Aprilia RSV4R

Rares Edelmetall

16. September 2010 In der Superbike-Szene dominieren Reihenvierzylinder japanischer Machart und italienische Twins. Aprilia bringt mit der 180 PS starken Serienversion der RSV 4 R dank des einzigartigen Vau-Vier-Motors deutlich mehr Klang und Farbe in die Superbike-Welt.

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Im Grunde genommen darf sich die Aprilia RSV4R zu den Exoten zählen, denn obwohl das Flaggschiff der italienischen Superbike-Familie schon seit fast einem Jahr in den Schaufenstern der Aprilia-Händler steht, sieht man praktisch keine auf der Straße. Und seit Anfang des Jahres treibt die fahrwerkseitig noch besser ausgestattete RSV 4 Factory ihr – dank des extrovertierten römischen Piloten Max Biaggi auch noch erfolgreiches – Wesen auf den Rennstrecken dieser Welt.

Warum die rassige Europäerin denn nicht so richtig zum Zuge gekommen ist, hat andere Gründe – mit dem Preis kann’s nichts zu tun haben, denn bei 15.690 Euro spielt sie in einer Liga mit den potenten Supersportlern aus Japan. Zusätzlich kann sie ihre italienische Abstammung in Form außergewöhnlichen Designs in die Wagschale werfen: Die Optik der RSV ist einfach atemberaubend, technisch anziehend, Sportfahrern schlägt bei ihrem Anblick das Herz bis zum Halse. Mit Ecken und Kanten vermittelt die Verkleidung sportliche Kompromisslosigkeit, und der polierte Brückenrahmen wie die mächtige Schwinge sind technische Kleinodien, an denen der Blick hängenbleibt.

Mittendrin ist trotz aerodynamisch optimierter Vollverkleidung das Herzstück, der Motor, zu sehen. Geschickterweise stellt die Aprilia damit ein weiteres Alleinstellungsmerkmal sichtbar zur Schau, anders als beispielsweise Hondas neue VFR 1200 F, die damit ebenfalls locken könnte: Hier in diesem italienischen Umfeld werkelt das einzige V4-Aggregat im Reigen der Supersportler, das kann und soll man auch sehen. Aus 999 Kubikzentimetern schöpft der Vau-Vier mit feinsten Zutaten wie Ride-by-Wire-Technologie 180 PS bei 12500 U/min und ein gewaltiges Drehmoment von 115 Newtonmeter. Extrem kompakt dank des engen Zylinderwinkels von 65 Grad nimmt der Motor nur geringen Platz ein und schafft eine unglaublich kompakte Maschine. Beim Aufsetzen fühlt sich die Italienerin eher wie eine schlanke 600er als eine kraftstrotzende Tausender an. Doch das ist sie, das macht sie schon beim ersten Gasstoß in der Boxengasse der Grand Prix-Rennstrecke von Estoril in Portugal mit gierigem Ansaugschlürfen und markant bollerndem V4-Sound deutlich.

Für die ersten Runden haben die Aprilia-Techniker das vom Lenker dreifach einstellbare elektronische Mapping auf „Sport“ gestellt, was angesichts der feuchten Strecke nicht die schlechteste Idee ist. Daneben gibt’s noch die harmlosere Einstellung „Road“ und das knackige „Track“ (=Rennstrecke). Selbst in dieser „sportlichen“ Einstellung gefällt die RSV mit einem enormen Druck und toller Drehfreude, im unteren und mittleren Drehzahldrittel reagiert der Motor bei dieser Abstimmung jedoch gewollt etwas verzögert auf Gasbefehle. Im (leistungs-)offenen Track-Modus ist von diesem verharmlosenden Charakter nichts mehr zu spüren, die Aprilia zeigt ihr wahres Gesicht und greift voll an. Schon unten herum produziert der Vau-Vier einen beachtlichen Schub, der bis weit in den fünfstelligen Drehzahlbereich hinein für fröhliches Jodeln unterm Helm sorgt und gleichzeitig bleibende akustische Eindrücke in Form des betörenden V4-Sounds ins Gedächtnis brennt. Wer diesen Klang einmal gehört hat, möchte ihn immer wieder goutieren. Wird aus den Ecken voll beschleunigt, steigt das Vorderrad schnell in die Höhe. Der sinnvollerweise montierte, nicht einstellbare Lenkungsdämpfer beruhigt die Front und damit den Pulsschlag des Fahrers aber umgehend.

Richtig leichtfüßig und dennoch präzise biegt die mit 205 Kilogramm vollgetankt leichtgewichtige RSV in die schnellen und langsameren Ecken des Kurses ein, und auf den beiden langen Geraden zeigt sie eine sehr Vertrauen erweckende Stabilität. Nur die hundsgemeine Schikane fährt sie nicht von allein, an den kniffligen Abschnitt muss man sich erst gewöhnen. Das klappt mit der willigen und gut kontrollierbaren Aprilia aber bestens, so dass selbst diese heimtückische Ecke allmählich ihren Schrecken verliert.

Weiteres Vertrauen in die Qualitäten der Italienerin schaffen die Vierkolben-Radialzangen aus dem Hause Brembo, übrigens identisch mit denen der feinen Factory. Die festsättel beißen vehement und exakt dosierbar zu, so dass der Geschwindigkeitsabbau selbst aus Tempi über 270 km/h kein Problem bereitet. Zum vollen Glück fehlt jetzt nur noch ein rennstreckentaugliches ABS, wie es Honda und BMW für ihre Superbikes anbieten.

