Lappland und Dolomiten 2012
Wegstrecke | 9842 km |
Länder/Regionen/ Wegpunkte |
Tschechien: Pilsen, Prag, Harrachov Polen: Breslau, Warschau, Augustow, Radom, Krakau Litauen: Kauen Lettland: Bauska, Riga Estland: Pernau, Tallinn Finnland: Helsinki, Kontiolahti, Kuusamo, Sodankylä, Ivalo, Inari, Pokka, Muonio, Rovaniemi, Kaajani |
Straßenart | Landstraße, Autobahn |
Tour-Motorrad | SUZUKI XF 650 FREEW... |
Schwierigkeit | leicht |
Schlagworte | Dolomiten, Baltikum, Lappland, Karelien |
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Lappland und Dolomiten 2012
Freitag, 29. JuniNach der Kurztour vom Mai mit D., um zu testen, was nach dem schweren Unfall vom Januar 2011 überhaupt noch geht, war nun endlich wieder Lappland angesagt.
Mit meiner Suzuki Freewind habe ich mich im Mai bestens vertraut gemacht, deshalb lasse ich die Transalp zu Hause. Der lausige Sommer Mitteldeutschlands in diesem Jahr hat die Angewohnheit, uns immer erst in der zweiten Monatshälfte ein paar heiße und sonnige Tage zu bescheren, so auch nach April und Mai der Juni.
So erwarten mich heute und morgen Temperaturen zwischen 30 und 38 Grad. Zunächst führt mich der Weg meist über Autobahn nach Süden in die Tschechei, um dort ein wenig zu baden und vielleicht im Großraum Pilsen die Hitze abzuwarten, bis die Temperatur zum Fahren gemäßigter ist.
Vor der Grenze treffe ich R. und wir fahren die nächsten Kilometer zusammen. Östlich von Stribro finden wir einen Badesee, dessen Wasser weit wärmer als das der mitteldeutschen Gewässer ist. Dort zu schlafen muss aber nicht sein, es wäre Frevel, die Abendstunden nicht zum Fahren zu nutzen. Die Nacht verbringen wir zwischen Pilsen und Prag am Ufer der Berounka, einem linken Nebenfluss der Moldau. Da es warm und trocken ist, kann man ohne Zelt schlafen, die Tagestour betrug 520 km.
Sonnabend, 30. Juni
Am Morgen ist der Himmel bewölkt. Nach dem Morgenbad in der Berounka führt der Weg vorbei an der Burg Karlsteijn, rauf und runter mit passartigem Charakter, nach Prag. Unterwegs zeigt feuchte Straße mehrfach an, dass wir einem Schauergebiet hinterher fahren. Die Berounka ist hier keineswegs mehr zum Baden geeignet, eine trübe Schlammbrühe.
Von Prag geht es weiter zum Riesengebirge. Bei Harrachov queren wir die Grenze zu Polen und befinden uns nun im früheren Niederschlesien. War es bisher trübe und kühl, wird hier an der Wetterscheide innerhalb weniger Kilometer Hitze und wolkenloser Himmel dominierend. In Jelenia Gora trennen sich unsere Wege, R. fährt nach Westen in Richtung Görlitz und ich nehme Kurs Nordost über Breslau nach Warschau.
Schon 110 km vor Warschau ist eine Großbaustelle, Tempo 70, einspurig. Nach 90 km langt es mir, es wird schon dunkel und ich nehme eine Abfahrt zur Suche nach einem Nachtlager, was ich dann auch bald an einer Wiese neben dem Wald finde. Das freundliche Wetter erlaubt mir wieder, im Freien zu schlafen. 620 km liegen heute hinter mir.
Sonntag, 1. Juli
Bedingt durch die östliche Länge wird es schon gegen halb vier hell. Eine Viertelstunde später stehe ich auf und bringe die ersten Videoaufnahmen der zarten Morgenröte auf die Kamera.
Gegen 5 erreiche ich Warschau, entgehe Dank der frühen Stunde der morgendlichen Rush-hour, komme glücklich aus dem Großstadtgewusel heraus und quere bald darauf den Narew. Da es wieder heiß und drückend wird, sehe ich mich nach einer Badestelle um und finde sie gegen halb neun, als ich den Narew auf dem Weg nach Augustow zum zweiten male quere. Leider schlägt mir ein im Wasser liegender Ziegelstein gegen die Spalthaut meines versehrten Fußes und die Wunde heilt bis zum Ende der Reise nicht mehr ab. Ansonsten ist es ein schöner Lagerplatz, auch zum Übernachten geeignet. Eben, weiches Gras, Schilf und ein nicht vergewaltigter Fluss, der gemächlich an Sandstränden und Schilf vorbei seinen Weg zur Weichsel nimmt.
