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daniel 18.09.2000

Norwegen '98 - ich glaub', mich knutscht kein Elch (Teil 1)

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Norwegen '98 - ich glaub', mich knutscht kein Elch (Teil 1)

Ein Erlebnisbericht aus dem nassen kalten Skandinavien.
Zwölf Tage sind wir schon unterwegs, und die einzigen Elche, die wir bisher gesehen haben, sind die auf den Warnschildern. Okay, und die auf den Postkarten – in allen Varianten.

Heute morgen regnet es und es ist elch-kalt für Ende Juni, aber wir sind auch 300 km nördlich des Polarkreises. Was nicht viel zu sagen hat, denn gestern konnten wir um Mitternacht noch im T-Shirt in der Sonne sitzen. Die geht hier im Sommer nie unter, dafür haben die Leute soweit oben im Norden im Winter dann zwei Monate lang nur Licht aus der Steckdose.
Polarnacht heißt das dunkle Phänomen, und uns ist seine helle Schwester, die Mitternachtssonne, eindeutig lieber. Man kommt plötzlich mit viel weniger Schlaf aus, und selbst ziemlich nachtblinde Motorradfahrer wie ich können bis tief in die Nacht hinein die herrlich gewundenen Straßen entlangkurven. Ganz entspannt. So wie jetzt.
Aber, Moment, das da vorne, das sieht ja aus wie ... Tatsache: da stehen unsere ersten echten "wilden" Elche! Wow!

Wir lassen die beiden BMWs vorbei rollen, das Motorengeräusch scheint die Burschen nicht weiter zu stören, und parken hinter der Böschung. Schnell den Fotoapparat aus dem Tankrucksack wühlen und anpirschen. Als wir zu Fuß ins Blickfeld kommen, schnellen die beiden Elchköpfe hoch – unglaublich, und das mit diesem Riesengeweih! Die Tiere bewegen sich damit fast so grazil wie unsere heimischen Rehe.
Die beiden Prachtexemplare vor unseren Nasen bewegen sich allerdings erstmal gar nicht: Elch starrt Tourist an, der Elch anstarrt. So bleibt das minutenlang. Bis ich den Fotoapparat hebe, anlege, abdrücke. Das finden die Elche doof und gehen. Gemächlich. Stolz.
Wir sind ganz aufgeregt und glücklich - Elchtest: bestanden!
Wo wir schon fast nicht mehr damit gerechnet hatten, welche zu sehen. Die Skandinavien-Veteranen auf der Fähre vom dänischen Hirtshals ins norwegische Kristiansand, die immerhin schon zum siebten Mal in den hohen Norden fuhren, die hatten uns erzählt, sie wären noch nie Elchen begegnet. Tja, Anfängerglück...
Der unsichtbare Ruderverein
Glück hatten wir seit Beginn unserer Reise. Schon bei der Anfahrt zur Fähre einmal längs durch Dänemark durch. Natürlich mußten wir unterwegs übernachten.
Das wollten wir in dem kleinen Ort Haderslev, weil der in der ADAC-Karte so nett beschrieben ist mit einer gemütlichen Altstadt mit blauen, grünen, roten und gelben Fachwerkhäusern, dazu direkt an einem Fjord gelegen.
In dem Ort gibt es allerdings nur zwei Hotels, Norden und Harmonie, und beide waren voll. Ein alter Mann, ziemlich militärisch drauf und nach eigenem Bekunden Mitglied der deutschen Minderheit (und stolz darauf, in der Nähe von Berlin ausgebildet worden zu sein) sprach uns an, als er unsere Berliner Kennzeichen sah. Nachdem wir seine Lebensgeschichte erfahren hatten und dass es in Haderslev eine deutsche Kirche und einen deutschen Ruderverein gibt (den man aber nicht sieht, weil er hinter einer Hecke verborgen ist), gab der alte Herr uns den Tip, es im "Wandererheim" – der skandinavischen Variante einer Jugendherberge - zu versuchen. Der Weg dorthin sei ganz leicht zu finden: einfach beim deutschen Ruderverein, den man zwar nicht sieht, weil er ja hinter der Hecke liegt, aber jedenfalls dort, rechts abbiegen. Ah ja.
