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Gelöschter Benutzer 10.10.2004

Mahn- und Gedenkfahrt 2004

Wegstrecke 0 km
Länder/Regionen/
Wegpunkte
Berlin
Straßenart
Tour-Motorrad
Schwierigkeit
Schlagworte
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Mahn- und Gedenkfahrt 2004

Am 03.10.2004 fand die Mahn- und Gedenkfahrt 2004 in Berlin statt. Es war meine erste, an der ich teilnehmen konnte.
Ein unglaublich erhabenes Gefühl mit dem eigenen Motorrad auf den Olympischen Platz vor dem Olympiastadion in Berlin zu fahren mit 8, 9, 10 anderen Bikern zusammen, von Helfern einen Platz zugewiesen zu bekommen und die Maschine abzustellen, wie 2000 andere Biker vor und nach mir auch. Die Fläche, wo sonst Autos stehen, ist durch bunte Werbebänder in viele Reihen aufgeteilt, so dass grade mal 4 Motorräder nebeneinander und ca. 20 hintereinander Platz finden. Die Helfer haben alle Hände voll zu tun, die Fahrer dahin zu lotsen, wo sie auch hinsollen. Meinem Kumpel wird ein Platz ganz rechts in der Reihe und mir ganz links zugewiesen. Zwei Motorräder dazwischen, gleiche Höhe. Panik befällt mich, denn die Motorräder stehen so eng, dass man schon beim Durchlaufen Angst haben muss, mit dem Reißverschluss der Jacke irgendwo lang zu schaben und unschöne Kratzer zu fabrizieren. "Uwe lass mich nicht alleine", denke ich, ist es doch meine erste Gedenkfahrt. Weitere Helfer verteilen schwarze Bänder. Ausnahmslos alle knüpfen sie an ihre Babys, Hexen und wie immer sie auch genannt werden. Da können sie noch so hart wirken, sie gedenken alle.
Ein reger Smalltalk herrscht rundherum, viele sehen sich hier nach Monaten das erste Mal wieder. Neugierig das Treiben um mich herum aufsaugend steige ich vorsichtig von meiner Kawasaki ER-5, bemüht, eben keine Kratzer zu fabrizieren und entledige mich meines Helms und der Handschuhe. Wie bei allen Motorradtreffen bleiben die Helme am Motorrad. Ein Stückchen weiter sind einige Zelte aufgebaut, in denen Mitarbeiter von bekannten Motorradzubehör-Geschäften Kaffee ausschenken und Rostbratwürste verkaufen. Behutsam um die abgestellten Maschinen herumschleichend, begeben auch wir uns zu diesen Zelten, um erstmal einen Kaffee zu holen und in aller Ruhe eine Zigarette zu rauchen. Staunend betrachte ich jedes einzelne Motorrad, eines schöner als das andere und so unglaublich viele. Alle Altersklassen sind vertreten, sowohl bei den Motorrädern als auch bei den Fahrern. Es wird begutachtet, geredet, Bratwurst und Kuchen verzehrt und Kaffee getrunken. Da, wo auch wir in den Stellplatz eingefahren sind, sammeln sich viele, um zu schauen, wer denn noch so alles vorfährt, in der Hoffnung, einen alten Kumpel begrüßen zu können oder sogar mit dem verabredeten Kumpel zusammenzutreffen oder einfach nur die Maschinen zu bewundern. Freundliches Kopfnicken von allen Seiten, wenn sich die Blicke treffen. Kein einziger "Da ist jemand neues" -Blick. Alle gehören dazu.
Den heißen Kaffee in der Hand stellen auch wir uns an die Einfahrtgasse für die Neuankömmlinge. Mittlerweile ist der vierte oder fünfte abgeteilte Bereich gefüllt. Wie viele mögen es jetzt schon sein. "Das ist eine Suzuki sowieso, Baujahr sowieso, das erkennst du daran, das gab es nur in diesem Jahr", höre ich meinen Motorradkumpel sagen. Er kennt sie alle, oft schon von weitem, und beweist es mir gerne. Dankbar, denn mit jeder Erklärung lerne ich, nehme ich sie an. Er begrüßt so viele Leute, deren Gesichter ich mir gar nicht alle merken kann, fährt er doch seit über 20 Jahren Motorrad und treibt sich eben auch oft auf der Spinnerbrücke herum. Dann kennt man eben viele. Jeder einzelne begrüßt auch mich, die da eigentlich ja nur dumm daneben steht, weil ich eben dabei bin.