Am späten Vormittag wird es von Südwesten dunkel und ich mache mich vom Acker, bevor ich nass werde.
Hinter Suwalki sind noch 30 km bis Litauen; bei Kauen, dem heutigen Kaunas, quere ich die Memel, heute Nemunas genannt, und werde hinter Kauen von einem Gewitterguss eingeholt. Das warte ich locker in einer Bushaltestelle ab, bevor ich weiter nordwärts auf der Via Baltica Lettland erreiche.
Spät abends rollt die Suzi neben der Staumauer des Stausees östlich von Riga über die Düna, nun ist es nur noch eine Stunde Weg bis zu meinem Nachtlager an einem idyllischen Waldsee nördlich von Riga. Gegen halb eins in der Nacht, sofern man das in diesen Breiten noch sagen kann, erreiche ich nach heute 760 km den Lagerplatz, nachdem ich eine wackelige Partie über glatte Kiefernwurzeln überstanden habe. Hier, etwa 57,5 Grad Nord, redet man von der nautischen Dämmerung. Es ist ein Dämmerzustand, nicht mehr Tag und noch nicht Nacht, wenngleich es heutige düsterer ist als sonst, weil es geregnet hat und der Himmel bewölkt ist. Die Sonne steht dabei zwischen 6 und 12° unter dem Horizont. Feuerholz ist rar und nass, deshalb erspare ich mir das heute, baue aber wegen der Mücken das Zelt auf.
Montag, 2. Juli
Wie richtig diese Maßnahme war, merke ich, als es gegen vier zu regnen beginnt. Ich liege es aus. Um zehn ist der Regen vorbei, im Zelt ist alles klatschnass, trotz vorheriger Imprägnierung der Zeltwände.
Um elf habe ich gebadet, alles ist verpackt und als ich den Wald verlasse, beginnt mit der Straße auch der Sonnenschein. Nach einer kurzen Etappe von 70 km halte ich bei Salacgriva an der Rigaer Bucht zur Mittagspause in der Sonne. Während ich mich rösten lasse, hängt das Zelt am Ast einer Kiefer zu Trocknen. Ich habe ursprünglich vor, in Estland ein paar Tage zu bleiben und mit meiner Freundin Helen und ihrem Mann auf der Insel Saaremaa zu verbringen, doch Helen schickt eine SMS, dass sie für eine erkrankte Kollegin auf der Fähre einspringen muss und bis zum Wochenende im Dienst ist.
So nehme ich dann am Nachmittag Kurs auf Tallinn, dem früheren Reval, und erreiche die Nachtfähre der Tallink-Silja-Line nach Helsinki.
Gegen 22.45 Uhr versinkt die Sonne über der Ostsee des Finnischen Meerbusens. Ohne Dunst, traumhaft wie selten über dem Meer. Ich nutze die Zeit bis Helsinki, um noch etwas zu dösen. Die Tour heute war nur 290 km, aber gleich nach dem Anlegen geht es weiter, bis ich ein passendes Nachtlager finde.
Dienstag, 3. Juli
Pünktlich um halb 2 legt die Fähre in Helsinki an. Obwohl Anfang Juli der Stand der Sonne sich im Vergleich zur Sommersonnenwende praktisch noch nicht messbar verändert hat, ist hier noch nicht die Helligkeit der viel gepriesenen hellen Nächte, die streng genommen erst ab 60,5 Grad Nord beginnen und bis zum Polarkreis reichen. Auf diese 6 Breitengrade erlebt man dann alle Schattierungen der hellen Nächte, vom beginnenden Dämmern bis zu einem Zustand, wo man nicht weiß, ob es Tag oder Nacht ist, wenn die Sonne nicht scheint.
Ich verlasse die Stadt in Richtung Autobahn nach Kotka, weil ich dieses Jahr die östliche Route entlang der russischen Grenze, auf der Via Karelia, fahren will. Es dauert seine Zeit, bis sich die Helligkeit ganz durchsetzt, kühl ist es auch. Erst gegen halb vier, als ich die Autobahn verlassen habe, finde ich nach längerer Suche einen geeigneten Lagerplatz im Wald, wo ich noch ein paar Stunden schlafen kann, bis es wärmer wird. Hier im Süden von Finnland ist es dicht besiedelt und bedarf einiger Ortskenntnis, um ein Stück öffentlichen Grund zum Schlafen zu finden. Diese Kenntnis fehlt mir in dieser Gegend.