Weil wir verhindern wollten, dass er uns auch noch den vollständigen Lebenslauf seiner Gattin erzählt und es obendrein langsam dämmerte, machten wir uns auf die Suche. Zum Glück brauchten wir den unsichtbaren Ruderverein gar nicht als Wegmarke, weil das Wandererheim gut ausgeschildert ist.
Mir gefiel es auf Anhieb besser als beide Hotels, denn es ist wunderschön gelegen: gepflegte alte Backsteingebäude mit weißen Sprossenfenstern mitten in einem großen, parkähnlichen Garten direkt am Fjord. Die Atmosphäre ist ungemein friedlich und der Herbergsvater hat wirklich etwas Väterliches. Nachdem er uns für's Abendessen das Restaurant Spiele empfohlen hatte, machten wir uns auf den Weg in die Stadt. Knapp zwanzig Minuten braucht man zu Fuß, und der Weg ist schön, erst am Fjord entlang und dann durch die Fußgängerzone. Das Restaurant entpuppte sich als wahrer Gourmettempel und wir waren ganz begeistert über unsere Schollenfilets gefüllt mit Lachs und Krabben. Mit 400 DK mußten wir dafür allerdings auch mehr berappen als für die gesamte Übernachtung inklusive Frühstück (380 DK). Dafür war das Frühstücksbuffett überhaupt nicht JuHe-mäßig, sondern wie im Hotel, sogar mit Kerzen auf allen Tischen.
Die Jammerbucht am Skagerrak
Das Wetter an diesem Morgen ist jämmerlich. Es schüttet und windet ohne Ende. Auf der Autobahn Richtung Hirtshals heben wir fast ab. Die BMWs pendeln im Wind, da hilft auch nicht, dass wir wegen der vollen Beladung am Vortag noch das Federbein nachgestellt haben. Aber, wie das immer so ist, der Mörderwind hat auch etwas Gutes: er bläst alle Wolken davon, so dass sich uns die Jammerbucht zwar aufgewühlt, aber in tiefstem Blaugrün bei strahlender Sonne präsentiert.
Unzählige Wracks liegen hier auf Grund und die aufgebrachten Wellen mit ihrer fliegenden weißen Gischt lassen unschwer erahnen, warum die Schiffbrüchigen der Jammerbucht ihren Namen gaben.
Uns schreckt das nicht. Wir fahren runter zum Fährhafen und buchen eine Passage auf dem Expressboot am Nachmittag. 1224 DK kostet das für beide Motorräder, dafür ist man in nur 2 ½ Stunden drüben in Norwegen.
Vorher schauen wir uns noch in Hirtshals um, beißen uns so durch (Smörebröd, Sild, Hot Dogs, Softeis) und treffen einen Freak, der trotz des kalten Windes mit bloßem Oberkörper und in kurzen Hosen umherskatet und unsere Bikes cool findet. Außer am Fährhafen steppt in Hirtshals auch nicht gerade der Bär, deshalb verstehen wir seine Interessensbekundungen nur zu gut. Unten stellen wir unsere motorisierten Objekte der Begierde ganz vorne in die Wartereihe für die Fähre, direkt neben einen herrlichen alten Volvo-Lieferwagen. Das Teil stammt vermutlich aus den Fünfzigern, ist aber perfekt erhalten, fast museumsreif.
Wir kommen mit einer Hamburgerin ins Gespräch, die mit ihrem angelversessenen Mann für drei Wochen eine Hütte am Fjord gemietet hat. Sie erzählt uns, dass ihr Sohn bereits mit dem Motorrad vorgefahren und unterwegs eingeschneit ist. Oh, prima, denken wir, und: gibt's eigentlich Schneeketten für Moppeds??

Aber dann sagt sie noch, Wetter-
risiko hin oder her, für sie sei Norwegen das schönste Land der Welt und hinter jeder Kurve warte eine neue Überraschung, so vielfältig sei die Landschaft nirgendwo sonst – und so prächtig.
Und dann kommt auch schon die Fähre, und wir fahren die steilen stählernen Rampen hinauf ins Dunkle, verzurren die Maschinen und haben keine Ahnung, wie oft wir das in den nächsten Wochen noch tun werden...
