauscht da nur alle paar Jubeljahre mal ins Dorf.

Vor drei Tagen sind wir in Chiang Mai aufgebrochen, der drittgrößten Stadt Thailands im Norden des Königreichs. Aus dem verschlafenen Handelsnest hat sich in wenigen Jahren ein veritables Touristen- und Trekking-Zentrum entwickelt mit allem, was dazu gehört: von Unterkünften jeglicher Couleur über eine bunte Bar- und Restaurantszene bis zu einem sehenswerten Nachtmarkt. Außerdem gibt es hier die kleinen Enduros, auf denen wir die Runde machen.

Am bemerkenswertesten war jedoch der Klima-Hammer, der uns beim Verlassen des klimatisierten Flughafens erwischte: Aus dem bitterkalten europäischen Februar in gerade mal 16 Stunden direkt hinein in die feucht-warmen Tropen – bei einem Temperaturunterschied von gut 35 Grad bleibt uns Mitteleuropäern erst einmal die Luft weg.
Zum Akklimatisieren blieb keine Zeit, gleich am nächsten Morgen verließ der Treck aus Motorrädern und Begleit-Jeep die geschäftige Stadt in Richtung Westen. Dort liegt der mit saftigem Dschungelgrün überzogene Doi Inthanon, mit 2565 Metern der höchste Gipfel Thailands. Auf unbefestigten Wegen streunen wir durch den gleichnamigen Nationalpark und kommen zum gut ausgeschilderten Mae Klang-Wasserfall, der sich leider als wenig eindrucksvoll entpuppt: Statt tosender Wassermassen sprudeln nur kleine Rinnsale über die gewaltigen Felsformationen in die am Fuße gelegene Lagune. Aber klar, es herrscht ja trockener Tropenwinter, und die Regenzeit von Juni bis September ist ein Dreivierteljahr vorbei. Führt der Fluss richtig Wasser, muss das hier ein tolles Naturschauspiel sein!
Vom Katarakt aus wählt die Hälfte unserer Gruppe den längeren, aber bequemen Weg über gut ausgebaute Asphaltstraßen zum Bungalow-Hotel nach Mae Chaem– für den ersten Tag ohne Anpassung an Klima und Zeitunterschied hat das Enduro-Pensum gereicht. Wir anderen schlagen uns auf staubigen Offroadpisten auf direktem Weg zur Unterkunft und werden mit einem eiskalten Bier belohnt, das wir bei einem friedlichen Sonnenuntergang über grünen Reisfeldern auf der Terrasse genießen. Der Abend wird nicht lang, die Anstrengungen des Tages fordern ihren Tribut, und alsbald fallen wir in einen murmeltiermäßigen Schlaf.

Am nächsten Morgen stehe ich früh auf, um in den Terrassenfeldern den wunderschönen Sonnenaufgang zu erleben. Die Feldarbeiterinnen aus dem Dorf sind schon da und ernten emsig Lauch oder jäten Unkraut für eine gute Ernte – ein herrliches Bild. Auf dem Rückweg zum Hotel muss ich plötzlich dem zweirädrigen Lastenesel Thailands ausweichen: Auf einer Honda Dream transportiert ein einheimisches Paar getrocknete Teakholzblätter in zwei riesigen Körben, die von einer Querstange verbunden auf dem Gepäckträger balancieren und fast die gesamte Breite der Piste einnehmen. Honda produziert die kleinen Viergang-Automatikmopeds Dream und Wave hier im Land und hat damit einen gigantischen Marktanteil von über 95 Prozent. Die Mopeds sind im boomenden Südostasien das, was bei uns der VW Käfer war: Robuste, unverwüstliche Transportmittel für jedermann, die wir zuhauf in der Stadt, auf dem Land und sogar in den unwegsamsten Bergregionen antreffen. Dort tun sich die knapp 10 PS starken, luftgekühlten 110er oder 125er Viertaktmotoren mit den teilweise abenteuerlichen Steigungen schwer; zumal die Beladung in der Regel europäische Vorstellungen übersteigt: Wird der Markt im nächstgrößeren Ort beschickt, muss das Moped schon mal die Bauersleut samt zwei Kindern, die zu verkaufenden Hühner, Eier und das geerntete Gemüse aushalten.