Umschwärmt von den Mücken, die mich freudig begrüßen, schlage ich das Zelt auf, nehme kurz einen Schlummertrunk zu mir und schlafe bis halb sieben durch.
Als ich dann gegen halb acht startklar bin, strahlt die warme Sonne von einem wolkenlosen Himmel.
Die Via Karelia verläuft im südlichen Teil zeitweise sehr dicht am Sperrgebiet, gekennzeichnet durch die schwarz-gelbe Markierung und Stacheldrahtzaun. Die Finnen haben allen Grund, gegen ihre östlichen Nachbarn misstrauisch zu sein. Mehr als einmal hat der russische Bär versucht, sich Finnland einzuverleiben, zuletzt im Bürgerkrieg der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts und im Winterkrieg von 1939/40 mit dem direkten Überfall bei Salla am Polarkreis.
Hier finde ich auch einen Badesee, zu einer Gemeinde gehörend und Jedermann zugänglich und nutzbar. Bei sonnigem Wetter ruhe ich ab, nutze das warme Seewasser zur morgendlichen Reinigung und mache mich wieder auf den Weg, als von Südwesten her eine Wolkenfront naht. Diese lasse ich hinter mir und kann wenig später noch eine weitere Rast an einem der zahlreichen Seen einlegen.
Als ich einkaufen will, werde ich deutsch angesprochen. So lerne ich Hans und seine Frau Ritva kennen, beide Ruheständler. Hans lädt mich spontan auf sein Wassergrundstück in der Gemeinde Kontiolahti am Herojärvi ein. Er hat das Terrain unlängst aus einer Konkursmasse für eine Ferienhaussiedlung erworben und verbringt 2-3 mal im Jahr hier einen mehrwöchigen Urlaub. Das Grundstück ist über 20 km Piste, quer durch den Wald, zu erreichen. Allein finde ich mich da nicht mehr hin.
Nach einem finnischen Saunagang liege ich morgens um vier, nach heute 530 km, im Bett, immerhin wollte ich etwas von der ersten richtig hellen Nacht genießen.
Mittwoch, 4. Juli
Noch verschlafen und sehr müde sehe ich auf die Uhr, kurz nach halb zwei. Was sollen meine Gastgeber von mir denken, wenn ich den ganzen Vormittag verschlafe? Ich springe aus dem Bett und humpele zum Wohnhaus. Alles ruhig, nichts rührt sich. Seltsam. Und wieso ist trotz der Sonne das Gras noch feucht? Und überhaupt, sollte die Sonne um diese Zeit nicht hoch am Himmel stehen? Statt dessen lange Schatten und die Sonne steht im Osten statt im Süden! Etwas ungläubig sehe ich noch einmal auf die Uhr. Oh Mann, so richtig war ich wohl noch nicht da. Ich habe die Zeiger verwechselt, es ist erst halb acht!
Ich lege mich noch mal aufs Ohr, bevor es dann gegen zehn aber wirklich Frühstück gibt. Den Rest des Tages verbringe ich bei strahlendem Sonnenschein und 27 °C mit Hans am und auf dem See. Wir bringen den Bootssteg ans Ufer und schippern auf dem See entlang, er zeigt mir die Biberburgen und wir staken das Boot durch einen Bibergang im Schilf zum benachbarten Tümpel, die finnisch mit der Bezeichnung –lampi enden.
Nach dem Abendessen will ich dann aber weiter nach Norden, das schöne Wetter ausnutzen. Hans begleitet mich noch bis zum Koliberg, der mit 347 m höchsten Erhebung Südfinnlands. Vom Berg habe ich eine phantastische Aussicht über den See Jerojärvi mit seinen Inseln, das ganze im Blau des fast wolkenlosen Himmels. Werbung für Finnland!
Nach herzlichem Abschied nehme ich Kurs auf Kaajani. Von dort aus will ich weiter nordwärts zum Seitenjärvi, etwas südlich vom 65. Breitengrad. Unterwegs zeigt sich heute ein prächtiges Farbspiel, nachdem die Sonne gegen elf unter gegangen ist.