Sonnenuntergang in den Schären
Wir stehen ganz oben an Deck als die Küste näher kommt, die ersten Schären zu sehen sind, ein großer weißer Leuchtturm.
Die Sonne steht schon tief, hier sind wir noch so weit im Süden, dass sie tatsächlich untergeht, auch im Hochsommer, und das Wasser glitzert und funkelt und sieht aus, als habe jemand Millionen von Diamanten ausgeschüttet in den Korridor der letzten Sonnenstrahlen.
Auf den Schären kann man jetzt die Sommerhäuser erkennen, einstöckige Holzhütten in allen Farben, ganz romantisch direkt am Wasser, darunter ein Steg, ein Boot, Dutzende kleiner Paradiese für ein paar warme Wochen am Meer.
Die Luft ist frisch, tangig, so-schmeckt-der-Sommer-mäßig.
Dann ist die Stadt da und wirkt so klein, obwohl sie die fünftgrößte Norwegens ist, und die Fähre legt an, die gewaltigen Dieselmotoren verstummen, die Tore öffnen sich, und ich fahre runter von der Fähre, als Allererste, wie ich das liebe, mitten hinein in die untergehende Sonne, und das Erste, was ich mit festem Boden unter den Reifen von Norwegen sehe, ist: Nichts.
Das ist ein einmaliges Gefühl, in einem fremden Hafengelände rumzufahren, an der Spitze einer Kolonne, und vor lauter Sonnenuntergang nicht zu sehen, wo man hinfährt! Aber hier gehört das so, denn Kristiansand hält den Rekord in Sachen norwegische Sonnentage.
Irgendwie hab' ich's auch richtig gemacht und bin beim Zoll gelandet, wo ich sofort durchgewinkt werde, nur Reto mit seinem Schweizer Pass wird wie üblich aufgehalten. Daran ist er so gewöhnt, dass ich manchmal denke, ihm würde etwas fehlen, wenn die Passkontrolleure ihn nicht stoppen würden.
Verfahren kann man sich nicht in dieser Stadt, denn die ist streng schachbrettartig angelegt, weil Christian IV. im 17.Jahrhundert unbedingt sein absolutistisches Städtebauideal verwirklichen wollte. Wir fahren aber sowieso nicht weit, nur bis zum ersten Hotel, das passenderweise Skagerrak heißt.
Die Moppeds dürfen auf einem Parkdeck übernachten und wir haben vor unserem komfortablen Zimmer (760 NK) sogar eine Mini-Dachterrasse. Dort halten wir uns nicht lange auf, denn wir wollen was sehen von unserer ersten norwegischen Stadt und schlendern gemütlich durchs Zentrum. Es ist ziemlich modern, aber einige schöne weiße Holzhäuser gibt es auch.
Schließlich landen wir unten am Yachthafen, und da ist ein Restaurant mit überdachter, geheizter Terrasse und idyllischem Blick auf's Meer und Fischsuppe auf der Speisekarte. Wer kann dazu schon Nein sagen?
Zur Feier des Tages gönnen wir uns ein alkoholhaltiges Bier und dann noch eins und hören den Leuten zu, ihrer fremden Sprache, und stellen fest, dass hier unheimlich viel gelacht wird, laut und herzlich, und fühlen uns sauwohl.
Die weißen Städte des Südens
Wie Perlen einer Kette reihen sich die kleinen Badeorte der Küste aneinander. Sorlandet heißt die Gegend und ist eine der beliebtesten Urlaubsregionen Norwegens. Die Einheimischen sagen, hier gäbe es das sauberste Badewasser Europas.
Wer jetzt aber glaubt, die Küste sei deshalb überlaufen, liegt schief. Auf den Straßen herrscht kaum Verkehr.
Zum Glück, denn wir stellen schnell fest, dass der Norweger an sich beim Autofahren zu einer gewissen Unberechenbarkeit neigt. Blinken scheint er grundsätzlich für überflüssig zu halten, speziell, wenn er aus dem Kreisverkehr abbiegt, was ziemlich gewöhnungsbedürftig ist. Dazu neigt er - je schmaler die Strasse, desto lieber - zum in-der-Mitte-fahren und ist auch durch andere unübersehbare Verkehrsteilnehmer nicht zum Platz machen zu bewegen.
