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Dirk0 23.05.2003

Auf dem Dach Italiens

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Abruzzen
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Auf dem Dach Italiens

Im Sommer durch die Abruzzen
Fern der toskanischen Museen, weit ab von den quirligen Metropolen und nur schwer zugänglich fristet die Wade des italienischen Stiefels zu Unrecht ein Schattendasein jenseits der Strände von Adria und tyrrhenischem Meer. Eine rauhe Natur mit erholsamer Ursprünglichkeit prägen das höchste Gebirge des Apennin. Im einsamen Bergland zwischen L'Aquila und Isernia erlebten wir das andere Italien.
Die komplette Reportage mit vielen Bildern findet Ihr unter http://www.motorradkarawane.de​/repo/index.html​ (unter "Regionen" Abruzzen auswählen, die Reportage steht dann an an erster Stelle) Viel Spaß beim Lesen!

Ich fahre keine Rennen. Normalerweise. Aber was sich da an gewaltiger dunkler Wetterfront vor uns auftut, läßt uns auf der Stelle kehrt machen und den Gashahn auf Anschlag stellen. Groß, stark, schwarz nähert sie sich bedrohlich schnell, treibt einen scharfen Wind vor sich her.

Aufgescheuchte Vogelschwärme fliehen mit uns zurück nach Osten. Wo war die letzte Ortschaft, der letzte Unterstand? Klaus treibt die BMW mit Claudia voran als sei der Leibhaftige hinter uns her. Im Rückspiegel droht Diana mit der Transalp vom Unwetter verschluckt zu werden. Da endlich, ein Dorf, ein Café. Windböen peitschen alles von den Gassen und die ersten dicken Tropfen prasseln wie Graupel nieder, als wir in die Kaffeestube eintreten.

Mit einer tüchtige Portion Eis feiern wir unseren knappen Sieg gegen das Unwetter. In der Laune von Rallyegewinnern schlecken wir Stracciatella mit dicken Schokoladenstücken und beugen uns über die Karten, um den ersten Ankerpunkt unserer Reise durch die Abruzzen festlegen. Lago di Barrea heißt das Tagesziel, als uns der Unwettergott endlich ziehen läßt.

Über hundert Oldies
Kurz vor Isernia stehen bestimmt über einhundert Motorräder an einer Tankstelle. Kein Motorradclub sondern die Vetranenrallye Milano - Taranto macht hier eine kurze Rast. Jedes Jahr, erklärt uns Luigi, der mit seiner Einzylinder-Guzzi dabei ist, fahren über hundert Oldies von der Metropole der Lombardei bis an den Absatz des italienischen Stiefels. Früher sei man die Strecke an einem Stück gefahren. Ja früher, da war vieles anders.

Heutzutage rufen die graumelierten Herren mit dem Handy bei Mutti an, ordern den Mechanikerservice oder lassen sich vom elektronischen Tripmaster an der antiken Falcone den Reiseschnitt errechnen. Wehmütig blickt Luigi auf die ehrwürdigen Schätzchen, die meisten im typischen Rot der Italorenner. Selbst die Polizia Stradale ist mit einem grünen Guzzi-Gespann, dass von einem Hauch Patina umweht wird, im Rennen.

Im letzten Büchsenlicht erreichen wir Barrea, das namensgebende Örtchen des aufgestauten Lago di Barrea und schauen in das Licht der hinter den Gipfeln der Montagna Spaccata versunkenen Sonne. Für wenige Minuten ragen die Berge wie Scherenschnitte einer Modellandschaft in den silbern spiegelnden See. Als die gebrochenen Strahlenbündel endgültig hinter den Bergkämmen abgetaucht sind, wird es für uns höchste Zeit eine Unterkunft zu finden. In Civitella Alfedena über dem Sangro-Tal, wo im mageren Schein der wenigen Laternen die Bruchsteinhäuser des kleinen Dorfes beleuchtet werden, finden die Motorräder ihren heutigen Ruheplatz.