Nach heute nur 260 km bin ich nachts halb zwei am Ziel, einer kleinen Halbinsel mit Blick nach Norden am Ostufer des Seitenjärvi. Problemlos bekomme ich mit der Enduro den schmalen Pfad in Griff, die schmalen Planken über den Sumpf halten zum Glück auch, und schon stehe ich am See. Im Norden leuchtet das Morgenrot. Ich suche mir etwas Holz zusammen, Bäume fällen muss ich nicht, aber die dünnen Äste zwingen mich zu ständiger Bewegung, um das Lagerfeuer am Brennen zu halten. Bei Cola und Rum genieße ich Freiheit, Ruhe, Einsamkeit, Natur, die helle Nacht. Die Mücken halten sich in Grenzen, so verzichte ich auf das Zelt. Kurz nach drei Uhr morgens leuchtet am Horizont in Nordnordost ein gelb glühender Punkt auf. Es ist schon soweit, in wenigen Minuten ist die Sonne aufgegangen. Eine Stunde später liege ich im Schlafsack und nehme noch eine Mütze voll Schlaf.
Donnerstag, 5. Juli
Gegen halb sieben wird es Zeit, aufzustehen. Die Mücken nerven jetzt doch. Dank des einfachen Lagers bin ich schon eine halbe Stunde später wieder auf der Straße und halte über Suomosalmi auf Kuusamo. Von da aus geht es über den Polarkreis nach Salla, strahlend blauer Himmel über mir. Weiter geht es über Tanhua nach Sodankylä; wenig später halte ich am Westufer eines Staussees neben der Straße und springe 20.20 Uhr bei 12 °C Wassertemperatur in die Fluten, um mich zu reinigen. Die Stelle ist außerordentlich günstig, denn hier werde ich nicht von Dasselfliegen oder Mücken belästigt.
Sauber und erfrischt erreiche ich gegen halb elf Ivalo und möchte am liebsten am Ivalojoki nächtigen, denn weiter im Nordwesten, wo am Solojärvi mein Tagesziel liegt, ist der Himmel dunkel und wolkig. Leider finde ich am Südufer des Ivalojoki keinen geeigneten, um nicht zu sagen, gar keinen, Lagerplatz. Und bevor ich durch den Schlamm wellere und die Maschine unnütz eindrecke, drehe ich um und fahre nach Inari weiter.
Hier in dieser Gegend ist eines der Zentren der finnischen Rentierzuchtgebiete. Alle Minuten sieht man die Tiere einzeln, mit Kälbern oder in kleinen Gruppen grasen oder die Straße entlang wandern. Leider sind die Rentiere buchstäblich verblödet. Sie rennen auf der Straße vor einem her und japsen, bis ihnen die Luft weg bleibt. Irgendwann besinnen sie sich und biegen endlich ab in den Seitengraben zum Wald. Da stehen sie dann, schnappen nach Luft und sehen mir hinterher.
Kurz nach Mitternacht bin ich südwestlich von Inari auf den letzten Kilometern zum Solojärvi, dem schönsten Plätzchen nördlich vom Polarkreis. Der Lagerplatz, den ich nach heute 690 km erreiche, liegt am Sandstrand am Südufer des Sees; über den nördlichen Bergen scheint die Mitternachtssonne und strahlt. Wie lange habe ich diesen Anblick entbehrt? Letztes Jahr schwer verletzt und die Jahre zuvor wolkig oder Regen. Das Zelt steht, ein Drink und dann Feuerholz suchen. Als ich zurückkomme, trifft mich fast der Schlag. Vor einer der Einfahrten stolpere ich fast über ein Schild „No camping!“. Es ist nicht zu fassen. Damit ist aber auch die Möglichkeit, hier mein Hauptquartier aufzuschlagen, wenn ich zum Lemmenjoki will, gescheitert. Die schönen Plätze werden immer seltener, jetzt wird sogar schon das Jedermannsrecht auf freie Übernachtung auf öffentlichem Grund verwehrt. Oder jemand hat den See gekauft. Wie auch immer, ich bin bedient. Ich lasse das Feuer herunterbrennen und genieße die Mitternachtssonne. Vielleicht hier zum letzten mal. Oder ich muss die benachbart wohnenden Rentierzüchter um Erlaubnis fragen. Wenigstens die Mücken sind fröhlich und ausgelassen, dass ich wieder da bin und machen sich über mich her. Doch Dank „Off“ sind es nur wenige, die einen Imbiss wagen und es zu büßen haben.
Zur ungewohnten Zeit gegen drei liege ich bereits im Zelt.