Aber all das läuft in gemächlichem Tempo ab, weil auf den Landstraßen sowieso Tempo 80 gilt, und so fährt es sich insgesamt sehr angenehm. Dazu trägt heute auch das Kaiserwetter bei: strahlender Sonnenschein, kaum ein Wölkchen in Sicht, warm, aber immer eine leichte Brise – einfach ideal zum Fahren und zum Rumsitzen.
Und die Frau des Anglers auf der Fähre hat tatsächlich Recht gehabt: das Land ist ein Traum – Schären, Boote, Fjorde, Kühe, Häuschen – vor allem die Häuschen. Es gibt sie in allen Farben, Ochsenblutrot und Butterblumengelb, Fjordblau und Krabbenrosa, und alle blitzsauber und gepflegt.
Die Kurven haben einen herrlichen Rhythmus und wir können uns kaum Einkriegen vor lauter Begeisterung.
Lillesand ist der erste Ort, in den wir kommen. Ein Postkartenidyll mit herrschaftlichen Villen, niedrigen Holzhäusern, schmalen Gassen, alten Werbeschildern an den Tante-Emma-Läden – und dann ist auch noch Markttag, und die Stände mit Blumen, Obst, Brot, Käse und Fisch verteilen sich über den Marktplatz hinaus bis in die angrenzenden Gassen.
Eigentlich könnte ich hier bleiben für die nächsten, sagen wir mal: drei Wochen (das werde ich während des ganzen Urlaubs so oder so ähnlich ungefähr dreimal täglich an den unterschiedlichsten Orten denken). Zeit für einen Kaffee am Hafen nehmen wir uns nach dem Stadtbummel in jedem Fall.

Dort prallen Welten aufeinander: ein Harley-Umbau mit der vielleicht längsten Gabel der Welt auf der einen Seite, perfekt restaurierte, vollständig seetüchtige alte Holzschiffe auf der anderen.
Grimstad ist unser nächster Stop, mir ein bißchen zu modern, aber ein Muß für alle literarisch Interessierten, schließlich geisterten hier die beiden berühmtesten Schriftsteller Norwegens rum: Henrik Ibsen hat in Grimstad seine Apothekerlehre gemacht und Knut Hamsun ein paar Kilometer weiter auf Gut Norholm gelebt. Schön für die beiden...
Wir fahren weiter nach Arendal, größer als die anderen Städtchen und ursprünglich erbaut auf sieben Inseln, weshalb sich ein Blick von oben auf die Stadt besonders lohnt. Und auch die Altstadt sollte man nicht verpassen: für die "vorbildliche Erhaltung" der Holzhäuser hat Arendal nämlich einen europäischen Denkmalschutzpreis gewonnen.
Das nächste Dorf auf unserem Weg hat sich seine eigene Auszeichnung verdient: Lyngor trägt seit 1991 stolz den Titel "Europas besterhaltenes Dorf".

Wir wollen trotzdem weiter bis nach Risor. Das Künstlerstädtchen ist um einen großen natürlichen Hafen herum gebaut. Schmale Gassen führen auf drei Seiten davon weg, und alle sind mit schneeweiß gestrichenen Holzhäusern bebaut. Wir nehmen Quartier im Hotel Risor unten am Meer, und die Rezeptionistin fragt ganz unverfänglich, ob wir ein ruhiges Zimmer nach hinten haben wollen oder eines mit Blick auf den Schärengarten, aber über der Disko.
Wir denken, die Disko wird schon nicht so lange geöffnet sein, und nehmen das mit Meerblick. 900 NK kostet die Nacht, das Zimmer ist hinreißend, der Blick auch, und die Bar auf der Hotelterrasse lockt: als Tresen dient ein halbes Boot.
Doch vor dem Aperitiv schauen wir uns die Stadt etwas genauer an. Über dem Eingang zu einem Antiquitätenladen hängt eine wunderschöne Gallionsfigur, die ich am liebsten sofort mitnehmen würde. Nur weil sie auf dem Motorrad eine gar zu merkwürdige Sozia abgeben würde, verkneife ich mir den Kauf. Es ist richtig heiß geworden, und wir gönnen uns einen Eiskaffee am Hafen, schmöckern in unseren Reiseführern und überlegen alternative Routen für den nächsten Tag.
