Moto Guzzi Bellagio
Lokalkolorit
25. January 2011 Bei Moto Guzzi gibt man sich heimatverbunden: Das Allroundbike Bellagio ist nach einem mondänen Ausflugsort am Comer See genannt, der in Sichtweite zum alten Werk in Mandello liegt
Moto Guzzis Allroundbike Bellagio erinnert nicht nur durch die Namensgebung an die Wurzeln der italienischen Traditionsschmiede – die Bellagio ist nach einem mondänen Badeort am Zipfel der Halbinsel im Comer See benannt, der in Sichtweite zum Guzzi Werk am anderen Ufer liegt – auch Optik und Technik bezeugen Traditionsbewusstsein. So zitiert auch die Antriebsquelle die Historie der Marke: Vor gut vierzig Jahren, 1967, debütierte im Modell V7 jener längs laufende 90-Grad-Vau, der mittlerweile so markentypisch für Moto Guzzi geworden ist, dass man sich gar keine andere Antriebsquelle für die Motorräder aus Mandello mehr vorstellen kann.
Die traditionellen Konstruktionsmerkmale lauten: Luft-ölgekühlter 90-Grad-Vau, längs eingebaut, mit zwei Ventilen, die über Stößel und Stoßstangen von einer unten liegenden Nockenwelle angetrieben werden. Antiquierte Motorentechnik, gewiss, doch auch ehrlich, echt und unverfälscht. Diese Art der luftgekühlten Motorentradition findet sich nur noch bei Moto Guzzi und dem US-Kultkonzern Harley-Davidson, sämtliche anderen Hersteller vertrauen da moderneren Konzepten.
Doch die Bellagio zeigt, dass Motorradfahren auch ohne Hightech einen Riesenspaß machen kann: Mit Doppelzündung, Weber-Marelli-Einspritzanlage und dem stilprägenden Edelstahl-Dämpferdoppel auf der linken Seite bringt sie es auf respektable 75 PS und 78 Newtonmeter Drehmoment. Bei guten Manieren: Nach dem Anlassen spürt man förmlich, dass dieser exakt 936 ccm große Vau lebt – er schüttelt sich, brabbelt niederfrequent aus den Auspufftöpfen und massiert den Körper mit wohltuenden Vibrationen. Auch die Lastwechselreaktionen, ein lästiges Phänomen des Kardanantriebs, sind nahezu verschwunden. Etwas viel Handkraft verlangt die Kupplung zum Einlegen des ersten von sechs Gängen, doch dann geht der Motor geschmeidig zur Sache.
Flott marschiert die Bellagio voran und drückt subjektiv sehr gleichmäßig und ohne jede Hinterlist voran. Der Vortrieb fällt nett, aber nicht umwerfend aus; doch wer braucht das auf den verwinkelten Landstraßen schon, die von der Bellagio als ureigenes Revier beansprucht werden? Unauffällig, aber durchaus wirksam arbeiten die separat und nicht wie bei vielen Guzzis als Integralbremse ausgeführten Brembo-Stopper. Leider immer noch ohne ABS, das relativ leicht anzupassen wäre – angeblich verlangen nur die pingeligen Deutschen danach.
Dieser relaxte Charakter passt zu diesem Motorradkonzept wie der Cappu zum ccino. Die Bellagio ist nämlich ein Allroundbike im klassischen Sinne, das macht sie schon beim Platznehmen auf der 760 Millimeter niedrigen Sitzbank deutlich: Trotz der martialisch gedrungenen Aufmachung mit dickem Tropfentank, gerader Bullbar-Lenkstange und „böser“ Lackierung heißt es beim Aufsitzen: „hm, passt ja, geht ja.“ Den Oberkörper leicht aktiv vorgebeugt, aber stets entspannt, und die Füße können sich auf den leicht vorgelagerten Rasten gut abstützen – so integrierend macht die Bellagio auch auf den kniffligen Abschnitten der Spaghettisträßchen einen gut kontrollierbaren Eindruck.