Die letzten Braunbären
Der Besitzer des Albergo am kleinen Supermarkt preist seine Zimmer damit an, dass die Gäste, die vor uns hier übernachtet haben, gestern einen der letzten Braunbären der Abruzzen gesehen haben. Mag sein, dass er uns gerade den Bären aufbindet, über den er redet, aber auch ohne Meister Petz sind die Zimmer so ansprechend, dass wir auf sein Angebot eingehen

Klaus und Claudia verabschieden sich von uns. Ins zwei Tagen beginnt für sie der Arbeitsalltag wieder, während wir uns in Richtung Pescasserolli und Passo di Diavolo trollen. Der Teufel mag mit diesem Paß tatsächlich etwas zu tun haben, da Diana immer weiter hinter mir zurückfällt. An ihrer Twin rutscht die Kupplung auch nach mehrmaliger Justage durch, obwohl die Enduro gerade mal 10.000 Kilometer auf dem jungen Buckel hat. Mit Ach und Krach überqueren wir den Paß und rollen mit abgeschaltetem Motor nach Gioia.

Die Antwort auf die Frage nach dem "Was jetzt?" versuchen wir bei einer Tasse Caffé latte zu bekommen, als wir von einem der Kaffeehausgäste angesprochen werden. "Soll ich Euch mal ein richtiges Motorrad zeigen?", fragt uns der Mittfünfziger mit einer Reibeisenstimme, die der von Paolo Conte in nichts nachsteht. Wir sind gespannt was Steny unter einem richtigen Motorrad versteht. Mit seiner siebenjährigen Enkelin, die er bei uns zurücklässt warten wir kaffeeschlürfend auf seine Rückkehr. Kaum zwei Minuten später kommt er mit einer ballernden Falcone, Baujahr '51 zurück. "Schon damals mit Up-SideDown-Gabel. Das war noch Technik", grinst er breit. Mit der kupplungsgeschwächten Transalp im Rücken können wir ihm nicht widersprechen. Er habe auch noch eine Pan European, aber gegen eine Falcone sei das natürlich nichts.

Mit der Hingabe, die ich an Italienern immer bewundere, erläutert er die technischen Details seines feuerroten Spielmobils. Mit sorgenvoller Miene, die Steny nicht entgeht, denkt Diana derweil an die Weiterreise. "In Sulmona gibt es eine Werkstatt, die den Schaden beheben kann", rät er und gibt damit unser nächstes Ziel vor.

Die Mutter Gottes braucht Deine Hilfe
Bevor wir aufbrechen, bittet mich Steny ihn kurz zu begleiten. "Die Mutter Gottes braucht Deine Hilfe", sagt er und nimmt mich an der Hand. Vor dem Kirchportal treffen wir auf zwei ergraute Ordensschwestern, die eine lebensgroße Madonnenstatue in die Kirche transportieren wollen, vor deren Gewicht aber kapitulieren. Zu zweit tragen wir die Statue auf den vorgesehenen Platz gleich neben dem Altar und ich kann mir den Schweiß von der Stirn wischen, der bei dem Gedanken auftrat, dass uns die schwere Statue aus den Händen gleiten könnte.

Der kürzeste Weg nach Sulmona führt über die Autobahn, die wir jedoch wegen der vielen Tunnel meiden wollen. Statt dessen wählen wir den Weg durch die Ebene der Plana del Fucino, wo es einen See von der Größe des Lago Trasimeno gab. Zugunsten der Landwirtschaft wurde er jedoch trockengelegt. Der weitere Weg über die Berge wäre der reine Fahrspaß, mit der rutschenden Kupplung ist es eine Zitterpartie. Immer die Frage im Nacken, ob die nächste Steigung noch zu schaffen ist.

In Sulmona lernt die Transalp die Werkstatt von Corrado Tuzzi, einem ehemaligen Rennfahrer, von Innen kennen. Pokale von gewonnenen Rennen und Photos aus schnellen Tagen künden von der Kompetenz des Meisters auf den Rundkursen der Welt. In wenigen Tagen, wenn die neue Kupplung aus Rom eingetroffen ist, können wir weiterreisen, wird uns versichert.

Windschiefe Wände, schräge Böden, knarrende Dielen
Wir beziehen Quartier im Hotel Italia, dass mitten in der Altstadt der quirligen Stadt liegt. Windschiefe Wände, schräge Böden und knarrende Dielen schaffen eine heimelige Atmosphäre. Der Blick nach draußen führt direkt ins Fenster des gegenüberliegenden Hauses. Hier lebt man auf Tuchfühlung. Die einbrechende Dämmerung ist genau der richtige Zeitpunkt, sich am Corso, dem allabendlichen Spaziergang in Italien zu beteiligen und die Stadt näher kennenzulernen.