Beim Abendessen im Hotel lernen wir ein Bikerpaar aus der Telemark kennen. Die beiden verbringen ein langes Wochenende an der Küste und erzählen uns, wo man am schönsten Motorrad fahren und Entspannen kann – etliche ihrer Tips sind Gold wert!
Am Abend ziehen wir zusammen um die Häuser und finden, dass Risor bei Nacht genauso hübsch ist wie am Tage. Gemütliche Kneipen gibt's gleich mehrere, ein paar davon sind auf Stelzen ins Wasser gebaut. Während wir dort sitzen, fällt uns ein großer, dem Meer zugewandter Felsen auf. Trotz Dunkelheit leuchtet er Weiß auf – und wir erfahren, daß die Segler ihn schon seit Ewigkeiten als Landmarke nutzen und er immer wieder neu angestrichen wird.
Zurück im Hotel finden wir, daß die Idee mit dem Meerblick über der Disko doch nicht so genial war. Es ist kurz nach Drei, als wir endlich ein Auge zukriegen.
Tausche Elchwurst gegen Hochprozentiges
Wenn man in Norwegen nicht am Meer ist, ist man in den Bergen. Tatsächlich besteht der größte Teil des Landes aus Bergen, auch Telemark. Logisch, immerhin ist hier das Skifahren, jedenfalls der Telemarkschwung, erfunden worden. Die Gegend hat aber noch mehr zu bieten. Es gibt sogar Leute, die sagen, Telemark sei "Norwegen in einer Nußschale", man könne dort alle Landschaften antreffen, die das Land ausmachen. Unsere neuen norwegischen Freunde bestätigen das. Also fahren in diese Richtung, via Akland, Tveite und Amli.
Die Straße führt durch dichte Wälder, in denen angeblich Zehntausende von Elchen leben. Lebendig kriegen wir die nicht zu sehen, dafür sticht uns ein Verkaufsstand ins Auge mit Elch- und Rentiersalami. Die Verkäuferin, eine dicke alte Frau in Tracht, läßt uns von allen Würsten ausgiebig probieren, und als wir uns endlich für eine Elch- und eine Rentiervariante entschieden haben, fragt sie uns mit Händen und Füßen, ob wir mit Geld oder mit Schnaps zahlen möchten. Hätten wir uns zuhause mit billigem Korn eingedeckt, wäre das ein guter Deal, weil hier alles Hochprozentige extrem teuer ist. So haben wir nur den edlen Aquavit und Maltwhisky aus dem Duty Free Shop der Fähre bei uns und zahlen lieber bar.
Hinter Amli zweigen wir auf die 41 ab Richtung Brunkeberg und sind hingerissen von der ungeheuer abwechslungsreichen Landschaft: Fjorde und Berge, karges Land und romantische Natur mit vereinzelten uralten Bauerngehöften. Die knorrigen Holzhöfe, vor allem die unten schmalen und oben breiten Speicher, erinnern mich an das Wallis.
Unterwegs kaufen wir frisches Brot und biegen dann irgendwo auf einen Schotterweg ab, dem wir bis ans Ende, auf einen Berg, folgen. Dort setzen wir uns in die Sonne und picknicken – die Rentiersalami ist klasse, aber die Elchwurst noch zu frisch und fettig. Offenbar schmeckt die erst dann richtig gut, wenn sie etwas ausgetrocknet ist.
Was passiert, wenn man aus Wikingern Christen macht
In Heddal steht die größte Stabkirche Norwegens. Diese "Pagoden des Nordens" sind etwas ganz Besonderes, ein Mix aus christlicher Kirche und heidnischem Tempel. In das Holz sind kunstvoll Fabeltiere geschnitzt, den Firsten Drachenköpfe aufgesetzt, während es innen einen mittelalterlichen Bischofsstuhl gibt. Von weitem hat die Kirche etwas von einem Schiff. Das liegt daran, dass für die Nordmänner das Meer als Ursprung der Seelen immer etwas Mythisches hatte – sie bestatteten auch ihre Häuptlinge in Schiffen. Nach der Christianisierung hielten die Wikinger an dieser Idee eigensinnig fest und machten aus ihren Kirchen eine Art Superschiffe, die Diesseits und Jenseits verbinden.