Freitag, 6. Juli
Um mir keinen Ärger einzuhandeln, räume ich bereits halb sieben das Feld und fahre nach Inari zum Einkaufen. Bereits halb acht sind es 23 °C. Nachdem alles erledigt ist, steht Erkundungstour auf dem Programm. Ich bin bereits vor 11 Jahren einmal nördlich vom Inarisee zur Grenze in Richtung Sevettijärvi gefahren und will sehen, ob sich am Nordufer nicht auch ein guter Lagerplatz für spätere Jahre findet. 30 km nordöstlich von Kaamanen finde ich hier am 69. Breitengrad ein Stück offenes Seeufer, freie Sicht nach Süden, kaum mal ein Inselchen davor. Mit der Enduro kein Problem, fahre ich den Abhang hinunter. Hoch wird es auch gehen. Den Fahrern von reinen Straßenmotorrädern oder Choppern rate ich von Nachahmung ab, sonst können sie die Hobel gleich im See versenken.
Das Wasser ist kristallklar, Wellen schlagen wie am Meer an den steinigen Strand, der sofort in ein Hochufer übergeht; ein Bad tut not. Die Sonne strahlt noch ungetrübt, als ich bei 7-8 °C Wassertemperatur hinein steige. Hinterher genieße ich die Sonne, ohne großartig von Insekten belästigt zu werden, denn vom See weht ein mäßiger Wind, bis sich Wolken vor die Sonne schieben, für mich das Signal zum Aufbruch.
Plan B liegt schon bereit, zurück in Richtung Sodankylä und etwas Überdachtes suchen. Bereits unterwegs werde ich von einigen kräftigen Schauern überrascht. Eine verlassene Anglerhütte ohne Tür und Fenster wird nach heute 290 km mein Quartier. Mit abgebauten Koffern und eingeschlagenem Lenker passt die Suzi durch die Tür und steht trocken. Ich schlage das Zelt auf dem Fußboden auf, Nägel ersetzen die Heringe. Das Lagerfeuer am See scheitert zweimal, als die nächsten Schauer fallen. So sitze ich denn in der Hütte am Fenster und bin von den Mücken zum Abendessen auf ihrer Jahreshauptversammlung eingeladen. Es regnet die ganze Nacht. Da ich nichts tun kann, gehe ich zeitig schlafen.
Sonnabend, 7. Juli
Gegen vier kommt ein Temperatursturz von 24 auf 8 Grad. Um neun stehe ich auf, der Regen hat aufgehört. Im Norden soll es heute kühl, aber sonnig werden. Deshalb fahre ich zurück nach Inari. Es gibt Sprühregen und zwingt mich in die Regenkombi. Weiter nach Norden zu fahren, erscheint mir unsinnig und ich drehe nach Südwesten ab, noch einmal vorbei am Solojärvi. Am Menesjärvi peile ich die Lage, Übernachtung wäre hier auch drin, aber Hochufer und der Blick nach Norden ist nicht frei.
Wenig später der Abzweig zum Lemmenjoki ins Goldgräbergebiet. Nach 20 km bin ich am Endpunkt am Fluss. Dort tummelt sich gerade eine Horde Harleyfahrer. Mit denen will ich nichts zu schaffen haben und kehre um, um an einem Nebenbach mein Glück als Goldwäscher zu versuchen. Immer wieder tauche ich die gefüllte Frisbyscheibe ins Wasser und spüle Sand und Schlamm heraus. Was bleibt, ist nichts…
Auf der Weiterfahrt reißt endlich die Wolkendecke auf. Ich bin bereits zu weit im Süden, um umzukehren, also weiter bis zur nächsten Straßenkreuzung am Ende der 70 km Piste südlich von Pokka. Dort nehme ich in einem Bogen wieder Nordwest- , dann Südwestkurs nach Enontekiö. Von hier aus ginge es nordwärts nach Kautokeino und Alta. Doch bereits 20 km vor der Grenze wird der Himmel im Norden und Westen drohend dunkel. Ich komme genau in ein Regengebiet, wenn ich hier entlang weiter fahre. Das erspare ich mir, war oft genug ganz oben am Ende der Welt und habe es nicht nötig, mir etwas zu beweisen. Also wende ich schweren Herzens, mir schon bewusst, das dies der Endpunkt der Nordtour ist. Zurück mit Ziel Muonio nehme ich nun Südkurs und erreiche gegen elf Uhr abends nach knapp 550 km heute einen lang gestreckten See, den ich bereits von früheren Touren her kenne. Sandstrand, Blick nach Norden frei, Holz im Überfluss. Das Zelt steht, das Feuer brennt, die Mücken tanzen Kasatschok. Meine Entscheidung erweist sich als vernünftig. Aus sicherer Entfernung sehe ich mir das Gewitter und die Regenschauer an, die im Westen und Norden vorüberziehen. Dazwischen scheint immer wieder die Mitternachtssonne durch die Wolken. Stichwort Wolken: ganze Wolken von Mücken erheben sich aus dem Wacholder, wenn ich Holz sammle.