Ihr hervorstechendes Merkmal ist eine antike römische Wasserleitung, die als Aquädukt direkt am Marktplatz vorbei führt. Von hier sind im Abendrot die Schneekappen der Massive am Passo San Leonardo zu sehen. Die laue Abendluft sitzt mit am Tisch als wir im Straßencafé an der Fontana del Veechio den Tag mit einem San Bitter beschließen. Die rote Farbe des campariähnlichen Getränks erinnert mich stark an den Hustensaft aus Kindertagen. Schmecken tut er allerdings besser, obwohl wir nicht richtig glauben wollen, dass der Tropfen vollkommen alkoholfrei ist.

Während sich Corrado am nächsten Tag an den Eingeweiden von Dianas Motorrad zu schaffen macht, starten wir zu einem kleinen Ausflug zu dem Ort, den wir am Abend zuvor aus der Stadt gesehen haben, dem Passo San Leonardo. Durch die Felder vor Sulmona bummeln wir den Bergen entgegen, atmen durch die geöffneten Visiere intensive Kräutergerüche ein, dass man fast Hunger auf eine oreganobestreute Pizza bekommen könnte.

Durch die Gassen des mittelalterlichen Pacentro, dessen turmbestandenes Kastell weithin sichtbar ist, folgen wir der Straße in engen Serpentinen bis zur Paßhöhe auf 1300 Metern. Ein paar Skilifte, die in den blühenden Wiesen deplaziert wirken und ein Refugio, dass schon bessere Zeiten sah hat man hier in der Hoffnung auf ein wenig Tourismus hingesetzt. Doch auch hier ist nicht zu verkennen, dass die Abruzzen zu den selten besuchten Reisezielen gehören. Der wirtschaftlichen Entwicklung käme ein Mehr an Touristen sicherlich nicht ungelegen, für den Charme der Region steht das nicht zu erwarten.

Plastiktüte am Lenker
Zurück in Sulmona wird auf der Piazza Garibald gerade Markt abgehalten. Beeindruckende alte Frauen warten trotz ihrer Gebrechlichkeit mit zwei, drei Bündeln wohlriechender Kräuter, die sie selbst gesammelt haben, ein Schwätzchen haltend auf Kundschaft. Gleich nebenan werden gelbe Zucchiniblüten verkauft, die später einer köstlichen Suppe das Aroma geben werden. Können wir an diesem Angebot gerade noch vorübergehen, ist es am Käsestand um uns geschehen. Fast drei Kilogramm mittelalter Parmesan wechseln über die Theke des Verkaufswagens die Besitzer. Schließlich wollen wir zu Hause nicht nur von den gedanklichen Erinnerungen an diese Reise zehren. Nur, wo sollen wir die Käseklumpen überhaupt verstauen? Wie zu Kindertagen die Plastiktüte an den Fahrradlenker gebunden wurde befestige ich die Tüte mit dem Parmesan an der Lenkstange der Twin. Bis zum Hotel soll das wohl gut gehen.

Die schlechte Nachricht des Tages hören wird von Corrado: Die Ersatzkupplung muss aus Brüssel angefordert werden, dass kann noch ein paar Tage dauern. Wir beschließen, Sulmona als Standort zugunsten des Hochgebirgsnationalparks Gran Sasso bei L'Aquila aufzugeben. Die Gedanken schweifen zwei Wochen zurück, als wir bei der Anreise über Terni, Rieti und L'Aquila im Dauerregen aufgeweicht sind. Schlaff und traurig hing der Himmel bis auf die Bergspitzen nieder. Unseren damaligen Entschluß, den nasskalten Abruzzen vorläufig das Rücklicht zu zeigen haben wir nicht bereut. Auf der Halbinsel Gargano durchflutete eine milde Sonne unsere ausgekühlten Körper. In aller Gemütsruhe konnten wir auf eine Wetterbesserung in den Bergen warten.