Die Stabkirche von Heddal stammt aus dem Jahre 1147 – eigenartig, so altes Holz zu berühren, zu riechen. Es hat einen ganz eigenen Duft und eine warme Struktur, fast wie Samt, in der Luft hängt feiner Staub, die Stimmung ist friedlich, ruhig und anheimelnd dunkel – ein enormer Kontrast zu der Nachmittagssonne und den Touristen draussen.

Das Fjell ruft
Die Berge in Norwegen heißen Fjells. Unser erstes Fjell ist das Hoyfjell, über das wir auf dem Weg zum Gaustatoppen kommen. Der Gaustatoppen ist 1883 Meter hoch, und bei so guter Sicht wie heute kann man von oben ein Sechstel Norwegens sehen – von der schwedischen Grenze bis zur Küste. Von der Straße über Tuddal hat man einen herrlichen Blick auf den Berg. Den wollen wir noch länger genießen und suchen uns deshalb ein Hotel.
Bei der ersten Abzweigung landen wir im Leeren – am Ende der Schotterpiste sind nur eine Handvoll im Bau befindlicher Hytter. So heißen die Ferienhäuser hier – egal, ob "Hütte" oder "Villa".
Beim zweiten Versuch finden wir das Hotel Gaustablikk und dort ein Zimmer mit Aussicht (490 NK pro Person).
Im Winter ist hier ein Skigebiet mit mehreren Liften. Im Sommer kann man Bergwanderungen machen und auf dem See Kanufahren oder angeln. Das Hotel ist ein schönes, modernes Sporthotel mit Schwimmbad und Sauna, und das müssen wir natürlich nutzen. Zu unserer Verwunderung sind die Saunen für Männer und Frauen getrennt.
Zum Abendessen gönnen wir uns das große Buffett – einmal norwegische Spezialitäten rauf und runter: Reker (Garnelen) und Sild (Heringsvariationen), Laks (Lachs) und Orret (Forelle), Fiskeboller (Fischklößchen) und Kjottboller (Fleischklößchen), geräuchertes Elch- und Rentierfleisch, Multer (gelbe arktische Brombeeren) und verschiedenste Käse, darunter auch der karamelbraune Geitost. Wir schwelgen und mümmeln und kosten, bis wir verstohlen die oberen Hosenknöpfe öffnen müssen. Von wegen, in Norwegen gibt's "nix Gscheits"!
Als Betthupferl testen wir in der Bar dann noch einen Telemarkssving (Aquavit, Vermouth und Kakaolikeur) und einen Fjellbekk (Vodka, Aquavit, Lime und Sprite).
Der Fjellbekk hat es uns angetan – und prompt verschlafen wir am nächsten Morgen das Frühstück. Die netten Kellnerinnen vom Vorabend haben aber Mitleid mit uns (wir könnten womöglich vom Fleisch fallen...) und schmieren uns rasch ein paar Brote.
Draußen regnet es vor sich hin, der Gaustatoppen ist hinter dichten Wolken verschwunden, und zum Regen gesellen sich auch noch Nebelschwaden.
Der nasseste Tag
Selbst bei diesem Sauwetter ist die Landschaft unvergleichlich und die Straße ausgesprochen bike-ig. Das will eine Menge heißen!
Der Weg nach Rjukan ist eine Serpentine, ganz bis auf den Grund eines Tales. Im Winterhalbjahr fällt angeblich kein Sonnenstrahl hier hinab. Heute - Hochsommer hin oder her – übrigens auch nicht ...
In Rjukan stehen ein Kraftwerk und eine Fabrik, in der im Zweiten Weltkrieg "Schweres Wasser" hergestellt wurde, dass Deutschland für eine Atombombe hätte verwenden können. Norwegische Saboteure sprengten die Anlage, und darauf sind sie heute noch so stolz, dass es u.a. einen Saboteurspfad, einen Saboteursmarsch und eine Saboteursradtour gibt. Das Wasser, dass pausenlos auf uns herniederplatscht, kommt uns mittlerweile auch ziemlich schwer vor...
