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redhead 20.06.2008

Nordkap und zurück – Teil 2

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Nordkap und zurück – Teil 2

Schneeabenteuer in Mittelnorwegen
Ich bin Genussfahrer und im Herzen Südafrikaner. Wenn mir einer vor der Reise gesagt hätte, das es sich um eine Tour handelt die von Regen und Schnee dominiert ist, wäre ich nicht mitgefahren. Aber schön der Reihe nach. Erst der überraschende Wintereinbruch mitten im August und dann die neuen Erkenntnisse im Kampf gegen mich selbst.
Irgendwie ist Norwegen das Land der Tunnels, das war mir vorher nie so bewusst. Wir erreichten gerade noch die 12-Uhr-Fähre und setzten nach Brimnes über. Auf der anderen Seite angekommen erwarteten uns die nächsten Tunnel, die Strassen waren eng und kurvenreich, mit vielen Spitzkehren. Überhaupt war heute wieder Tunneltag. Davon stand nichts in unserem Reiseführer. Kaum hatten wir einen hinter uns, so kündigte sich schon der nächste an. Es nervte! Heute regnete es nicht, also wollten wir gerne mehr von der Landschaft sehen als nur dunkle Mauern. Wir hielten und versuchten anhand der Landkarte herauszufinden welche Alternativen es gab, suchten nach einer Strecke ohne Tunnel. Es waren mehrere Strassen eingezeichnet die keine Nummern mehr hatten, sie führten immerhin in die richtige Richtung.
„Kommt lasst es uns versuchen, mehr als Umkehren kann dabei nicht herauskommen“, schlug Hannes vor.
Wir nickten zustimmend und starteten die Motoren und fädelten in der festgelegten Reihenfolge wieder in den Verkehr ein. Es war eine gute Entscheidung die größere Straße zu verlassen. Nach jeder Kurve wurde die Aussicht über Fjorde und Berge aufregender. Der blaue Himmel und die überwältigende Landschaft existierte nicht nur in unserer Phantasie und den Büchern.