Heute sehen wir L'Aquila, die Hauptstadt der Abruzzen, in einem freundlicheren Licht. Vom geschäftigen, bisweilen nervigen Treiben der Metropolen weit entfernt bestimmt hier eine ruhigere Gangart den Lauf der Dinge. Im Café auf der Plazza del Duomo verquatschen smarte Männer ihre Mittagspause bei einer Tasse Espresso. Schülerinnen ordern schnatternd Gelatti während zwei Motorradfahrer trotz frischem Wind in den allgegenwärtigen weißen Plastikstühlen vor dem Café Platz nehmen. Die unförmig über den kleinen Tisch ausgebreitete Landkarte schlägt als Stützpunkt für Exkursionen in den Gran Sasso Nationalpark den Ort Fonte Cerreto bei Assergi vor. Noch zwei Caffé latte und wir fühlen uns innerlich warm genug, die letzte Etappe dieses Tages in Angriff zu nehmen.

Campo Imperatore
Fonte Cerreto verdankt seine Existenz im wesentlichen der Seilbahn, die direkt auf den Campo Imperatore, das Hochplateau des Nationalparks, führt. Mit welchem Andrang durch Wintersportler zu rechnen ist, dokumentiert der gigantische Parkplatz gleich unterhalb des Campingplatzes. Das Dörfchen könnte zigmal darauf aufgebaut werden. Aber der Schnee reicht hier schon seit Wochen nicht mehr zum Skifahren und so liegt die Asphaltdecke verwaist herum.

Der Campo Imperatore mit seinem Refugio gelangte durch eine Begebenheit während des zweiten Weltkriegs zu zweifelhafter Berühmtheit. Mussolini, der italienische Faschistenführer, war von den Amerikanern ins Netz gegangen und wurde in der schwer zugänglichen Einöde des Gran Sasso gefangen gehalten. Hilfe wurde ihm im Herbst 1943 aus Nazi-Deutschland zuteil, als die Wehrmacht mit Lastenseglern anrückte, um den Duce zu befreien. Die von den Faschisten als Husarenstück gepriesene Aktion gelang und verschaffte dem italienischen Diktator noch ein paar Monate Freiheit und Lebenszeit.

Heute wird im Refugio, das eher Hotelcharakter hat, das Gefängnis Mussolinis gegen ein Entgelt gezeigt. Darauf können wir getrost verzichten, ebenso auf den Kauf der Postkarten, auf denen die Befreiungsaktion gezeigt wird. Viel interessanter ist die kleine Ausstellung in der Seilbahnstation, die den schwierigen Bau der Bahn darstellt. Die ersten Skitouristen, die sie nutzten, waren wohlhabende Leute aus Rom und Florenz zu einer Zeit, als Skifahren fast noch als Zeitvertreib spleeniger Neureicher gelten konnte und vom Massensport noch weit entfernt war. Doch die goldenen Zeiten, die auch das Refugio erblühen ließen, sind lange vorbei. Die zinnoberrote Farbe blättert in großen Stücken vorn windumtosten Haus und außer den wenigen Touristen, die in die Sackgasse zum Campo Imperatore einbiegen, bekommt es nur wenige Menschen zu sehen,

Von Gletschern glattgeschliffen
Vorbei am Osservatorio Astronomico kraxeln wir zur Schutzhütte auf dem Grat zwischen dem Corno Grande und dem Monte Portella hoch. Die Hütte ist auf Wanderer eingerichtet und bietet Minimalkomfort. Wir wollen allerdings nicht übernachten, sondern nur den Blick über die 150 Quadratkilometer große Hochebene des Campo Imperatore auf uns wirken lassen. Von einem gewaltigen Gletscher glattgeschliffen, präsentiert sich das Plateau erhaben in mattem Grün. Flankiert von den rauhen Gipfeln der fast 3000 Meter hohen nördlichen Gran-Sasso-Bergkette kann man heute noch sehen, bis zu welcher Höhe der Gletscher reichte. In der Gegenrichtung, tief unten im Tal kann man die Autobahn erkennen, wie sie die uralten Gesteinsriesen mit Asphalt durchbohrt.