Zur normalen Zeit gegen vier liege ich im Zelt.
Sonntag, 8. Juli
Wer Migräne kennt, kann sich vorstellen, wie unsanft ich erwache. Die schlimmste Form hat mich heute fest im Griff, erst Mittag um eins kann ich starten, als mein Inneres wieder halbwegs in Ordnung ist. Bis Muonio ist nur eine Viertelstunde zu fahren, dort bade ich am Gemeindestrand und genieße den blauen, wolkenlosen Himmel und die nordisch frische, aber warme Luft. Um fünf schließen die Läden, also muss ich vorher einkaufen, dann geht es auf direktem Weg entlang des Muonionjoki nach Kolari zur schwedischen Grenze. Ich will heimwärts über Schweden und Norwegen bummeln und die Sonne genießen. Zuvor gilt es, ein Nachtlager für den letzten Polartag in diesem Jahr zu beziehen. Am Torneälv, unweit von Anttis, ist ein herrlicher Rastplatz, sogar mit Schutzhütte, aber zu zivilisiert. Mein Ziel liegt am Tärendöälven oder am Kalixälv. Leider habe ich in beiden Fällen Pech. Der Platz am Tärendö ist versumpft und ich kann mich nur Dank der Endurostollen aus dem weichen Untergrund wühlen, bevor ich stecken bleibe. Und am Kalix ist der Blick nur nach Nordwesten frei. So fahre ich zurück und will zum Torne. Doch vorher fällt mein Blick an einem Altarm des Tärendö auf eine freie Stelle. Ideal, kein Privatgrundstück, nach Norden offen, leichtes Hochufer, direkt am Fluss, Volltreffer. 185 km heute. Noch abends um 10 sind in der warm strahlenden Sonne 27 Grad. Das Zelt steht, das Feuer brennt, die Zahl der Mücken ist, verglichen mit gestern und vorgestern, lächerlich zu nennen. Zur Information nebenbei, der Tärendoälven entspringt der zweitgrößten Bifurkation der Welt. Etwa 40 km oberhalb gabelt sich der Torneälv und etwa 45 % des Abflusses fließen im eigenständig benannten Tärendöälven 70 km bis zum Ort Tärendö, wo das Wasser nicht zum Hauptarm zurück fließt, sondern in den Kalixälv mündet.
Ich lasse es mir gut gehen, meine Migräne ist nicht mehr zu spüren. 23.20 Uhr, bevor die Mitternachtssonne nach Osten in die Baumspitzen taucht und erst gegen zwei wieder auftauchen wird, gehe ich noch baden.
Nachdem die Sonne verschwunden ist, wird es kühler. Müde liege ich halb zwei im Zelt, werde munter, als die Sonne pünktlich gegen zwei wieder aus den Bäumen auftaucht.
Montag, 9. Juli
Halb sieben bin ich auf den Beinen, muss wieder in Richtung Finnland, denn für Schweden sind die nächsten Tage Regen und 11-13 Grad angesagt. Finnland auch Regen, wo es hin kommt und 17-20 Grad. Also mach was draus. Über Pello geht es nach Finnland zurück, Rovaniemi, Ranua, Kaajani. Überall war mir ein Schauer voraus. Bis jetzt habe ich Glück. Bis Kuopio geht es auch noch gut. Doch an der Grenze zum Übergang zur nautischen Dämmerung, etwa bei 62,5° n.B., nachts um 12, geht der Tanz los. Drei Stunden im strömenden Regen auf der Suche nach einer mir bekannten Schutzhütte. Wegen des Regens oder der schlechten Sicht oder warum auch immer, fahre ich daran vorbei und schlafe letztlich von 3 - 6.30 Uhr in der ersten besten Bushaltestelle kurz vor Lahti. 940 km, ich bin geschafft.
Dienstag, 10. Juli
Es ist trocken. Wieder mal kommt in Richtung Helsinki frischer Südwind auf. Ankunft in Helsinki halb 10, die Tallink-Silja-Line legt halb elf ab. Doch ich finde keinen Hinweis auf das Terminal und niemand kann mir den Weg sagen. Halb elf ist die Fähre weg. Ich suche das Terminal der Viking-Line auf, das kenne ich, und bekomme mein Ticket für die Fähre halb zwölf.