Wir fuhren weiter, die Straße schraubte sich immer höher hinauf. Kurz vor der Schneegrenze bleiben wir noch mal stehen und machten ein Foto mit blauem Himmel und der Aussicht hinunter in den Fjord. In die andere Richtung waren bereits die uns wohlvertrauten grauen Wolken aufgezogen, sie bildeten inzwischen eine dichte Wand. Ich ahnte nichts Gutes. Wir fuhren weiter, es setzte leichter Nieselregen ein, nach einiger Zeit ging er in zarte Schneeflocken über. Sie tanzten vor meinem Visier, schwebendleicht, in einer nicht vorhersehbaren Choreographie. Setzten sich auf das Visier, versperrten mir die Sicht. Die einzelnen Altschneeflecken wuchsen zu einer zusammenhängenden Schneedecke zusammen. Auf der Straße bildete sich Anfangs eine dünne Schicht Matsch. Wenn das mehr wird, wird es taff mit den vollbeladenen Mopeds. Ich wollte gar nicht weiter denken. Wir hielten an. Keiner sagte etwas. Ich machte einige Beweisfotos, der Schnee war inzwischen zehn Zentimeter hoch. Wir beschlossen umzudrehen, es hatte keinen Sinn auf dieser Strecke weiterzufahren. Es würde keine zwei sondern mindestens fünf Stunden dauern bis wir in Sogndal wären. Die Sicht war lausig. Das Visier beschlug von innen. Die Abfahrt mit steilen Abschnitten auf dem Schneematsch war gefährlich, die Strecke forderte mich. Ich konnte der Tour inzwischen absolut keinen Spaß oder Erholungseffekt mehr abgewinnen. Ich wollte nach Hause. Ich wollte auf unsere Dachterrasse, gemütlich im Liegestuhl liegen, ein Buch lesen und Kakao trinken. Und den Sommer genießen!
Unsicher fuhr ich auf der rutschigen Bergstrecke in Richtung Tal.
Das Wetter wurde mit jedem Meter den wir den Berg hinab kamen besser. Die erste Vegetation die wir sahen waren Birken, sie sahen aus als würden sie gerade erst ausschlagen. Die Strasse zog sich fast unendlich durch die Berge ohne ein Anzeichen jeglichen menschlichen Lebens. Micha fuhr stur weiter, ohne eine Pause. Ob er das Ziel kannte oder einfach nur fuhr um irgendwo anzukommen? Nach einer weiteren Stunde stießen wir endlich wieder auf einen Fjord. Dann erreichten wir die nächste Fähre. Der Spaß war uns gründlich vergangen. Laut einem schon etwas altersschwachen, verblichenen Straßenschild war Sogndal der nächste Ort, 86 Kilometer. Sie zogen sich. In einem Stück ankommen und nicht erfroren sein, das war im Moment mein sehnlichster Wunsch.
Der Campingplatz war gut ausgeschildert und wir mieteten eine Hütte. An zelten dachten wir inzwischen nicht mehr. Die Hütte lag am Berg mit Blick auf den Sogndalsfjord, sie war aus rotgestrichenem Holz gebaut, mit einer kleinen Terrasse und einem großem Panoramafenster. Sie war um einiges geräumiger als die Letzte. Der kleine Ofen verströmte schnell den Hauch von wohliger Wärme. Ich fragte mich ein weiters Mal wann unsere Klamotten mal wieder wirklich trocken werden würden. Die Sachen darunter waren auch feucht, aber nicht so nass wie gestern. Dafür waren wir dieses Mal gefrostet.
An diesem Abend saßen wir noch lange auf der Eckbank mit Aussicht. Die Mitternachtssonne irritierte uns, wir wurden einfach nicht müde. Es war noch immer nicht richtig dunkel, sondern nur dämmerig. Es war eine Stimmung wie ein unendlichlanger Sonnenuntergang mit einem Intermezzo an Nacht und folgendem Sonnenaufgang, ein wunderschönes Farbenspiel das nicht enden wollte. Die Mitternachtssonne hatte uns in ihren Bann gezogen. Wir konnten uns von diesem Spektakel kaum losreißen. Irgendwann gingen wir dann doch schlafen.
Am nächsten Morgen war es noch überwiegend grau, dicker Nebel lag im Fjord. Von der anderen Seite des Fjords hörten wir das Rauschen eines Wasserfalls. Am gegenüberliegenden Ufer war die Stabskirche von Urnes. Wir könnten entweder mit der Fähre übersetzen oder um den hinteren Teil des Fjords herum fahren.Nach dem Tanken ging’s los. Wir wählten den Streckenverlauf um den Fjord, die enge Strasse schlängelte sich nahe am Wasser um den Berg und es machte richtig Spaß. Auf der Nordseite war sie ganz gut ausgebaut, die letzten Kilometer war sie nicht mehr geteert und wir mussten entsprechend angepasst fahren. Ohne Gepäck und auf trockener Strasse, war das Fahren sehr viel angenehmer. Nach ungefähr zwei Stunden erreichten wir eine der ältesten Holzkirchen Norwegens, die auf einer Landzunge, die tief in den Luster-Fjord reicht, steht. Laut dem Reiseführer war die Kirche nicht unbedingt typisch, sie hat keine Drachenköpfe, auch konnte man keine rätselhaften vorchristlichen Masken sehen.Ihre Bögen und Kapitelle erinnerten eher an eine romanische Basilika aus Stein. Die Vorbilder könnte man in Italien und Frankreich vermuten. Wir mutmaßen ob die Wikinger in Italien waren, oder woher die Erbauer Bilder von den dortigen Bauwerken kannten. Die heutige Kirche wird auf ca. 750 Jahre geschätzt. Um die Kirche herum ist ein kleiner Friedhof angelegt, in ihm stehen vereinzelte weiße Grabsteine. In der Sonne war es angenehm warm. Etwas außerhalb des Friedhofgeländes befand sich eine kleine Bank. Sonne den ganzen Tag so könnte es bleiben.

Die nächsten Tage fuhren wir auch wieder hauptsächlich im Regen der sich nur dadurch Unterschied das es manchmal nieselte, manchmal wie aus Eimern schüttete oder zeitweise mit Schneeflocken durchsetzt war. Wegen des miesen Wetters ließen wir sämtliche Möglichkeiten, einen Abstecher zu irgendwelchen Sehenswürdigkeiten zu machen, unter den Tisch fallen. Wir verzichten schweren Herzens auch auf den Jostedalsbeeren Nationalpark. Irgendwo stand neben zwei Mülltonnen ein Schild das verkündete, dass wir 1434 m über dem Meeresspiegel waren. Wir hielten kurz an, zumindest ein Alibifoto, sonst glaubt uns zu Hause doch keiner dass wir eine Schneetour machen. Ein kurzer Blick auf die Karte verdeutlichte uns das unser geplantes Tagesziel noch weit entfernt war. Also würden wir auch heute vom Plan abweichen. Wir kamen wegen des schlechten Wetters nur langsam voran. Wir glitten mehr über die Straße, schalteten mechanisch, folgten dem vorgegebenen Verlauf.

