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Reino 08.07.2002

Das Bergrennen

Wegstrecke 0 km
Länder/Regionen/
Wegpunkte
Südtirol
Straßenart
Tour-Motorrad
Schwierigkeit
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Das Bergrennen

Wahrheit oder Fiktion? (Teil2)
Die Antwort auf die Frage, ob mann mit Harleys auch schnell fahren kann.
Herrliches Wetter, herrliche Aussicht hier auf dem Parkplatz am Fuße des Sella Jochs, denke ich und steck' mir gerade meine zweite Davidoff an. Dabei lasse ich den Verschluss meines schweren Benzinfeuerzeugs laut klicken. Es erfordert einiges an Geschick, das Feuerzeug aus dem Handgelenk heraus so schnell zu bewegen, dass der Verschluss dieses geile und lässige Klickgeräusch erzeugt. Mittlerweile beherrsche ich das perfekt und es sorgt immer wieder für bewundernde Blicke. Wie auch diesmal. Aus den Augenwinkeln heraus bemerke ich, wie mich zwei rassige Italienerinnen aufmerksam mustern. Und ob es da was zum Mustern gibt! Harley Davidson verkauft ja nicht nur außergewöhnliche Motorräder, sondern auch absolut hippe und doch zweckmäßige Bikerklamotten. Für heute habe ich mich, weil ich die Pässetour doch etwas sportlicher angehen möchte, für die schwere schwarze Lederjacke mit dem orangenen Querstreifen und dem Harley Schriftzug auf dem Rücken entschieden. Schwarz-Orange sind die Motorsportfarben von Harley Davidson. Schweren Herzens habe ich auch meine geliebten Lederchaps gegen die Lederhose getauscht. Sicherheit geht vor, wenn mann etwas schneller fahren möchte.
Dabei war ich heute morgen nach einer langen Nacht vor dem Fernseher überhaupt nicht in der Stimmung für eine flotte Pässetour. Dass die auf "Neun Live" zu später Nachtstunde immer so deprimierende Filme bringen müssen!
Todmüde und frustriert wie ich dann morgens war wollte ich eigentlich von meiner Villa bei Riva mit dem WoMo wieder nach München zurück fahren und bin auch schon auf dem Fahrersitz meines Hymer Mobils gesessen. Aber irgendwie fand ich mich dann kurz darauf in voller Montur auf meiner Harley sitzend Richtung Sella Joch donnern.
Mit jedem gefahrenen Kilometer fühlte ich mich frischer und ich merkte, wie es mich in der Gashand juckte. Trotz des frühen Morgens waren schon einige Biker unterwegs, aber alle nur auf diesen bunten 600er und 750er Vierzylindersäuslern. Keine ernsthaften Gegner, wirklich nicht. Es amüsierte mich köstlich, diese Pseudosportler in Rechtskurven links außen zu überholen und sie dann anschließend im Rückspiegel zu beobachten, wie sie erschrocken vom infernalischen Donner meiner Harley an den rechten Fahrbahnrand auswichen. Manche versuchten dann noch auf den Bergaufgeraden mit zu halten, aber ich machte mir einen Spaß daraus, jedes Mal, wenn sie zum Überholen ansetzten, das Gas auf zu reißen und weg war ich. Einmal wollte sogar ein Größenwahnsinniger mit einer 500 Kubik 2-Takt Nähmaschine den Kampf aufnehmen. Ahnungsloser! Wo ich doch keinen Zweitaktgestank in der Nase vertrage. So was hat vor(!) mir sowieso nichts zu suchen.
Aber irgendwann langweilte mich das alles. Kein interessanter Gegner weit und breit.
So ein richtiger Rennhammer, das wär's gewesen. Nein, nicht diese großvolumigen Vierzylinder. Die haben zwar Leistung, aber zu wenig Bodenfreiheit für die Pässe hier. Wie wollen denn die um die Kehren kommen?! Keine Chance. Und so fuhr ich eben etwas gelangweilt auf diesen Parkplatz vor der Auffahrt zum Sella Joch um eine Rauchpause ein zu legen.
Langsam füllt sich der Platz mit anderen Bikern. Jeder mustert jeden. Welche Maschine, welche Umbauten. Zufrieden, ja fast stolz, blicke ich auf meine Harley, wie sie da so steht und glänzt in der Morgensonne. Mein Blick gleitet von der gebürsteten Edelstahl Supertrapp Auspuffanlage über den 42mm Mikuni Flachschiebervergaser zum riesigen Ansaugtrichter auf der rechten Motorseite. Mir klingen noch die Worte meines Harley Mechanikers im Ohr, nachdem er den Vergaser mit diesem Trichter angebaut hatte: " Mach' ja keinen Burn Out, wenn grad eine Omi mit ihrem Schoßhündchen vorbei geht. Der Pinscher wird glatt angesaugt!"
Na ja, da übertreibt er schon ein bisschen. Ich habe da mehr Angst um mein rechtes Knie, das ziemlich nah am Trichter ruht.