Wir fahren auf der 37 am Rande des Nationalparks Hardangervidda nach Haukeligrend. Ein Ort unterwegs heißt Rauland, uns genauso ist das Land: kein Baum, kein Strauch, nur endlose grau-grüne Tundra, Moose, etwas Heide.
Dazwischen Gipfel und durch die Berge Tunnel, so kalt und finster, wie ich noch nie Tunnel erlebt habe, richtig gruselig, vor allem, weil man beim Durchfahren merkwürdig kreischende Geräusche hört.
Entlang der Straße, die wie ein Canyon eingekerbt ist in das Land, immer wieder tosende Wasserfälle, viele davon noch schöner als der berühmte Latefoss, der gleich doppelt aus 165 Metern in die Tiefe klatscht und vor dem die Touribusse halten. Wobei die Pracht der anderen Wasserfälle möglicherweise eine Folge des konstanten Nachschubs von oben ist...
Auf dem Weg nach Odda passieren wir ein Sommerskigebiet und finden uns unversehens in der Eiszeit wieder – Schneefelder rechts und links der Straße, Moränenwälle.
Vidda bedeutet weites Land, und die Hardangervidda ist die größte Hochebene Nordeuropas. Bei soviel Weite hat der Wind Zeit und Platz genug, uns den Regen so richtig um Körper und Maschinen zu peitschen – nach einigen Stunden geben sogar unsere Schottlanderprobten, nachimprägnierten Goretex-Kombis so langsam den Kampf gegen die Elemente auf...
Die Nässe macht die Straßen gefährlich – auf einmal habe ich Reto im Rückspiegel verloren, halte also an und warte, und als er wieder da ist, erzählt er, dass er auf einer Ölspur ausgerutscht ist und nur mit einem Ritt durch's Gelände verhindern konnte, dass die Maschine ihm richtig wegschmiert.

Zweimal kehren wir ein, aber beim zweiten Mal ist es mir schon fast peinlich, welch riesige Pfütze sich um mich ausbreitet. Wir folgen dem Sörfjord bis Utne, wo er auf den Hardangerfjord trifft. Gegenüber dem Fähranleger fällt uns ein gemütliches Hotel auf, weißes Holz, Schnitzereien, anheimelndes Licht aus allen Fenstern – das Utne Hotel. Es entpuppt sich als echter Glücksgriff, denn es ist nicht nur das älteste und traditionsreichste Hotel Norwegens, sondern auch überaus gastfreundlich.
Die Hoteliers geben uns ihren gesamten Vorrat an alten Zeitungen, damit wir unsere Stiefel zum Trocknen ausstopfen können, und wärmen uns anschließend mit einem prasselnden Kaminfeuer wieder auf. Die Kombis haben wir sicherheitshalber direkt im Bad ausgezogen – und meine Außentaschen sind bis zum Rand voll Wasser, so dass ich sie erstmal ausschütten muß.
Seit 1722 gibt es dieses Haus, innen fast ein Museum, nur gemütlicher, und die Doppelzimmer sind mit 970 NK noch erschwinglich. Unseres hat eine Terrasse mit Blick auf die Fähren und den Hardangerfjord, der jetzt graugrün und aufgebracht ist, aber als einer der schönsten Norwegens gilt.
Alle Reiseführer sagen, man solle im Mai hierher fahren, weil dann entlang des Hardangerfjords Hunderttausende von Obstbäumen blühen. Dass man hier dennoch auf weitaus weniger liebliche Anblicke eingerichtet ist, beweisen die Fähren – richtige Heavy-Duty-Schiffe für schwerstes Wetter.
Wie Brasilien die Mittsommernacht verhindert und dabei für ein rauschendes Fest gesorgt hat
Norwegenerfahrene Freunde haben uns gesagt: "Bergen ist der Platz, um die Mittsommernacht zu feiern!"