Am nächsten Morgen hatte der Regen aufgehört, dafür blies ein kalter Wind, er vertrieb die tiefhängenden Wolken nach und nach. In die Berglandschaft eingebettet waren mehrere Seen die teilweise noch oder schon wieder zugefroren waren. Wie sieht das hier im Winter aus, ging mir durch den Kopf. Der Wind, der widerstandslos über den Boden fegte, trieb das letzte Quäntchen Wärme aus meinem Körper. Dieses Gefühl der Kälte hatte ich noch nie so intensiv erfahren, es war überall. Eisiger Wind pfiff in jede Visierritze, durch die Reisverschlüsse, das Moped war schwer auf der Straße zu halten. Obwohl die Strasse ei ne Hauptverbindungsroute war, kamen uns unterwegs sehr wenige Fahrzeuge entgegen.
Das Schicksal war gegen uns, es kamen mehrere Baustellen. Tempolimit 50, wir fuhren 30, es war wie ein Hindernislauf, der Regen hatte die Schotterstrasse aufgeweicht und tiefe Löcher hinein gespült. Wir fuhren zeitweise nur noch Schrittgeschwindigkeit. Es gab keine Alternative, die Baustelle zog sich, wir wollten noch mindestens bis in die Nähe des Geirangerfjords kommen und uns dort eine Hütte suchen. Und das möglichst solange es nicht wieder zu regnen begann.
Wir fuhren ein Stück auf der Europastrasse, sie ist gut ausgebaut und wir kamen gut voran. Leider hielt der Zustand nicht allzu lange an, schon bald bogen wir auf die kleine Strasse die sich am Nordfjord entlangschlängelt ab, die Kurven hatten uns wieder, wir verloren merklich an Geschwindigkeit. Je weiter die Straße anstieg, desto mehr zog sich der Himmel zu halten, selbst bei gedrosseltem Tempo. Wir kamen nach Grotli, der Ort bestand aus kaum mehr als einem Hotel. Keine Hütten, kein Campingplatz. Wir froren und waren am Ende unserer Kräfte. Um uns tobte ein Schneegewitter. Was nun? Weiter? Der nächste Ort der auf unserer Karte eingezeichnet war lag ca. vierzig Kilometer entfernt und eine weitere Passhöhe lag dazwischen. Bei dem Wetter über noch eine Passstrasse? Wir beschlossen weiterzufahren, viel Schlimmer konnten es nicht mehr kommen.
Als ich am nächsten Morgen zum Fenster hinaus sah, bemerkte ich dass tatsächlich etwas Neuschnee gefallen war. Ein kurzes Stück von unserer Hütte entfernt erhaschten wir den ersten Blick auf den Geirangerfjord. Sah ganz nett aus, aber im ewigen Grau in Grau sah irgendwann ein Fjord wie der andere aus.
Die Tour war sowohl physisch wie auch mental eine große Herausforderung. Wir waren so sehr aufeinander angewiesen, hingen den ganzen Tag und die Nächte zusammen. Wir hatten uns trotz der widrigen Umstände noch nicht gestritten. Jedoch einiges über den anderen erfahren was neu war.

to be continued...

Kommentare


ABSENDEN

Offline
tundrarabbit
Interessanter Bericht, zudem ich die Strecke auch kenne. War 2010 im September da und das war auf der Kurztour auch der einzige Sonnentag und ich konnte noch im Lüsterfjord baden.
Noch ein Hinweis, die Mitternachtssonne reicht nur bis zum Polarkreis, und dort auch nur am Tag der Sommersonnenwende. Am 62. Breitengrad, wo Ihr gewesen seid, ist Anfang August gerade mal noch die nautische Dämmerung um die Mitternachtszeit. Nur die Dauer der Dämmerung zieht sich im Norden wesentlich länger hin, als in südlichen Breiten.
Nichts desto trotz, Hut ab vor Eurer Leistung, sturzfrei durch den Schnee gekommen zu sein.
tundrarabbit
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juescho
Ein eindrucksvoller Reisebericht und natürlich 10 Pts. Für mich erneut die Bestätigung weiterhin lieber in die entgegengesetzte Richtung zu fahren ;o).
Jürgen
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redhead
Ich bin Genussfahrer und im Herzen Südafrikaner. Wenn mir einer vor der Reise gesagt hätte, das es sich um eine Tour handelt die von Regen und Schnee dominiert ist, wäre ich nicht mitgefahren. Aber schön der Reihe nach. Erst der überraschende Wintereinbruch mitten im August und dann die neuen Erkenntnisse im Kampf gegen mich selbst.  mehr...
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Missing_mini
Gelöschter Benutzer
Ganz toll. Ich habe Norwegen bei günstigerem Wetter erlebt. Dafür haben mich dann die Mücken gepiesakt!
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