Die Zeit rennt. Wir sind bereits seit zwei Stunden hier und haben unzählige Motorräder gesehen und bestaunt. In den Gesprächen hört man nun oft die Frage: "Wann geht es denn los? Halb zwölf oder zwölf?" Ein Blick auf meine Armbanduhr sagt mir, dass es schon elf Uhr ist. Bei der Masse an Motorräder und das Wissen, dass sie wirklich verdammt eng beieinander stehen, stelle ich mir grade vor, wie sie alle gleichzeitig versuchen, an ihre Bikes heranzukommen. Ein Schmunzeln auf meinem Gesicht kann ich nicht verbergen, denn es würde sicherlich heilloses Chaos ausbrechen. "Uwe, wie läuft das", frage ich ihn, "wird irgendwie durchgesagt, wann es losgeht? Ich meine, wir können ja schlecht alle gleichzeitig zu den Motorrädern stürzen, oder?!" Uwe mit seiner jahrelangen Erfahrung in Sachen Gedenkfahrten (es ist seine 23.!) erwidert gelassen: "Na, nee, irgendwann geht’s eben los, wird irgendwie schon, halb zwölf oder zwölf." Jetzt bin ich genauso schlau wie vorher und fortan schaue ich alle fünf Minuten auf meine Uhr. Viertel nach elf wage ich einen neuen Versuch: "Uwe, sollten wir nicht langsam zu unseren Mopeds gehen?" Er grinst, weiß er doch genau, dass ich furchtbar nervös bin. "Gut", sagt er, "ich geh dann noch mal für kleine Biker. Du kannst ja schon mal vorgehen." Ein Strahlen auf meinem Gesicht veranlasst ihn, sich in Bewegung zu setzen. Oh je, ist mein nächster Gedanke. Wo stehen sie denn? Mittlerweile haben sich ca. 18-20 Reihen der abgeteilten Streifen mit Motorrädern gefüllt. Übermütig spreche ich einen Biker an: "Ich suche mein Motorrad!" Er lacht und ich gehe weiter. Mmh, wir waren ganz früh da, also müssen unsere weit vorne stehen, bestimmt in den ersten 4 oder 5 Reihen, aber wo da? Viele Biker stehen jetzt schon an ihren Maschinen und es ist schlecht durch sie durchzusehen. Ich versuche, die Kennzeichen auszumachen und wirklich, ich erblicke mein Kennzeichen. Meine Nervosität nicht zeigend schlängle ich mich gelassen zwischen den Motorrädern durch. Da ist sie ja endlich wieder, meine kleine rote Hexe und ich setze mich erleichtert erstmal drauf. Endlich wieder sitzen.
Bald darauf erscheint auch Uwe an seiner Kawasaki ZRX12S und dreht sich erstmal in aller Ruhe eine Zigarette. Seine Ruhe möchte ich haben. Ich lasse meinen Blick schweifen. Ohne Ende scheinen um mich herum Motorräder mit ihren Besitzern zu stehen. Unglaublich. Direkt neben mir steht ein Pärchen mit einer Gold Wing, schon älteren Kalibers, sowohl die Besitzer als auch das auf Hochglanz polierte Motorrad. Betreten schaue ich auf meine Kawa und stelle fest, dass ich nicht im mindesten daran gedachte hatte, sie sauber zu machen. Darum entspinnt sich auch ein nettes Gespräch. Rechts vor mir steht eine blaue Suzuki Bandit 600 N, für mich eines der schönsten Motorräder, die es gibt. Uwe steht mit dem Besitzer zusammen und fachsimpelt mit ihm, ob es sinnvoll ist, sich eine 1200er oder eine 600er hinzustellen. Die Meinungen gehen kontrovers auseinander und ich mische mich frech ein: "Hauptsache zwei Räder und n Lenker, oder?" Der Typ dreht sich um und lächelt mir zu. "600er reichen dicke", meint er. Uwe schüttelt den Kopf. Auch mal was vernünftiges von mir gebend erkläre ich: "Es kommt ja auch drauf an, was man will. Wenn man Hochgeschwindigkeitsfahrten auf der Autobahn eher mag, kauft man sich natürlich ne 1200er, ist eher die Landstraße dein Ding oder brauchst du das Moped überwiegend, um von A nach B zu kommen, reicht sicher auch ne 600er." Der Bandit-Fahrer stimmt mir zu und jetzt lenkt auch Uwe ein. So stehen wir und warten und reden und warten.