Pünktlich um zwei legt die Fähre in Tallinn an. Nach Stadtrundfahrt am Rande von Tallinn nehme ich Ziel Pernau im Norden der Rigaer Bucht. Dort muss ich zunächst die hinteren Bremsbeläge wechseln, dann Einkaufen und zum Strand, den Sonnenuntergang und das Farbspiel genießen. Blutrot versinkt die Sonne am nordwestlichen Horizont auf 58 Grad Nord. Gern würde ich, wie schon oft, hier schlafen, doch von Südwesten zieht von Lettland Regen auf. Was soll ich im nassen liegen, folglich sitze ich wieder auf und fahre noch ein Stück über die Grenze, wo ich dann ein preisgünstiges Quartier beziehe und mich nach 400 km schlafen lege.
Mittwoch, 11. Juli
Ohne wichtige Ereignisse breche ich am Morgen auf und halte das erste Mal in Litauen an einem Kiessee, um zu baden. Von dort geht es weiter nach Süden. Mir kommt der Gedanke, noch einen Abstecher nach der Ukraine zu machen, um ein wenig mehr vom Sommer zu genießen. Von diesem Gedanken beflügelt, breche ich auf, als sich die Wolken am Himmel verdichten und erreiche 200 km später die polnische Grenze. Über den Masuren sieht es nicht gut aus und schon vor Suwalki komme ich in das Regengebiet hinein und bis Bialystok nicht mehr heraus. Deshalb und wegen des schweren Gewitters, nehme ich wieder ein festes Quartier und lege mich zum Einbruch der Dunkelheit nach heute 580 km schlafen.
Donnerstag, 12. Juli
Halb fünf ist es hell und trocken, um 5 bin ich reisefertig, doch Ukraine fällt aus. In der Nacht hat mich eine SMS erreicht, auch da lausiges Wetter. Noch ist nichts zu spät, ich bin immer noch auf der E 67 und biege ab nach Warschau. Dort komme ich genau in den morgendlichen Berufsverkehr, finde aber Dank guter Ausschilderung den Weg nach Radom auf Krakau zu und bekomme am Ortsausgang zum Abschied noch den Buckel gewaschen.
Hinter Krakau, nun mit Ziel Tatra und Slowakei, wird es freundlicher und sonnig, ich bin naiv genug, zu denken, dass ich es nun geschafft habe.
Am Abend schlage ich südlich von Zvolen in der Nähe eines kleinen Bergdorfes das Zelt auf und lege mich nach 780 km schlafen, als das Lagerfeuer herunter gebrannt ist.
Freitag, 13. Juli
Ausgeruht geht es in den nächsten Reisetag, doch über Nacht hat es sich wieder total bewölkt. Auf und ab geht es durchs Gebirge nach Süden, das nächste Ziel ist Budapest. Dort nehme ich Kurs über Szekesfehervar zum Balaton und verbringe das Frühstück während eines Schauers an einer Tankstelle. Am Balaton ist es heiß und sonnig, aber hier bleibe ich nicht und erreiche am Nachmittag Slowenien. Westwärts über Marburg, durch die Gebirgsausläufer, weil Autobahn langweilig und vignettenpflichtig steuere ich Celje an, um ein Internetcafe zu finden, wegen Blick aufs Wetter. Dabei lerne ich Vanja und Boris kennen, Besatzung einer Africa Twin.
Die kommende Nacht ist trocken, als ich mich im Gebirge nach 650 km in den Schlafsack lege.
Sonnabend, 14. Juli
Erfrischt geht es in einen sonnigen Tag hinein. Schon gegen neun bin ich in Ratece bei Planica und besuche meine Freunde Lidija und Saso. Von hier aus will ich weiter nach Italien, weil das Internet meint, dort scheine bei 30 Grad die Sonne; was soll ich dann nach Kroatien fahren? An der Adria habe ich die letzten Jahre stets spätestens am 3. Tag im Regen gesessen und musste die Flucht ergreifen.
Von Tarvisio geht es über den Pass Tre Croci nach Cortina d´Ampezzo. Von dort will ich aber, trotz Umweg, noch nach Calalza di Cadore zum See, muss unbedingt wieder baden, mich pinkeln sonst die Hunde an.
Am Abend, gut gereinigt und erfrischt, zieht sich über den Dolomiten schon wieder ein Gewitter zusammen, was mich zwingt, wieder festes Quartier zu nehmen. So verbringe ich nach 400 km in einer Villa am Fuß des Falzaregopasses die Nacht. Das Gewitter hält bis zum Morgen an.
