Ducati Streetfighter
Supersportler im Naked Bike-Ornat
13. December 2010 Niemand anderes als Ducati kann diese Kreatur glaubhaft kreieren: Beim Streetfighter kreuzen die Bologneser die supersportlichen Gene ihrer Superbikes mit den charakteristischen Stilmerkmalen der kultigen Monster-Familie.
Diese Ducati wirkt im Stand so leicht und locker, als könne sie kein Wässerchen trüben. Doch einmal losgelassen, dürfte die einsetzende Motoren-Urgewalt unbedarfte Naturen alsbald in einen tranceartigen Schockzustand versetzen. Der Blick aus dem schmalen Fahrersitz nach vorn zeigt den konischen Alu-Lenker vor dem Tank, ein kompaktes Digitalinstrument und… nun, nicht viel mehr als ein schmales Asphaltband und den verloren wirkenden Verkehr vor dem Vorderrad. Der transversale Lenkungsdämpfer deutet das wahre Potenzial schon an, doch zunächst wirkt die Duc wie ein potentes Mittelgewicht.
Diese Einschätzung wird mit Drücken des Startknopfes geradezu pulverisiert: Der gewaltige Lärmteppich eines großvolumigen V-Motors aus dem Shotgun-artigen Schalldämpfer-Doppelpack auf der rechten Seite umhüllt alles und gibt eine Ahnung davon, was beim Einkuppeln passiert. Augenblicke später habe ich den ersten Gang eingelegt und lasse die Trockenkupplung kommen, die Ducati donnert mit leicht gehobenem Vorderrad durch die Boxengasse des Ascari Race Resorts in Richtung der ersten Linkskurve.
Überhaupt Ascari: Dieser einzigartige und ungewöhnlich anspruchsvolle, 5425 Meter lange Privat-Spielplatz des holländischen Multi-Millionärs und Speedfreaks Klaas Zwart besteht aus 26 Kurven, sorgsam geschnitzt aus der südspanischen Landschaft nahe Ronda. Gespickt mit weitläufigen Hochgeschwindigkeitskurven, engen Schikanen, nicht einsehbaren Kuppen und einer überhöhten Steilkurve geht’s ständig bergauf und bergab, einige Abschnitte fühlen sich mehr wie eine Straße als ein Racetrack an, andere sind eindeutig rennstreckenartig mit viel Auslaufzone. Und alles zeigt einen makellosen, topfebenen Belag, den keine andere Rennstrecke zu bieten hat. Mich hat’s zum ersten Mal hierhin verschlagen, und so dienen die ersten Runden mehr dem Kennenlernen des Streckenverlaufs und vorsichtigen Aufwärmen der Pirelli Diablo Corsa III-Pneus.
Vor dem nächsten Turn fühle ich mich deutlich sicherer, und die lautstarke, bombastische Rockmusik aus den extra aufgestellten Riesenboxen mit der eingespielten unmissverständlichen Spielkonsolenaufforderung „The Fighters are ready. Select your Fighter!“ bereiten mehr Vorfreude als Irritation wie noch bei der Premiere. Die von mir gewählte rote Streetfighter S – es standen ja auch keine anderen zur Verfügung – zeigt eine schlanke und sportliche Optik trotz der ausgesprochen breiten Lenkstange und rudimentären Verkleidungsteile. Gedrungen und mit einem ungewöhnlich tief montierten, markant gestylten Scheinwerfer lauert die Duc in der Boxengasse quasi auf ihre Opfer. Und wenn ein Motorrad je eine Schokoladenseite hatte, dann dieses: Von hinten rechts betrachtet wirkt das Ensemble aus doppelläufigen Dämpferrohren, kurzem Heck und knappem Gitterrohrrahmen einfach betörend.