Langsam finden sich die meisten ungeduldig an ihren Maschinen ein. Die Uhr zeigt 20 vor zwölf. So manch einer steckt sich noch ganz cool ne Zigarette an. Gelegentlich findet ein Schlüssel schon mal das Zündschloss, um zu probieren, ob die Maschine auch gleich anspringt, denn nichts ist peinlicher als wenn du mehrere Anläufe brauchst, um das Bike zum Laufen zu kriegen. Bald hörte man die ersten Hupen und die dazugehörigen blöden Sprüche "Hupe geht, jetzt Blinker rechts, Blinker links!" Irgendeiner ruft: "Rückwärtsgang!" Alles lacht. Es herrscht eine tolle Stimmung. Der große Zeiger meiner Armbanduhr rückt immer weiter gen zwölf und meine Nervosität steigt, ist es doch meine erste Gedenkfahrt und mein Führerschein ja noch fast druckfrisch. Die Motorräder stehen so eng, dass sich in meinem Kopf das Bild meiner umfallenden Maschine breit machte, wenn ich um die erste Ecke fahre und damit die ganze Gedenkfahrt schmeiße. Peinlich. Natürlich fahren wir nicht in dieser Enge, wir stehen ja nur so eng beieinander, schaltet sich mein Kopf ein. Das beruhigt mich. Auch ich stecke meinen Zündschlüssel ins Schloss und probiere, ob meine kleine rote Hexe anspringt. Sie springt an, auf Anhieb. Eine Sorge weniger. Um mich herum heulen nun immer mehr Motoren auf und die ersten sitzen schon mit Helm und Handschuhen abfahrbereit. Wieder blöde Sprüche: "Das sind die ersten die stehen bleiben, weil die Motoren völlig überhitzt sind." Tatsächlich knallt die Sonne an diesem Tag umbarmherzig auf die vorwiegend schwarzen Klamotten und treibt uns allen den Schweiß auf die Stirn, von meinem Angstschweiß mal ganz abgesehen. Betont langsam mache auch ich mich abfahrbereit und sitze, wie mittlerweile doch schon fast alle, in voller Montur auf meinem Motorrad. Nervös. Ungeduldig. Glücklich unter Gleichgesinnten zu sein. Glücklich, von allen Seiten angenommen zu sein. Der Bandit-Fahrer raucht noch. "Geht ja noch lange nicht los", meint er cool. Doch die ersten Reihen sind abfahrbereit. Alle Motorräder laufen, die Spannung steigt. Hektisch erscheint nun auch der Fahrer der gelben Yamaha, die direkt vor mir steht. Na endlich, denke ich, hatte ich doch schon seit einigen Minuten im Kopf, was ich mache, wenn der nun nicht kommt. Aber wohl auch eine unnötige Sorge. Schnell macht sich der Yamaha-Fahrer bereit und auch der Bandit-Fahrer sitzt nun auf seinem Bike, kriegt aber seine Maschine nicht an. Sechs, sieben mal startet er, ehe der Motor läuft. Ein Blick rüber zu Uwe…ja, er sitzt auch. Vor mir etwas rechts setzen sich die ersten Motorräder in Bewegung. Es geht los. Schneller als gedacht fährt auch die Reihe, in der stehe. Und meine Sorge war völlig unnötig, bereits nach ein, zwei Metern Fahrt war genügend Platz um mich rum, um meine Maschine sicher wie immer um die Ecken zu lenken. Gute Laune macht sich breit. Gemeinsam mit ca. 2000 anderen Bikern vom Olympischen Platz zu rollen, den Straßen Berlins entgegen, ist schon cool. Hier und da gesellen sich am Straßenrand wartende Maschinen zu uns. Etwas weiter haben sich bereits Schaulustige am Straßenrand eingefunden und mir wird der Sinn dieser Fahrt wieder bewusst. Ich muss an den Kollegen meines besten Freundes denken, den es drei Tage vor meiner Prüfung böse erwischt hat. Von einem Linksabbieger übersehen, zwei Notoperationen, eine Woche Koma, vierzehn Tage Intensivstation,. Aber er hat überlebt. Wie viele haben diese Saison nicht geschafft?