Wieder auf dem Motorrad kurven wir zwischen schmelzenden Schneewänden hindurch talwärts nach Castel del Monte. Die alte Festung liegt am Steilabfall des Hochplateaus nach Süden. Von den heute verfallenden Mauern ließen sich alle Bewegungen tief unten im Tal kontrollieren. Im Rücken der Burgherren lag der einsame Gran Sasso, von wo keine Bedrohung zu erwarten war. Als letzter Vorposten vor dessen rauhen Natur steht eine Kapelle, die den Reisenden ein letztes Mal daran erinnert, sich seiner Vergänglichkeit bewußt zu werden.

Eine schmale Piste führt an ihr vorüber und trifft schließlich auf die Straße nach Santo Stefano di Sessanio. Schon aus der Adlerperspektive ist das kreisrunde mittelalterliche Dorf mit dem ebenfalls kreisrunden See gut zu erkennen. Man könnte meinen, daß im Ort Siesta herrscht, aber vermutlich ist es nicht nur das, was Santo Stefano die Ruhe beschert. Viele Häuser sind verlassen und verfallen. Vergebene Mühe hier nach einem Ort zu suchen, der das Verlangen unserer mittlerweile knurrenden Mägen stillen könnte. Am See vorbei wollen wir den Ort verlassen, doch im letzten Augenblick fällt unser Blick auf ein kleines Schild, das Gutes verheißt: Trattoria.

Wir sind die einzigen Gäste und werden von einem Großmütterchen bedient, das als Vorspeise Ravioli empfiehlt. Wir ringen den Gedanken an die Billigprodukte in deutschen Supermärkten nieder und werden überrascht. So also schmecken richtige Ravioli. Bouno apetito! Unterdessen hat sich die Gaststube mit Gästen gefüllt und unsere betagte Bedienung spannt mittlerweile die Gäste ein, um Speisen und Getränke aus der Küche zu holen. Dort offenbart sich, daß die Köchin über den dampfenden Töpfen ebenfalls das Methusalixalter überschritten hat. Mit stoischer Ruhe und gekonnter Einbindung der Gäste wird der Restaurantbetrieb dennoch aufrecht erhalten. Nicht nur was das Essen angeht ein echter Geheimtip.

Die Brücke fehlt
Am Lago di Campostoto, auf der nördlichen Seite des Gran Sasso überrascht uns die RV-Landkarte mit der Auslassung wesentlicher Details. Eine den See überspannende Brücke fehlt vollkommen in der Karte. Zu jung kann die Brücke nicht sein, als dass man sie in die aktuelle Version hätte aufnehmen können, denn die Jahrzehnte ältere und mittlerweile ausgediente Schwesterbrücke steht gleich daneben. Immerhin, wir können uns einen Umweg von gut dreißig Kilometern auf dem Weg nach Prati di Tivo ersparen. Konnten wir vom Campo Imperatore den 2912 Meter hohen Corno Grande bestaunen, liegt Pratii di Tivo zu Füßen des kleinen Bruders, dem Corno Piccolo. Eigentlich führt von hier eine Piste nach Isola di Gran Sasso, doch die dichter werdenden Wolkenfetzen über dem Corno Piccolo treiben uns schnell wieder die Serpentinen hinunter in das Val Vomano.

Dem drohenden Regen auszuweichen und am frühen Nachmittag wieder in Fonte Cerreto einzutreffen erweist sich als vorteilhaft. Die Werkstatt aus Sulmona hat den Campingwart angerufen. Die Transalp steht zur Abholung bereit. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und brechen ins neunzig Kilometer entfernte Sulmona auf. Ein merkwürdiges Gefühl beim Lenken läßt mich stutzen. Ein Gefühl als hätte der Vorderreifen einen Platten. Aber das kann, das darf nicht wahr sein! Montiereisen und Flickzeug haben wir zwar dabei, doch die Pumpe verbringt derweil geruhsame Stunden mit der Transalp in Sulmona. Es dämmert bereits und das Wochenende steht vor der Tür. Uns bleibt nichts anderes im Schritttempo nach Popoli, dem nächsten größeren Ort, zu fahren, wenn wir das Motorrad noch vor dem Wochenende bei Corrado abholen wollen. Daß der Vorderreifen dabei vollends ruiniert wird, nehme ich in Kauf. Das Profil wäre ohnehin bald verschlissen.