Ganz nebenbei erklärt dieser Anblick auch die neue Philosophie des Hauses: Statt eines mit Kühlschläuchen, Kabeln und unschönen Deckeln reichlich unelegant umgesetzten Monster-Konzepts wie noch bei der vierventiligen M S4Rs kreieren die Designer um Projektleiter Giulio Malagoli eine neues, mit aggressiven Merkmalen bestücktes Bike – die Ducati Streetfighter. Die landstraßenorientierte Monster-Familie bleibt den hübsch anzusehenden Zweiventilern mit Luftkühlung überlassen, deren Oberhaupt die für dieses Jahr ebenfalls erneuerte Monster 1100 darstellt.
Nach dem Entern meines Fighters ergibt sich eine gegenüber der alten Vorzeige-Monster wie gegenüber dem aktuellen Superbike 1098 gemäßigtere Haltung: Aufrecht hocke ich auf dem etwas dickeren Polster, die Rasten liegen einen Tick tiefer und der Lenker zwingt in eine frontorientierte Haltung. Ungeachtet der entschärften Ergonomie fällt das bei Zuckeltempo immer noch nicht komfortabel aus. Aber dafür sind wir ja nicht hier, auch nicht, um den fehlenden Wind- und Wetterschutz zu bemängeln.
Vielmehr um die druckvolle Art und Weise zu goutieren, in der uns dieser Straßenkämpfer um den Rundkurs peitscht. Für diesen Genuss ist der flüssigkeitsgekühlte Achtventiler mit 1099 Kubikzentimeter zuständig, bekannt aus dem letztjährigen Vorzeige-Superbike 1098, während das Fahrwerk im Wesentlichen auf den aktuellen Supersportlern 1198 und 1198 S basiert. Die obere Hälfte des Motors wie Zylinder, Kolben und der Ventiltrieb samt Nockenwellen stammt aus der 1098, das drei Kilo leichtere Vacural-gegossene Gehäuse und die Kurbelwelle steuert die 1198 bei. In der neuen Auspuffanlage werkelt eine Auslasswalze, die zusammen mit dem überarbeiteten Marelli-Einspritzsystem den Mittendruck ankurbelt und in der Spitze mit 155 PS bei 9500/min lediglich fünf Pferdchen weniger galoppieren lässt als das 1098er Superbike. Ein modifiziertes Kühlsystem reduziert die Baubreite durch zwei Radiatoren plus einen kleinen Öl-Wasser-Wärmetauscher anstelle der vorherigen Öl- und Wasserkühler.
Trotz der Verwandtschaft des Fahrwerks zur 1198 treten deutliche Unterschiede zu Tage: Die Streetfighter besitzt einen neuen Heck-Hilfsrahmen aus Stahl statt Alu – hier schlummert die künftige Modellpflege –, und die Geometrie zeigt sich deutlich geändert. Ein flacherer Lenkkopf (64,4 statt 65,5 Grad), mehr Nachlauf (114 nach vormals 104 mm) und eine 35 mm längere Einarmschwinge vergrößern den Radstand auf stabilitätsfördernde 1475 Millimeter.
In bester Bologneser Tradition ist diese erste Streetfrighter-Generation in Standard oder gehobener Ausstattung zu haben. Die 18700 Euro teure S-Version unterscheidet sich von der Standardversion zu 14790 Euro durch edle Öhlins- statt Showa-Federelemente, Kohlefaser-Radabdeckung vorn und Zahnriemendeckel plus geschmiedete Marchesini-Räder anstelle der herkömmlichen Zehnspeichen-Gussräder. Diese senken das 169-Kilo-Trockengewicht des Standard-Modells um weitere zwei Kilo. Außerdem ist das S-Bike wie die 1198 S mit elektronischen Finessen versehene wie der DTC-Traktionskontrolle und dem DDA Data Analyzer.
