BMW F 800 R
Hier zieht der Bayer die Lederhose aus
29. March 2011 Ungestüm und aufregend lockt BMW unangepasste Zweiradler auf die F 800 R. Mit 87 PS ist der Roadster stark genug, um im Landstraßenrevier für Furore zu sorgen
R steht im BMW-Jargon für Roadster, deshalb kommt einem die markante Front der F 800 R bekannt vor – der Taucherbrillenscheinwerfer und das puristische Ambiente drumherum hatten ja schon bei der großen Schwester K 1300 R für allerlei Diskussionsstoff gesorgt. Jetzt, beim jüngsten und vermeintlich letzten Mitglied der F-Baureihe, der F 800 R, hat man sich schon fast daran gewöhnt. Das könnte auch daran liegen, dass die am 9. Mai Europa-Premiere feiernde F 800 R nicht mit dem mächtigen Duolever der K-Schwester sondern einer herkömmlichen Telegabel bestückt ist, die nicht ganz so in den Augen brennt. Dennoch kommt der kleinste der drei BMW-Roadster optisch innovativ und mutig daher, für Traditionsbewusste führt BMW ja bekanntlich den Boxer-Roadster R 1200 R im Programm.
Kühl und technokratisch wirkt auch der schwarze Leichtmetall-Brückenrahmen, an den hinten ein Gitterrohr-Heckrahmen angeschraubt ist. Als fahrwerksseitiges Novum zeigt die kleine R die Kombination aus Brückenrahmen, neu entwickelter Zweiarmschwinge und Kettenantrieb, womit sie sich deutlich von den F 800-Straßenmodellen unterscheidet. Mit diesen teilt sie indes die motorseitige Basis, den aus F 800 S und F 800 ST bekannten dohc-Reihenzweizylinder mit 798 Kubik, versehen mit den Technikschmankerln Semi-Trockensumpfschmierung und Massenausgleich durch ein drittes angelenktes Pleuel.
Alles selbstverständlich Euro-3-gerecht per lambdageregeltem Katalysator und Sekundärluftsystem abgasgereinigt. In der F 800 R macht ihn die neue Auspuffanlage auf dem Papier etwas stärker, er leistet nominell 87 PS und 86 Newtonmeter Drehmoment. Angelassen wird der Triebling vom neuen BMW-Kombischalter, der Notaus und Startknopf vereint.
Sofort springt der Paralleltwin an, im Fahrbetrieb kommt er direkt zur Sache. Quirlig und spontan setzt er Gasbefehle um, erfreut er mit einem prima Drehmoment bereits von der Leerlaufdrehzahl an und zeigt auch im unteren Drehzahlbereich keine Macken. Sauber und willig dreht er nach oben und entwickelt seine Kraft recht gleichmäßig und kontrollierbar bis an den roten Bereich.
Wer’s in der Stadt wissen will, bleibt im zweiten Gang, doch auch im entspannteren Dritten nimmt kaum ein Vierrad der BMW die Butter vom Brot. Mehr Durchzugsfreude über Land und auf der Autobahn verdankt die 800er den gekürzten Übersetzungen der Gangstufen vier bis sechs, so kann der Pilot das sauber schaltbare Sechsganggetriebe voll auskosten. Den lebendigsten Eindruck macht das Triebwerk im Bereich zwischen 5000 und 6500 Umdrehungen, jedoch in zweierlei Hinsicht: Hier schiebt die F kräftig voran, untermalt das Ganze aber mit deftigen Vibrationen.
Darüber lässt die nervige Pein wieder nach, so dass voll ausgefahren beachtliche 210 km/h auf dem Tacho prangen, die sich nur geduckt ertragen lassen. Schon bei weitaus geringeren Geschwindigkeiten lässt sich den beiden Rückspiegeln keinerlei Information mehr entlocken, zu sehr vibriert die Fläche und gibt nur ein Zerrbild der Rücksicht wider. Übers gesamte Drehzahlband begeistert der kernige, voll tönende erwachsene Klang, der demjenigen des großen Boxermotors stark ähnelt. Das verdankt die F der identischen 360°-Zündfolge wie beim Boxer und einem ausgeklügelten Soundmanagement, auf das man im Hause BMW mit Recht besonders stolz ist.
