Ein Jahr

Ein Jahr

Über ein Jahr ist es her, als ich dich stehen sah...ganz hinten in der Ecke. Über ein Jahr, dass ich dich mitgenommen habe, weil ich gar nicht anders konnte. Ich habe es nicht eine Sekunde bereut.
Im Schnee haben wir angefangen. Nur kurz waren die ersten Ausflüge, denn es war bitterkalt. Dann musste ich weg und dich zurücklassen, weil der Winter zu mächtig war, der Schnee zu hoch und die Straßen zu glatt für deine Hufen. Noch Anfang März, grad an dem Wochenende, als ich dich holen wollte, schüttelte Frau Holle ihre größten Kissen über der Erde aus und wieder musste ich dich zurücklassen. Manchmal sind wir wie zwei Königskinder, aber aus den Augen verlieren wir uns nie.
Ein paar Wochen später, ich glaube es war Ende März, war es dann endlich soweit. Immer noch kalt und immer noch ein paar Schneereste, die uns aber nicht mehr abhalten konnten. Ich habe dich nach Hause geholt. Wir haben nicht mit der bösen Hexe gerechnet, die dich am liebsten aus ihrem Hof verbannt hätte, aber auch sie konnte uns die Freude aneinander nicht verderben. Nein, wir haben eher Mitleid mit ihr, dass sie selbst sowenig Freude hat in ihrem Leben (und einen grauenhaften Geschmack noch dazu).
Du hast eine Menge gesehen in deinem ersten Jahr. Es waren so viele schöne Eindrücke, dass es gar keine richtigen Gedanken oder Erinnerungen dafür gibt, sondern nur Bauchgefühle, aber auch die sind schön.
Wir haben den Schwarzwald gesehen, den Odenwald, den Pfälzer Wald, fast auch den Thüringer Wald, aber da hätten wir wohl hinschwimmen müssen, weil es so sehr geregnet hat an dem Wochenende und Schwimmflügel hast du doch gar nicht. Erinnerst du dich noch an Frankreich? Es war wunderschön.
Das Größte waren wohl die Alpen. Was sind wir die Pässe rauf und runter gedüst. Erinnerst du dich? Das Oberjoch, der Riedbergpass, der Arlbergpass, der Plansee und erst das Namenloser Tal. Oh Hummelchen, du bist so fein gefahren. Was haben wir gejauchzt über jede Kurvenansammlung, die wir durchfahren haben, was haben wir geflucht, über jedes Auto und jeden Bus, die sich uns in den Weg stellten und partout nicht an die Seite fahren wollten. Was waren wir beeindruckt, von der Majestät der Berge, die so alt und schön sind, dass ihre Geschichten für mehr als ein Leben reichen würden.
Aber nie-, nie-, niemals werden wir das Hahntennjoch vergessen. Irgendetwas ist da passiert mit uns. Niemals vorher und bis jetzt auch nicht danach, waren wir eine so nahtlos verschweißte Einheit, wie in diesem Moment. Fast kein Auto war vor uns und wenn konnten wir sie leicht überholen. Wir hatten freie Bahn, wir konnten Gas geben. Wir hatten keine Angst, wir haben einander vertraut – und keiner wurde enttäuscht. Ich werde diesen Moment nie vergessen.
Wir waren selten allein unterwegs, ganz oft waren wir eine Gruppe lieber verrückter Menschen und Motorräder.
Ab und zu ging dein Temperament mit dir durch und du wolltest ausbrechen. Aber wir haben schnell wieder zueinander gefunden und die Schäden waren glimpflich.
Nun sind wir wieder einmal getrennt. Dabei wollte ich dir doch auch hier noch eine Menge zeigen, die Eifel hätten wir sehen können, das Bergische Land, den Westerwald. Aber es hat nicht sollen sein. Mal wieder hielt es mich nicht sehr lange an einem Ort. Wir werden Köln verlassen und nach München gehen, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Und so Gott will (oder wer oder was auch immer uns von da oben zuschaut) werden wir dort ein neues Zuhause finden. Mit den Alpen als Hausstrecke. Na das ist doch was.
Aber weißt du was Kleine, den Thüringer Wald müssen wir trotzdem noch durchfahren, denn das ist und bleibt nun mal „Daheim“.

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