Beim Beschleunigen, Bremsen und in Schräglage macht die RSV4R also einen voll überzeugenden Eindruck, und das zu einem absolut konkurrenzfähigen Preis.

Doch wie steht’s um die Standfestigkeit? Das war nämlich bei der ersten Premiere Ende Oktober 2009 auf dem toskanischen Rennkurs von Mugello noch der Knackpunkt gewesen: Gleich an fünf Motoren waren die Pleuel in der Mitte gebrochen, was sicherheitshalber zum Abbruch der Veranstaltung führte. Dabei war dieses Vorkommen völlig unverständlich, denn die identischen Motoren liefen ja bereits seit dem Frühjahr in der RSV 4 Factory ohne bekannte Probleme. Bei der Ursachenforschung stellte sich heraus, dass gerade in diesen ersten RSV4R-Modellen eine neue Charge Pleuel zum Einsatz kam, die sich im Nachhinein als fehlerhaft produziert herausstellte – insgesamt umfasst eine Charge 3000 Pleuel, die allesamt unbrauchbar waren. Direkt betroffen waren Pre-Production-RSVs, unter anderem diejenigen der Mugello-Präsentation, sowie einige bereits im Werk in Pontedera montierte Motoren. Allesamt wurden ausgemustert, die schadhaften Pleuel sind nun Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung Aprilias mit der Zuliefererfirma aus Italien und dem französischen Produzenten. Doch bedeutet dies noch nicht das Ende des Ärgers: Mitte Januar starteten die Italiener einen weltweiten Rückruf für insgesamt 300 RSV4 R und RSV 4 Factory-Modelle, deren Motoren auf Aprilia-Kosten getauscht werden mussten.

Damit sollten die Ärgernisse um den neuen V4-Supersportler aber endgültig der Vergangenheit angehören und sämtliche erhältlichen RSV4R-Modelle nun den mit Recht an sie gestellten hohen Erwartungen entsprechen – als voll funktionsfähiges, höchst individuelles Hightech-Bike, das für moderate 15.690 Euro einen erstklassigen Rennstreckenfeger abgibt.


Technische Daten Aprilia RSV 4 R

Motor
Motorbauart/Einbaulage Flüssigkeitsgekühlter Vierzylinder-65°V-Motor, vier Ventile, zwei obenliegende Nockenwelle pro Zylinder, elektronische Kraftstoffeinspritzung mit 48 mm Drosselklappendurchmesser-Ø, geregelter Katalysator, E-Starter.
Hubraum: 999 ccm
Bohrung x Hub: 78,0 x 52,3 mm
Leistung: 132 kW (180 PS) bei 12 500 U/min
Max. Drehmoment: 115 Nm bei 10 000 U/min
Verdichtungsverhältnis: 13,0 : 1

Kraftübertragung
Primärantrieb über Zahnräder, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Nasskupplung, klauengeschaltetes Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette zum Hinterrad.

Fahrwerk
Leichtmetall-Brückenrahmen, vorn USD-Telegabel mit 43 mm Tauchrohrdurchmesser, 120 mm Federweg und einstellbarer Druck-, Zugstufendämpfung und Federbasis, hinten Leichtmetall-Zweiarmschwinge, ein in der Federvorspannung, Druck- und Zugstufendämpfung verstellbares angelenktes Federbein mit 130 mm Federweg.
Bremsen: Vorn 320 mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln, hinten 220 mm-Einscheibenbremse mit Doppelkolben-Schwimmsattel.
Räder: Leichtmetall-Gussräder, vorn 3.50 x 17, hinten 6.00 x 17
Bereifung: Vorn 120/70 ZR 17, hinten 190/55 ZR 17
Elektrik: 12 V, Drehstromlichtmaschine 420 W, Batterie 9 Ah

Maße und Gewichte
Länge/Breite/Höhe: 2.040 x 735 x 1.120 mm
Tankinhalt: 17 Liter inklusive 4 Liter Reserve
Sitzhöhe: 845 mm
Radstand: 1420 mm
Lenkkopfwinkel: 65,5°
Nachlauf: 105 mm
Trockengewicht: 184 kg
Leergewicht: 205 kg
Zulässiges Gesamtgewicht: 463 kg

Preis/Garantie
Preis: 15.690,- Euro inkl. Liefernebenkosten
Garantie: Zwei Jahre ohne Kilometerbeschränkung


Autor: Thilo Kozik



Kommentare


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Missing_mini
Gelöschter Benutzer
Die RSV4R ist ein supergeiles Bike. Leider hat Aprilia ein sehr schlecht verzweigtes Händlernetz. Vielleicht ist auch das ein Grund warum so wenige laufen.
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duesselrunner
nettes moped
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toecutter
Aprilia hat schon immer die besten Sportmotorräder gebaut. Die Ergebnisse in der SBK beweisen das. Trotzdem kaufen die Kunden lieber einen langweiligen Japaner oder die BMW R1000RR obwohl die in der Meisterschaft weit hinten fährt und das trotz guter Fahrer
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