Um uns johlen die Trucker
In Popoli hat die einzige Tankstelle schon geschlossen. Hilfsbereite Lkw-Fahrer wollen uns mit der bordeigenen Preßluft weiterhelfen, doch das Motorradventil paßt nicht zum Anschluß des Lastzugs. Reichlich ernüchtert versuchen wir unser Glück in der Trucker-Kneipe gleich nebenan. Massimo, der jugendliche Wirt, organisiert sofort ein Reifenspray, ruft in Corrados Werkstatt an, man möge noch auf uns warten und läßt uns nicht einmal die beiden Tassen Kaffee und Tee bezahlen, die wir verzehrt haben. Als das Reifenspray eintrudelt, stehen Massimo und die Trucker johlend um uns herum und feuern uns an, wie es sich auch ein Michael Schuhmacher nicht besser wünschen könnte.

In Bestzeit erreichen wir Sulmona und Diana kann endlich auf ihre Transalp steigen. Am nächsten Tag statten wir Massimo noch einen Besuch ab. Sein breites Grinsen verschwindet vorübergehend, als wir eine Flasche Wein als Dankeschön für seine uneigennützige Hilfe aus dem Ärmel zaubern. Er ist fast beleidigt, daß wir uns mit einem Geschenk bei ihm bedanken wollten. Nach zwei Minuten intensiver Überredung kehrt das Lachen in sein Gesicht zurück und winkend verschiedet er uns.

Endlich wieder auf zwei Motorrädern unterwegs, halten wir uns westwärts nach Anversa, wo die Ortsdurchfahrt so schmal ist, dass der Linienbus millimetergenau am Portal der Ortskirche vorbei passt. Hier ist gleichzeitig der Beginn der abenteuerlichen Fahrt durch die Gola di Sagittario. In den Fels gemeißelt und durch den Berg getrieben folgt die Straße der engen Schlucht und überspringt den Fluß mehrfach bis sich die Strecke und wir an einem türkisfarbenen Stausee wieder beruhigen. Auf dem lotrecht aufragenden Fels über dem See trohnen die Häuser von Villalago und beäugen uns so ungläubig wie wir sie.

Noch ein paar Meter und wir verlassen die fast schon beklemmende Enge des Tals. Vor uns liegt der Lago di Scanno, der größte der natürlichen Abruzzenseen. Bunte Tretboote plätschern am Ufer und warten geduldig auf Kundschaft während wir unser Zeit im hohen Gras etwas oberhalb des Sees aufschlagen. Auf einer Anhöhe am anderen Ende liegt die Ortschaft Scanno, die sich zurückhaltend touristisch gibt und sich ihre ursprünglichen Eigenheiten bewahrt hat. Eine Ausnahme gibt es allerdings: Die irische Kneipe gegenüber der Kirche Santa Maria della Valle. Und da es draußen kühl geworden ist, sieht kaum jemand, dass wir drinnen den Abend mit Guinness statt mit Wein begießen.

Offroad nach Roca Pia
Am Morgen darauf nehmen wir die Off-Road-Etappe von Scanno ins östlich gelegene Roca Pia unter die Stollen. Diana, die bisher selten auf Schotter gefahren ist, treibt ihre Transalp mutig als Erste bergwärts. Schwierige Passagen, wie vorn Regen ausgewaschene Kehren, meistern wir gemeinsam. Zur besonderen Herausforderung werden die langen Wasserdurchfahrten, die wir den letzten Wolkenbrüchen zu verdanken haben Unser anfängliches Zögern, die Lachen ohne vorherige Begehung zu durchfahren, weicht dem puren Spaß an der Wasserschlacht. Schon nach kurzer Zeit steht das Wasser in den Stiefeln und das Grinsen in den Gesichtern spricht Bände. Auf einer blumenübersäten. Wiese breiten wir uns wie Kormorane, deren Flügel schlecht von selbst trocknen, der Sonne zugewandt aus. Der Blick schweift weit über die grünen Täler und die sie umgebenden Gipfel. Auf ihnen halten sich hartnäckig die Reste ihres weißen Winterkleids, die in wenigen Tagen zu Wasser zerschmolzen sein werden.