Nur gelegentlich nehme ich meine Umgebung wahr auf der Fahrt zum Berliner Dom: Ernst-Reuter-Platz, die Halensee-Brücke, Kudamm, Nollendorfplatz, Potsdamer Platz. Zu sehr bin ich doch tatsächlich mit den Gedanken bei den tödlich verunglückten Motorradfahrern und deren Angehörigen. Gelegentlich mal ein kurzer Schwatz mit dem Bandit-Fahrer, ein Blickkontakt mit dem Mädchen, das beim Papa auf dem Soziussitz seiner Yamaha XJ600 Platz genommen hat, ein nettes nebeneinander Herfahren mit der Fahrerin der Suzuki SV 650 S … fast unbemerkt vergeht die ca. eine Stunde fahrt. Kurz vor eins erhebt sich der Berliner Dom hinter der nächsten Kurve und erleichtert, dass die Fahrt doch nicht so anstrengend war, wie ich dachte, macht sich erneut Unruhe breit. Wo parken wir da? Gibt es auch dort Ordner? Doch obwohl die Straße vor dem Dom recht schmal ist, kann ich ohne Unsicherheit meine Maschine durch den engen Wendekreis bugsieren, auf Anweisung eines Ordners gekonnt noch zwischen zwei bereits abgestellten Motorrädern hindurch fahren und auch meine Hexe abstellen. Endlich wieder eine rauchen. Fast alle wühlen in den Taschen ihrer Kombis, unter den Sitzbänken oder sonst wo und kramen eine Zigarette oder Tabak heraus. Staunend wende ich zunächst den Blick zum Dom. Mächtig zeigt er in den strahlend blauen, Berliner Himmel. Mein Blick schweift auf die Unmengen an Menschen, die sich hier versammelt haben. Hier stehen viele Schaulustige, die neugierig das bunte Treiben auf und um die Motorräder herum betrachten. Viele Touristen.
Ich bin gespannt auf den Gottesdienst und gemeinsam betreten Uwe und ich den Dom. Ein Ordner am Eingang lässt wirklich nur die Biker durch! Uwe kennt das Prozedere schon, ich bin überwältigt von so vielen Bikern, die tatsächlich in den Dom hineingegangen sind. Vor dem Altar ist mit einigen Helmen ein Kreuz gelegt. Obwohl der Dom gut besucht ist, finden auch wir noch einen Platz. Kurz darauf beginnt der Gottesdienst, welcher im großen und ganzen nicht anders gestaltet ist, als andere Gottesdienste auch – warum auch -, aber als die Namen aller 50 tödlich Verunglückten vorgelesen werden, kann man bemerken, dass jeder einzelne tief betroffen ist. Denn letztendlich hätte es jeden von uns erwischen können. Auch mich in den ersten vier Wochen meiner Motorradlaufbahn! Anschließend herrscht Stille…Stille, in der jeder seinen Gedanken nachhängt. Stille, in der fast fühlbar wird, dass wir alle Angst haben. Angst, schuldlos auf der Straße zu sterben, jemanden zu töten oder auch Angehörige zurückzulassen. Stille, in der wir alle für den Augenblick zu einer großen Familie werden. Niemand scheint auch nur zu atmen. Was hat der Pfarrer gesagt? Lass uns alles, was in unserer Macht steht, tun, um zu verhindern, was zu verhindern geht. Meine Gedanken gehen zu meinen Kindern, meinen Eltern, meinen Freunden. Nein, ich fahre Motorrad, um Motorrad zu fahren, nicht um mich tot zu fahren. Auch ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um zu verhindern, was zu verhindern geht.
Erst als die Stimme des Pfarrers in den Höhen des Domes erklingt, wagen wir uns wieder zu bewegen.
Beim Verlassen des Domes bietet sich mir erneut ein überwältigender Anblick. Habe ich beim Hineingehen keinen Blick zurückgeworfen, so gehe ich nun auf die endlose Reihe der in der Sonne blitzenden und blinkenden Motorräder zu. Und schon kommt wieder das irdische Problem auf: wo steht meine Maschine? Ha, da ist die Gold Wing wieder, direkt dabei steht Uwes Motorrad und ein oder zwei Maschinen davor meine. Und tatsächlich kann ich sie von oben erblicken. Am Motorrad angekommen, rechts und links fahren viele schon los, verständige ich mich kurz mit Uwe noch auf einen Latte Macchiato an der Spinnerbrücke und schon sitzen auch wir wieder auf unseren Motorrädern und fahren. Kurz bevor wir in den normalen Straßenverkehr einbiegen, werden wir von einem Ordner via Megaphon darauf hingewiesen: "Achtung! Ab sofort seid ihr wieder normale Verkehrsteilnehmer! Bitte fahrt vorsichtig! Achtung! Ab sofort seid ihr wieder normale Verkehrsteilnehmer…"

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