Ungeachtet 237 Lebend-Kilos – den Hüftspeck verdankt sie dem soliden Rahmenbau und dicken Motor – geht die Guzzi flott ums Eck, lässt sich ohne Mühe abwinkeln und hält die vorgegebene Linie recht stabil ein. Schnelle Wechselkurven und enge Kehren stellen kein Problem sondern eher ein Vergnügen dar, die Bellagio vermittelt auf Anhieb eine unkomplizierte und aktive Fahrfreude.
Auf dem teilweise üblen Flickenteppich der überall gegenwärtigen Winterüberbleibsel kann zudem das komfortable Fahrwerk voll überzeugen. Für flotteres Fahren lässt sich die 45er Telegabel in Zug- wie Druckstufendämpfung variieren, das Federbein verfügt über eine hydraulische Federbasisverstellung per Handrad, die Zugstufendämpfung ist ebenfalls justierbar. Einziges Manko: Der unnötig breite 180er Schlappen sorgt im Konzert mit dem ungewöhnlich großen 18-Zoll-Rad vorn dafür, dass die Guzzi in Schräglage immer etwas weiter abklappt, als gewollt. Doch ist das weniger dramatisch als es sich anhört.
Zur unproblematischen Agilität gesellt sich eine gute Ausstattung mit informativem Kombiinstrument und einstellbaren Hebeleien sowie ein akzeptabler Preis von 10.770 Euro – mithin ist eine Bellagio nicht nur etwas eingefleischte Guzzi-Fans.
Technische Daten
Moto Guzzi Bellagio Aquila Nera
Hubraum 936 cm3, Bohrung x Hub: 95 x 66 mm, max., , elektronische Kraftstoffeinspritzung, geregelter Katalysator, Sechsganggetriebe, Kardanwelle, Stahl-Doppelschleifenrahmen, Telegabel, Einarmschwinge mit Zentralfederbein, zwei Scheibenbremsen vorn, eine hinten, Reifen vorn 120/70 ZR 18, hinten 180/55 ZR 17, Sitzhöhe 760 mm, Tankinhalt 19,0 Liter, Leergewicht 237 kg, Zuladung 210 kg, Preis 10.770 Euro
Technische Daten
Motor
Luft-/Ölgekühlter Zweizylinder-Viertakt-90°-Vaumotor, eine obenliegende, kettengetriebene Nockenwelle, zwei Ventile pro Zylinder, elektronische Benzineinspritzung mit 40 mm Drosselklappendurchmesser, geregelter Katalysator, E-Starter.
Bohrung x Hub: 95 mm x 66,0 mm
Hubraum: 936 cm3
Leistung 75 PS (55 kW) bei 7200 U/min
max. Drehmoment: 78 Nm bei 6250 U/min
Verdichtungsverhältnis: 9,8 : 1
Kraftübertragung: Sechsganggetriebe, Zwei-Scheiben-Trockenkupplung, Kardan mit zwei Kreuzgelenken.
Fahrwerk:
Stahlrohr-Schleifenrahmen, vorn in Zug- und Druckstufendämpfung verstellbare Telegabel mit 45 mm Gleitrohrdurchmesser und 140 mm Federweg, hinten Einarmschwinge, hydraulisch per Handrad in Federvorspannung und in der Zugstufendämpfung verstellbares Zentralfederbein mit 120 mm Federweg.
Bremsen: Vorn 320 mm-Doppelscheibenbremse mit Zweikolben-Schwimmsattelzange, hinten 282 mm-Einscheibenbremse mit Zweikolben-Schwimmsattelzange.
Räder: Aluminium-Speichenräder, vorn 3.50 x 18, hinten 5.50 x 17
Bereifung: Vorn 120/70 ZR 18, hinten 180/55 ZR 17
Elektrische Anlage:
Batterie: 12 V, 18 Ah
Lichtmaschine: 12V, 350 W
Maße und Gewichte
Länge/Breite/Höhe: 2253/820/1130 mm
Leergewicht: 237 kg
Zulässiges Gesamtgewicht: 447 kg
Tankinhalt: 19 Liter
Sitzhöhe: 760 mm
Radstand: 1560 mm
Lenkkopfwinkel: 63 Grad
Preis/Garantie/Inspektion
Preis: 10770,- Euro
Garantie: Zwei Jahre
Inspektionsinervalle: nach 1500 km, danach alle 5000 km
Autor: Thilo Kozik
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