Nach einem kräftigenden Frühstück mit Spiegeleiern und Speck bricht unsere Gruppe weiter nach Norden auf. Schon kurz nach der Abfahrt steht die Sonne hoch am Himmel und heizt das Land kräftig auf. Glücklicherweise haben wir die fruchtbaren Ebenen hinter uns gelassen und die mit Monsunwald bestandenen Bergregionen erreicht. Schmale Pfade führen wie kleine Tunnel durch die Laubdeckung der Tropengehölze hindurch. Trotzdem schwitzen wir ordentlich und warten bei jeder Pause auf das Begleitfahrzeug, um Getränke zu fassen. Selbst beim Zuschauen bei den nun häufiger auftretenden Reparaturarbeiten wie Plattfüßen und einem Kettenriss schmort man im eigenen Saft. Dabei dürfen wir uns über die Temperaturen von knapp dreißig Grad Celsius noch nicht einmal beschweren – in ein, zwei Monaten beginnt die stickig heiße Trockenzeit mit lockeren 40 Grad Celsius, da mag man gar nicht ans Endurofahren denken.
Rundum nur dichter Dschungel mit Baumriesen und Lianen, die letzte geteerte Straße liegt Stunden hinter uns und keine Menschenseele weit und breit. Hier und da überqueren wir Bäche und kleine Flüsse auf Brücken aus Baumstämmen, die jedes Jahr ein Opfer der Regenzeit werden. Was dahinter liegt, ist dann für Wochen von der Außenwelt abgeschnitten. Plötzlich öffnet sich eine kleine Lichtung und gibt den Blick auf einen primitiven Weiler mit Stelzenhäusern und groben Holzzäunen frei. Vorsichtig fahren wir in das kleine Dorf und werden sofort neugierig beäugt und vorsichtig lächelnd begrüßt. In den nächsten zwei Tagen kommen wir immer wieder mal an solch einsam gelegenen Nestern vorbei, in denen die Bergvölker der Lahu, Karen, Akha, Lisu oder Hmong leben. Die jeweiligen Stämme sprechen eigene Sprachen, was unser Kommunikationsproblem nicht gerade löst.

Ein Rundgang durch die Siedlungen gleicht einer Zeitreise. Offene Feuerstellen mit verbeulten Töpfen, Ein-Raum-Häuser und archaische Ackergeräte versetzen uns einige hundert Jahre zurück. Eine Frau walkt am Waschtrog die Schmutzwäsche der ganzen Familie, ihre Kinder fertigen im Haus am Webstuhl bunte Kleider. Der Mann arbeitet auf dem kleinen Feld, das die Familie im Wald gerodet hat. Doch so rückständig der Alltag im Bergdorf auch scheint, zumindest der Dorfvorsteher hat eine Satellitenschüssel auf dem Dach, die das staatliche thailändische Fernsehen empfängt. Den Strom dafür liefern Solarzellen auf dem Dach nebenan. Das muss ein komisches Gefühl sein: Abends katapultiert einen die Flimmerkiste mit Sitcoms und internationalen Nachrichten in die moderne Zeit, Werbung für Luxusautos und Konsumgüter wecken Begehrlichkeiten. Am nächsten Morgen wacht die Dorfbevölkerung wieder im Mittelalter auf und muss das Wasser mit dem Eimer aus dem Fluss holen. Da wird verständlich, dass diese Menschen immer noch nach ihrem Platz in der thailändischen Gesellschaft suchen. Zumal die über Jahrzehnte lukrativste Einnahmequelle, der Opiumanbau, versiegt oder zumindest offiziell untersagt ist – nicht umsonst gilt das Grenzgebiet zu Myanmar, dem früheren Burma, als ärmste Region Thailands.