Sonntag, 15. Juli
Wer nun meint, meine Leiden sind vorbei, der irrt. Als die Straße abtrocknet, breche ich gegen 9 Uhr auf und erreiche bald den 2117 m hohen Pass. Dort beginnt bei 8 Grad der Regen erneut und zwingt mir die Endurohose und die Regenkombi auf. Pordoj- und Sellajoch ebenfalls im Regen, Wolkenstein empfängt mich bei Regen und 10 Grad. Meinen Plan, mal den Jaufenpass und das Timmelsjoch unter die Räder zu nehmen, verwerfe ich deshalb und biege statt nach Brixen besser nach Bozen ab. Dort will ich auch noch meinen Proviant komplettieren, bevor die Läden schließen, es ist Sonntag. Doch außer Hitzestau in der Altstadt von Bozen (sofort raus aus den dicken Sachen) war wohl nichts. Habe eine Stunde Zeit verloren und keinen Zipfel Wurst gesehen. Aber bei strahlender Sonne und 30 Grad rollt es nach Meran zur Mittagspause, bevor es zum Stilfser Joch geht. Mit Empörung lese ich, dass uns auf Initiative der Grünen (Gott strafe sie alle) unter dem Deckmantel des Umweltschutzes auch noch ab 2013 eine Maut auferlegt wird. So werde ich wohl diesen Pass zum letzten Mal fahren, als ich gegen fünf Uhr nachmittags den Fuß desselben erreiche und mich die 48 Kehren der Südseite hinauf schraube. Oben in 2760 m, um sechs angekommen, ist die Hitze des Tals nicht mehr zu spüren. Wie zum Hohn fallen ein paar Schneegraupel. Abwärts geht es, bei 2500 m ist der Umbrailpass erreicht, danach die Schweizer Grenze. Weiter ins Warme rollen wir, nach Italien zurück zum Reschenpass mit der abgesoffenen Kirche im Stausee, nach Österreich mit Kurs Samnaun zum Tanken; der Umweg lohnt in jedem Fall wegen der Steuerbegünstigung. Wieder in Österreich angekommen, sitzt mir schon wieder der Regen im Nacken und bei einbrechender Dunkelheit muss ich wieder auf ein preisgünstiges Straßenhotel ausweichen. Heute liegen wegen der vielen Pässe 400 km hinter mir, ein akzeptables Ergebnis.
Montag und Dienstag, 16. und 17. Juli
Man sieht es, die Reise geht zu Ende und es ereignet sich nichts mehr von Bedeutung. Über den Fernpass geht es zur deutschen Grenze nach Kempten ins Allgäu. Teils über Landstraße, teils Autobahn, Regen und Sonne, geht es unaufhaltsam über Stuttgart und Kassel heimwärts. Ein letzter Aufenthalt zum Besuch bei Motorradfreundin C., dann am
Mittwoch, dem 18. Juli,
erreiche ich das heimatliche Grundstück. Die Maschine lief wie ein Schweizer Uhrwerk, insgesamt war ich 9842 km unterwegs. Bei ruhiger Fahrweise mit einer Reisegeschwindigkeit zwischen 70 und 85 km/h, je nach Bedingungen, hat sich die Suzi im Schnitt über die ganze Strecke etwa 3,6 l/100 km genehmigt.
Fazit: Ich kann es wieder!
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hi, jetzt habe ich ihn gelesen...:
WILL MIT!!!
knutscha,
karla
Hallo D., super Bericht, schön zu lesen! Ich bin aber doch froh, nicht mitgefahren zu sein :-). Wünsche Dir weiterhin schöne erlebnisreiche Reisen! LG Doris
Super! Die Bucht in Riga ist echt Klasse! Gruß, Fred HONDA CB 1300 und Sohn Nico BMW F650GS DAKAR. PS Wir sind auch noch über Masuren nach Bayern gefahren.
Eine super Tour...
vielen Dank für den "Link"
Lg Nika
tolle tour und super reisebericht.
die nördliche runde hab ich 2007 auch selbst erfahren....war einfach genial!
Ein schöner Reisebericht! Gefällt mir!
schöner bericht,hat bestimmt spass gemacht,wär aber nix für mich,zelt usw.aber weiter so,rüdiger
Toller Bericht - kommen auch gerade erst aus dem Norden zurück - einfach schön - waren aber nur 7200 km... :-) ...wünsche Dir allzeit gute Fahrt!
Toller Reisebericht! Alles Gute für zukünftige Abenteuer!!!