Gut gelungen ist den Bayern um Projektleiter Rudi Schneider aber auch das überarbeitete Fahrwerk, das dem Entwicklungsziel „fahrspaßiger Roadster als puristisches Spaßmotorrad in der Mittelklasse“ ziemlich nahe kommt. Deutlich um jeweils 15 Millimeter gekappte Federwege vorn wie hinten, eine zwei Kilo gegenüber der Einarmschwingenlösung mit Zahnriemen einsparende Zweiarmschwinge mit Kettenantrieb und die geänderte Fahrwerksgeometrie machen die F 800 R zu einem kurvenfressenden Roadster mit Spaßgarantie. Mit längerem Radstand, steilerem Lenkkopf und kleinerem Nachlauf gegenüber den anderen F-Modellen gibt sich die R unglaublich agil und wendig, mit den aufgezogenen Metzeler Sportec M3 wieselt der Roadster neutral und zielgenau durchs kurvige Terrain. Stabilitätseinbußen sind kaum zu spüren, was nicht zuletzt am neuen Lenkungsdämpfer liegt, der die Front wirkungsvoll beruhigt. Unterhalb der Gabelbrücke angebracht, macht das Teil die Lenkung bei Langsamfahrt jedoch etwas teigig.
Komfortabel grundabgestimmt geben sich Telegabel und Federbein. Während am Federbein die Basis und Zugstufendämpfung leicht zugänglich und mit praktischen Einstellrädern variiert werden können, muss die Telegabel mit der Vorgabe leben. Das reicht in den meisten Fällen für einen prima Fahrgenuss, engagierte F-Treiber wünschten sich gerade vorn jedoch etwas mehr Dämpfungsreserven auf buckligen Untergründen.
Wem’s zu flott wird, findet in den Vierkolbensätteln extrem verlässliche Partner für den Vortriebsabbau. Sehr gut dosierbar und dem Allroundfahrer angepasst agiert das Doppel bar jeglicher hinterlistigen Bissigkeit und zeigt sich trotzdem hocheffektiv. Zumindest empfehlenswert, wenn nicht gar ein Muss ist die 710 Euro teure ABS-Option, mit der man noch gedankenloser in die Tasten greifen kann.
Den Wellness-Bereich komplettiert die Wahl der Sitzhöhe: Ausgehend von der Standard-Sitzbank in 800 Millimeter Höhe gibt es als Sonderausstattung Fahrersitzbänke mit jeweils 25 Millimeter mehr oder weniger Sitzhöhe. Fahrer bis 175 cm kommen mit der Standardhöhe ganz gut zurecht, sie sitzen gut gebettet in der Mulde und haben den konischen, nicht allzu breiten Lenker gut im Griff. Darüber dirigiert man den mit 199 Kilo zwar nicht federleichten, aber alles andere als übergewichtigen BMW-Roadster spielerisch exakt auf jede gewünschte Linie. Dem Konzept als Stadtmotorrad gemäß bietet die im wahrsten Sinne des Wortes „nackte“ R praktisch keinerlei Windschutz, selbst das auf den Fotos abgebildete „Windschild Sport in Fahrzeugfarbe“ – im englischen Sprachgebrauch unter „Flyscreen“ bekannt – gibt es nur gegen Zahlung von 100 Euro. Zur weiteren Optimierung der Reisequalitäten findet sich das Passende wie üblich im reichhaltigen BMW-Zubehörkatalog inklusive passendem Stauraumprogramm und Hauptständer, der für die Kettenpflege und den schnellen Radausbau benötigt wird. Mannigfaltig sind die Informationen, die sich dem Bordcomputer abluchsen lassen. Vom Trip, Uhrzeit, durchschnittlichem und aktuellem Verbrauch reicht das Angebot sogar bis zum Reifenluftdruck – vorausgesetzt, die Reifenluftdruckkontrolle RDC ist installiert. So kommen zum ursprünglich günstigen Einstandspreis von 8200 Euro schnell noch einige Hunderter hinzu.