Trocken und von den Strahlen der Maisonne erwärmt nehmen wir die Abfahrt nach Roca Pia in Angriff. Im Gegensatz zum hinter uns liegenden steinigen Teil der Piste beschert uns die östliche Seite einen erdigen Untergrund. Eine weitere Wasserdurchfahrt steht uns bevor, doch so leicht wie die vorherigen macht sie es uns nicht. Schlammig und mit tief ausgefahrenen Furchen unter der Wasseroberfläche werden sie Diana zum Verhängnis. Das Vorderrad der Transalp stellt sich urplötzlich quer, keine Chance noch etwas zu retten. Zu allem Unglück verhakt sich Diana mit dem linken Fuß noch in der Schalthebelei bevor sie in die von Steinen durchzogene Lache fällt. Regungslos bleibt sie unter dem Motorrad im Wasser liegen. Adrenalin schießt mir in den Kopf. Ich renne zu ihr hin und erst ein beruhigender Augenaufschlag nimmt mir die Angst, sie könnte bewußtlos sein. Ihr Bein schmerzt zwar, aber eine Verletzung können wir nicht ausmachen Auftreten ist möglich und meine Frage, ob sie denn weiterfahren könne bejaht sie mit einem Nicken. Von Umkehr will sie nichts hören und so fahren wir langsam weiter. Die Zähne könnte ich wohl nicht so zusammenbeißen wie sie, denke ich unter meinem Helm. Und zu dem Gedanken, noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen zu sein, gesellt sich das gute Gefühl, mit dieser Frau unterwegs zu sein.

Zurück in Scanno kommen wir nicht umhin, uns für die Erlebnisse des heutigen Tages zu belohnen. Der milde Lichtschein aus der Trattoria Agli Archetti in der abendlichen Via Silla scheint unseren Ansinnen entgegenkommen zu wollen. Vom Wirt, einem älteren Herrn mit lebendigen Augen, lächelndem Mund und roter Strickjacke bekommen wir die aktuelle Speisekarte hergesagt. In seinen Vor trag zu den Speisen mischt er, unterbrochen vorn eigenen Lachen, persönliche Erlebnisse, die er mit deutschen und französischen Touristen hatte. Als dann noch eine Episode aus dem zweiten Weltkrieg folgt sind unsere ohnehin rudimentären Kenntnisse der italienischen Sprache über den Haufen geworfen. Der Einfachheit halber überlassen wir dein guten Mann die Menüzusammenstellung und werden nicht enttäuscht. Eine reiche Auswahl an Antipasti, Lamm nach Art des Hauses und eine Flasche Montepulciano lassen keine Wünsche offen.

Wir brechen unser Zelt am Lago di Scanno ab und starten ein letztes Mal nach Süden in den Abruzzen-Nationalpark, dessen Wappentier der Braunbär ist. Von den wenigen Bären die es hier noch gibt, haben wir keinen gesehen. Besser vielleicht für sie und uns.

Über den Valico de Monte Godi erreichen wir zum zweiten Mal den Lago di Barrea, wo unsere Abruzzenreise ihren Ursprung hatte. Einer einzigartigen Natur und liebenswerten Menschen sind wir begegnet. Grund genug den Abschied noch hinauszuzögern und den verwinkelten Straßen des Appenin den Vorzug vor den Schnellstraßen zu geben. Nur eines werden wir nie mehr tun: Über den Passo di Diavolo fahren. Von den Motorrädern soll der Teufel gefälligst die Finger lassen.

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Dirk0
Fern der toskanischen Museen, weit ab von den quirligen Metropolen und nur schwer zugänglich fristet die Wade des italienischen Stiefels zu Unrecht ein Schattendasein jenseits der Strände von Adria und tyrrhenischem Meer. Eine rauhe Natur mit erholsamer Ursprünglichkeit prägen das höchste Gebirge des Apennin. Im einsamen Bergland zwischen L'Aquila und Isernia erlebten wir das andere Italien.  mehr...
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Gelöschter Benutzer
Ganz herrlich! 25 Punkte, äh, geht nicht, max 10. Da wollte ich schon immer hin. Bin aber jedesmal nur bis zur Toscana (auch schön) gekommen. Vielleicht bei der nächsten Tour..
Freue mich schon auf den nächsten Bericht! Peter
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