Doch zurück in den Streetfighter-Sattel. Der Achtventiler feuert auf der zweiten Session schon viel befreiter auf, die exakte Marelli-Einspritzung kümmert sich um superschnelle, geradezu digitale und dadurch mitunter etwas harte Übergänge. Schon ab 4000 Kurbelwellenumdrehungen entfaltet der L-Twin begeisternden Schub, gefolgt von einem Kick in der Drehzahlmitte, bei dem es einem heißkalt den Rücken runter läuft. Und oben herum ist längst noch nicht Schluss, das Ding rennt wie von der Tarantel gestochen in den plötzlich und hart einsetzenden Begrenzer. Bei dem breiten nutzbaren Drehzahlband macht es kaum etwas aus, wenn man die Kurven in einem Gang zu hoch durcheilt. Und auf den beiden lang gezogenen Geraden kommen die Ziffern der Digitaluhr schon mal der 260 bedrohlich nahe. Neben der Brisanz der Kraftentfaltung begeistert die Gleichförmigkeit dieses Vau-Motors, keine hinterlistige Drehmomentspitze nervt mit plötzlichem Vortrieb. Hier in Ascari steht jederzeit mehr als genug Druck zur Verfügung, und damit garantiert überall auf der Welt. Dass die Duc zugleich mit einem rundum volltönenden Vau-Beat die Hochebene erfüllt und das geneigte Testerohr umschmeichelt, haben wir erwartet – nirgendwo haben die Homologationsbeamten mehr Sinn für „Sound and vision“. Einziges Störfeuer sind bisweilen auftretende Schaltprobleme beim Einlegen des zweiten Gangs.
Für eine Ducati und insbesondere angesichts der stabilitätsfördernden Maßnahmen zeigt die Streetfighter ein unglaublich leichtfüßiges Handling. Nicht zuletzt die starke Hebelwirkung des relativ breiten Lenkers lässt die Streetfighter wie ein Fahrrad von Seite zu Seite schnipsen. Spielerisch biegt die Duc in die engen Kehren als wäre es ein japanisches Allerweltsmotorrad, auf den langen Geraden und beim Beschleunigen ergeben sich keine Stabilitätseinbußen – bis auf die durch das Naked Bike-Konzept bedingte hohe Anfälligkeit für Windböen. Markentypisch makellos auch die beibehaltene Linie durch die schnelle Bögen.
Um einer solchen Dynamik überhaupt Herr werden zu können, verschrieben die Entwicklungsingenieure der Streetfighter die Brachial-Stopper des Superbikes. Aber das ist eindeutig des Guten zu viel. Die Monobloc-Radialzangen packen dermaßen vehement zu, dass die Front blitzartig und sehr tief eintaucht. Auf der Rennstrecke und hier in Ascari bei frei gewählten Bremspunkten mag das noch angehen, im öffentlichen Straßenverkehr mit seinen Unwägbarkeiten sind die Bremsen aber deutlich zu giftig. Da hilft der Verweis auf die sanfte Gabelabstimmung durch den ebenso schnellen wie leichten Ducati-Testfahrer Vittoriano Guareschi nicht weiter. Zwar brachte die Nachjustierung der fein ansprechenden Federelemente weniger Gabeltieftauchen, doch optimal war das Ergebnis nicht.
Zum dritten Turn begrüßt mich der von mir selektierte Fighter mit leicht modifizierter Abstimmung und noch mehr Kampfesmut. Nachdem die erstaunlich klebrigen Pirelli-Pneus tolle Schräglagen möglich machen und Rasten, Fußbremshebel sowie Ganghebel schon vom raspelnden Bodenkontakt zeugten, neigt Vittoriano das schnelle Haupt und empfiehlt noch ein klitzekleines Anheben des Bikes, dann muss er weg nach Jerez, das MotoGP-Bike für den ersten Einsatz vorbereiten – natürlich auf einer Ducati Streetfighter.
Dass er auf dem Weg dorthin keinen Local Hero zu fürchten braucht, liegt zum einen an seinen außergewöhnlichen fahrerischen Fähigkeiten, zum anderen an Ducatis neuem Streetfighter: So kompromisslos und konsequent auf Sportlichkeit getrimmt können ihr die anderen Naked Bikes auf der Rennstrecke nicht das Wasser reichen, selbst einige ausgewachsene Supersportler wird sie hier vernaschen. Abseits abgesperrter Rundstrecken gehört sie in die Hände eines erfahrenen Piloten, der die vorhandenen Qualitäten wohldosiert einsetzen kann – und der den dafür verlangten satten Obolus zu schätzen weiß.