Hinter vorgehaltener Hand heißt es jedoch, die Regierungsprogramme zu alternativem Gemüseanbau würden nicht wie gewünscht angenommen und so mancher Stamm unterhalte versteckte Mohnfelder. Dass diese nie entdeckt werden, können wir uns gut vorstellen – zu unwegsam und unübersichtlich ist das Gebiet. Ohne einen orts- und sprachkundigen Führer sollten sich „Langnasen“ ohnehin nicht in dieses geniale Offroad-Revier wagen. Es gibt keine Schilder, und Einheimische fragen bringt nicht viel.

Das lohnt erst wieder in den Touristenzentren des Nordens wie Chiang Rai oder Mae Sai, wo fast jeder Englisch spricht oder sich freundlich lächelnd um Verständigung bemüht. Einmal hier, ist der Chiang Rai Nightmarket & Food Bazar ein Muss. Um einen viereckigen Platz mit Tischen und Stühlen gruppieren sich zahllose Imbissstände mit den exotischsten Speisen: Gegrillte Bambuswürmer und frische Ananas, Innereien und Muscheln, Riesenkäfer und Flussfische – hier gibt es alles, was der Thai gerne isst, zu umgerechnet nicht einmal zwei Euro pro Gericht. In den Straßen drumherum bieten fliegende Händler Kunsthandwerk, Nippes und Zierfische an, der Preis ist Verhandlungssache.

Mae Sai, die nördlichste Stadt Thailands, beherbergt einen der ganz wenigen Grenzübergänge nach Myanmar. Ausländer können gegen ihren Pass als Pfand und eine Handvoll Baht nach Tachilek auf der anderen Seite des Flusses schlendern und den dortigen China-Markt besuchen. Hier gibt’s alles, was teuer und kopierbar ist – DVDs, Videos, CDs, Uhren, Zigaretten, Bekleidung mit Markenemblem oder Plastiktüten voll dieser Embleme. Die ausgewiesenen Preise sind als Einstieg in intensives Feilschen zu verstehen, fünfzig Prozent Rabatt sollten immer drin sein.

Von hier ist es nur einen Katzensprung nach Sob Ruak, wo der Fluss Mae Ruak in den mächtigen Mekong mündet und die Spitze des berühmt-berüchtigten Goldenen Dreiecks bildet. Diese Grenzregion von Thailand, Laos und Myanmar galt lange Zeit als das Drogen-Mekka schlechthin, weshalb die Thais hier das Museum „Hall of Opium“ touristenwirksam errichteten. Einziger Sündenpfuhl sind indes die überteuerten Souvenirläden, die sich endlos aneinander reihen, und die für asiatische Verhältnisse erstaunlich aufdringlichen fliegenden Händler. Was bleibt, ist der herrliche Blick über das breite Mekong-Tal hinein nach Laos und Myanmar.

Abends, wenn die Touristenbusse fort und die Stände geschlossen sind, wird’s wieder einsam am Mekong und man kann den Sonnenuntergang ganz in Ruhe genießen. Schade, schon bald geht’s wieder in die frostige Heimat zurück; womit angesichts der ungekünstelten Freundlichkeit rundherum nicht nur die Temperaturen gemeint sind.



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casamoto
Hab ich mit meinem Freund Walter aus ChiangMai auch im Winter 1996/1997 gemacht. Klasse Tour, danke fuer den Bericht, der meine Bilder wieder lebendig gemacht hat ! s. www.siamenduro.com
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fiti
War auch schon da vor 3 Jahren. Beim Lesen hab ich alles wieder vor Augen. War ne tolle Tour 1500 km Offroad. Start war auch in Chang Mai.
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gekko
Ja Leute, das macht echt Bock. Bin in den 80zigern mit drei Kumpels auf Enduros von Chiang Mai gestartet und durch das Golden Triangle gefahren.Bei den Hilltribes der Akka, Meo, Lao übernachtet und Opiumpfeifchen geraucht, dann auf dem Floss auf dem Sob ruk mit dem bike weiter.Auch Teilstrecken auf dem Rücken von Dickhäutern, weil da gar nicht mehr ging. War eine meiner geilsten offroad-touren.
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