Doch selbst ohne jeglichen Zubehör-Schnickschnack begeistert die neue BMW F 800 R mit ihrem unkomplizierten Fahrspaß, der sich Zweirad-Experten wie -Novizen schon auf Anhieb erschließt.
Technische Daten BMW F 800 R
Motor:
Flüssigkeitsgekühlter Reihen-Zweizylinder-Viertakt-Motor, vier Ventile, zwei obenliegende Nockenwellen pro Zylinder, elektronische Kraftstoffeinspritzung mit 46 mm Drosselklappendurchmesser-Ø, geregelter Katalysator, SLS, E-Starter.
Hubraum: 798 ccm
Bohrung x Hub: 82,0 x 75,6 mm
Leistung: 87 PS (64 kW) bei 8.000 U/min
Max. Drehmoment: 86 Nm bei 6.000 U/min
Verdichtungsverhältnis: 12,0 : 1
Kraftübertragung:
Primärantrieb über Zahnräder, mechanisch betätigte Mehrscheiben-Nasskupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette zum Hinterrad.
Fahrwerk
Leichtmetall-Brückenrahmen, vorn Telegabel mit 43 mm Standrohrdurchmesser und 125 mm Federweg, hinten Aluminium-Zweiarmschwinge, in Federvorspannung und Zugstufendämpfung verstellbares, direkt angelenktes Zentralfederbein und 125 mm Federweg.
Bremsen: Vorn 320 mm-Doppelscheibenbremse mit Vierkolben-Festsätteln, hinten 265 mm-Einscheibenbremse mit Einkolben-Schwimmsattel.
Räder: Leichtmetall-Gussräder, vorn 3.50 x 17, hinten 5.50 x 17
Bereifung: Vorn 120/70 ZR 17, hinten 180/55 ZR 17
Elektrik: 12 V, Drehstromlichtmaschine 400 W, Batterie 14 Ah
Maße und Gewichte
Länge/Breite/Höhe: 2145/905/1160 mm
Tankinhalt: 16,0 Liter
Sitzhöhe: 800 mm
Radstand: 1520 mm
Lenkkopfwinkel: 65°
Trockengewicht: 177 kg
Leergewicht: 199 kg
Zulässiges Gesamtgewicht: 405 kg
Höchstgeschwindigkeit: zirka 210 km/h
Preis/Garantie
Preis: 8.200,- Euro inkl. Liefernebenkosten, ABS 710,- Euro
Garantie: Zwei Jahre ohne Kilometerbeschränkung
Autor: Thilo Kozik
7 Benutzern gefällt dies.Gefällt mir
Also ich sehe das sehr ähnlich, wie cb-max...die Vibrationen halten sich nun wirklich im Rahmen...Natürlich kann man im Rückspiegekl keine Nummernschilder lesen, aber will ich die wissen....da bin ich doch gerade dran vorbeigefahren..... also wozu.... Fahre die F800R seit 29.6.2010, mittlerweile ca 5700km auf der Uhr und freue mich jedes Mal auf´s neue wenn ich aufsitzen kann.... einfach spaßig udn durch die Kurven kann man auch bequem an einer R1200R auch im Bericht erwähnt dranbleiben.....
Hallo,
ich fahre seid 2010 die F800R
und muß hier mal sagen, dass die "deftigen Vibrationen" gar nicht so heftig auffallen wie in den Berichten immer zu lesen ist. Eine Tatsache ist allerdings dass man in den Spiegeln nicht viel sieht "Zerrbild der Rücksicht" dies kommt natürlich von Vibrationen aber es hat auch was mit der Lagerung der Spiegel zu tun.
Ansonsten trifft der Bericht den berühmten Nagel auf den Kopf.
Gruß
cb-max