Technische Daten
Motor:
Flüssigkeitsgekühlter 90-Grad-Zweizylinder-Viertakt-V-Motor, vier Ventile, zwei obenliegende Nockenwellen pro Zylinder, elektronische Kraftstoffeinspritzung mit ovalem Drosselklappendurchmesser, geregelter Katalysator, E-Starter.
Hubraum: 1099 ccm
Bohrung x Hub: 104 x 64,7 mm
Leistung: 155 PS (114 kW) bei 9.500U/min
Max. Drehmoment: 115 Nm bei 9.500 U/min
Verdichtungsverhältnis: 12,5 : 1
Kraftübertragung:
Primärantrieb über Zahnräder, hydraulisch betätigte Mehrscheiben-Trockenkupplung, Sechsganggetriebe, O-Ring-Kette zum Hinterrad.
Fahrwerk
Gitterrohr-Stahlrahmen, vorn in Federvorspannung, Zug- und Druckstufendämpfung verstellbare Upside-Down-Telegabel mit 43 mm Gleitrohrdurchmesser und 120 mm Federweg, hinten Aluminium-Einarmschwinge, in Federvorspannung, Zug- und Druckstufendämpfung verstellbares, über Hebelsystem angelenktes Zentralfederbein mit 127 mm Federweg.
Bremsen: Vorn 330 mm-Doppelscheibenbremse mit radial montierten Vierkolben-Festsätteln, hinten 245 mm-Einscheibenbremse mit Zweikolben-Schwimmsattel.
Räder: Leichtmetall-Gussräder, vorn 3.50 x 17, hinten 6.00 x 17
Bereifung: Vorn 120/70 ZR 17, hinten 190/55 ZR 17
Elektrik: 12 V, Drehstromlichtmaschine 480 W, Batterie 10 Ah
Maße und Gewichte
Länge/Breite/Höhe: 2100/780/1114 mm
Tankinhalt: 16,5 Liter, davon 4 Liter Reserve
Sitzhöhe:840 mm
Radstand: 1475 mm
Lenkkopfwinkel: 64,4°
Trockengewicht: 167 kg
Leergewicht fahrfertig: 198 kg
Zul. Gesamtgewicht: 390 kg
Preis/Garantie
Preis: 18.700,- Euro (Standard: 14.790 Euro)
Garantie: Zwei Jahre ohne Kilometerbeschränkung
Inspektionsintervalle: 1000 km, danach alle 12.000 km
Autor: Thilo Kozik
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@ Master 300: ich stimme deinem Kommentar 100% zu!
@Husky0: wenn man keine Ahnung hat,einfach mal die Fre... halten!
Es geht doch nichts über ein gepflegtes Vorurteil - auch wenn es noch so unbegründet sein mag. Aber lieber ein Motorrad, das süchtig macht, als eine Nähmaschine, von der an jedem Kiosk 10 gleiche rumstehen.
Wer eine Ducati kauft, weiß was ihn erwartet - aber auch was er dafür bekommt. Geiz ist geil gilt für andere.
Was für ein Text: Könnte auch "Ode an die Ducati Streetfighter" heißen. ;O)
@Husky0: So würde ich das nicht sagen. Ducati hat sich arg verbessert. Über den italienischen Design brauch man sich ja ohnehin nicht streiten. Wenn die Erwerbspreise und Wartungskosten nicht so exklusiv wären, würde ich sicherlich auch gerne Ducati fahren. Das macht süchtig. Allein der Sound eines V2 Desmo's ist schon unverwechselbar....Und ein Blickfang ist so eine Ducati ohnehin... wuuaahhh :)))
der einzige nachteil dieses teiles ist,wie bei fiat:fehler in allen teilen....