Plötzlich erfüllt dumpfes Bollern begleitet von einem hässlichen Rasselgeräusch das Gelände und eine Ducati 998 S rollt auf den Parkplatz. Der Fahrer hält genau neben mir und meiner Harley und steigt ab. Mit einem spöttischen Grinsen im Gesicht wendet er sich an mich: "Willste etwa tatsächlich mit der Kiste (er deutet auf meine Harley) den Pass rauffahren?!" Mein Blick wandert über seine mindestens 6-farbige Lederkombi zu den Ducati Schriftzügen an beiden Ärmeln und bleibt an seinen angeschliffenen riesigen Kniepads hängen. Dann, ohne eine Miene zu verziehen ob dieser unverschämten Provokation, erwidere ich völlig cool: " Ich geb' dir eine Davidoff Vorsprung!" Der Verschluss meines Feuerzeugs klickt laut und ich zünde mir lässig die Zigarette an. Mit einer Mischung aus Verblüffung und Spott entfährt es dem Ducatisto " Okay. Mal sehen, wer als Erster auf der Passhöhe ist." Spricht's, springt auf seine Maschine und heizt mit voll aufgerissenem Gashahn Richtung Pass davon.
Wegen der Schadstoffe im Tabak rauche ich die Davidoff wie üblich nur bis zur Hälfte und schwing mich dann ebenfalls auf meine Maschine. Der schwere Harley Motor brüllt auf und beschleunigt das Motorrad mit brachialer Gewalt die erste Gerade des Passes hinauf. Die ersten Kehren fliegen mit rasender Geschwindigkeit auf mich zu und wie an einer Schnur gezogen donnere ich um die Ecken. Entsetzte Autofahrer und andere Biker spritzen erschrocken zur Seite. Ich kenne meine Harley genau und ich weiß, was ich ihr zumuten kann. Aber es verblüfft sogar mich immer wieder, mit welcher Power und Präzision sie sich auf Passstraßen fahren lässt. Rein in die Kehren, das Gas aufgerissen und ab geht die Rakete, begleitet vom heiseren Röcheln aus dem Ansaugtrichter und vom Donnergrollen der Supertrapp. Ich habe mich jetzt warm gefahren und alles flutscht nur so. Bremsen, Schräglagen bis zum ‚Geht nicht mehr', Gas aufreißen. Fast ein Rauschzustand.
Da passiert es. Am Ausgang einer Kehre gebe ich einen Kick zuviel Gas und der Hinterreifen schmiert in voller Schräglage brutal weg. So etwas würde für ein anderes Motorrad und einen anderen Fahrer das Todesurteil bedeuten, aber meine Harley kann ich kurz bevor es zu einem satten Highsider ausartet locker abfangen. Fantastisch! Wie zur Belohnung sehe ich 3 Kehren vor mir schon den Ducatifahrer. Kann der nicht schneller oder rechnet der vielleicht nicht mit mir? Die Frage ist überflüssig. Unaufhaltsam komme ich näher und näher. Magisch angezogen von den beiden hoch gelegten Auspuffendrohren der Ducati. Schwarze Rauchfahnen aus denselbigen zeigen mir, dass der Ducatisto alles aus der Einspritzanlage rausquetscht. Hilft nichts! Ich kleb' jetzt fast an seinem Nummernschild. Dabei fährt der wirklich gut. Pausenlos lässt er seine Kniepads in den Kehren schleifen. Hanging offs in Reinkultur. Aber beim Beschleunigen aus den Kehren merke ich deutlich, dass seine Duc bei weitem nicht die Power meiner Harley haben kann. Es wäre kein Problem, auf den Geraden an ihm vorbei zu ziehen. Aber es sind noch ein paar Kilometer zum Gipfel und ich beschließe, den Duc Fahrer noch ein bisschen zu kitzeln. So muss sich eine Katze fühlen, wenn sie mit der Maus spielt, bevor sie endgültig zubeißt! Ein absolutes Hochgefühl durchfließt mich. Jetzt ist es gleich soweit. Jaah! Die Gerade. Jetzt schnapp ich zu! Der Harleymotor brüllt am Ausgang der Kehre auf und beschleunigt mich mit ungeheurem Punch die Gerade hinauf. Da! Was ist das?! Kurz bevor ich die Duc erreiche höre ich plötzlich ein seltsames Klopfen in meinem Helm. Wo kommt das denn her? Irritiert nehme ich kurz das Gas weg um dann aber sofort wieder zu beschleunigen. Da! Schon wieder! Jetzt lauter. Und plötzlich höre ich auch noch eine Stimme, die mir ins Ohr flüstert: "Fahr' zu!" Aber ich fahr' doch schon wie ein Wahnsinniger! Sitzt mir da der Leibhaftige im Genick? Das Klopfen ist jetzt unerträglich laut und dringt tief in meinen Kopf ein. Die Stimme schreit jetzt fast: "Fahr zu, fahr zu, fahr doch zu!!!"
Erschrocken reiß' ich die Augen auf und blicke aus dem Seitenfenster meines Wohnmobils in das wutentbrannte Gesicht eines Mannes. Er schlägt mit der Faust gegen die Fahrertür und brüllt mich an: "Fahr endlich zu, du Arsch! Oder wie oft soll die Ampel noch grün werden!"
Müde lege ich den ersten Gang ein und fahre los. Vielleicht sollte ich doch auf einen Parkplatz fahren und eine Runde schlafen.......

copyright by Reino

Kommentare


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Sumisa
Herrlich Reino!
Spannende Story, die man ja doch ein bisserl ungläubig liest, gelle (aber nur ein kleines bisserl!) und der Schluss ist einfach köstlich.
Mehr-mehr!
LG,
Petra
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