Ergo haben wir unsere Tour so getimt, dass wir just am richtigen Tage hier einlaufen. Doch nachdem wir im Hotel eingecheckt haben und an der Rezeption fragen, wo man denn zum Feiern hingeht, blicken wir in ein verlegen-langes Gesicht. Ausgerechnet heute Abend spielt in der Fußball-WM Norwegen gegen Brasilien – und die fußballverrückten Fans haben die Mittsommernacht einfach vorverlegt und bereits vor zwei Tagen ihre Mittsommerfeuer angezündet!

Dafür haben wir mit dem Wetter Glück. Die Sonne ist wieder da-was alles andere als selbstverständlich ist, denn Bergen ist die regenreichste Stadt Europas. Wir haben Leute gesprochen, die schon zig Mal hier waren und immer Regen hatten und eine Österreicherin, die mit ihrem norwegischen Ehemann hier lebt, erzählt uns, es habe den gesamten Februar ununterbrochen geregnet. Deprimierend. Doch bei Sonnenschein ist Bergen ein Traum.
Die "Stadt zwischen den sieben Bergen" hat eine lange Tradition:
1070 wurde sie gegründet und war ein Zentrum des Stockfisch-
handels, Königsresidenz und seit dem 14. Jahrhundert Hansestadt. In dieser Zeit entstand das alte Kaufmannsviertel Bryggen. Heute werden in den ehemaligen Kontoren Norwegerpullover, Schmuck und Andenken verkauft, es gibt Kneipen und Restaurants. Die Menschen sind lustig und aufgeschlossen, egal wo man hinkommt.
Auf dem Fischmarkt – ein weiteres Highlight mit riesigen Hummerbecken und Meeresgetier aller Art – holt Reto sich "die beste geräucherte Makrele seines Lebens" und ich mir eine Tüte Reker, die ich auf einem Poller am Hafenbecken pule, während wir das Anlegemanöver eines großen alten Holzkutters beobachten.
Draußen liegen ein paar Kreuzfahrer auf Reede, und die Stadt pulsiert mit Touris, Studenten und Geschäftsleuten.
Bergen, die "Europäische Kulturstadt 2000", hat so viele Sehenswürdigkeiten und Museen, so viele Shoppingzonen und Boutiquen, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist – und trotzdem wirkt die Stadt echt und authentisch und nicht übermäßig "touristisiert".
Bei einer Kaffeepause sehen wir zum ersten Mal seit Beginn der Reise einen Stadtstreicher. Er versucht, an jedem Tisch ein paar Kronen zu schnorren, freut sich aber auch über die halbe Pizza, die ein Tischnachbar ihm anbietet.
Für unser Abendessen wählen wir ein deutlich anderes Ambiente und zwar das Restaurant Enhjorningen (Einhorn) in einem der alten Hansehäuser. Das ist ein sehr gepflegtes Fischrestaurant, möbliert mit Antiquitäten, an den Wändern goldgerahmte Ölgemälde.
So stilvoll das Restaurant auch ist – alle Bilder hängen schief. Das scheint eine norwegische Eigenart zu sein, es fällt uns jedenfalls immer wieder auf, dass Bilder, Spiegel oder Fotos schief hängen. Ich stelle mir dann den Loriot-Sketch vor und was der mit diesen Teilen anstellen würde...
Das Essen ist ein Hammer und ich futtere mich begeistert durch eine gigantische Seafood-Platte – zum Schluß haben wir mal wieder mehr Kronen verfressen, als wir im Hotel verschlafen.
Auf der Straße überlegen wir, wo wir noch einen Absacker nehmen und entscheiden uns für einen Pub direkt am Hafen. Die Stadt ist wie leergefegt, die Norweger kleben an den Fernsehern, auch in den Kneipen. Nur eine Handvoll Menschen genießt wie wir den Sonnenuntergang auf der Terrasse – und als Norwegen unter ohrenbetäubendem Freudengeheul gegen Brasilien die Führung übernimmt, schließen selbst wir uns den Zuschauern an – wobei ich es spannender finde, denen zuzusehen als dem Spiel.
Nachdem Brasilien tatsächlich besiegt ist, bricht unglaublicher Jubel aus, wildfremde Menschen fallen einander in die Arme, auf der Straße knattert ein norwegisches Fahnenmeer, die ganze Stadt feiert eine Riesenparty, selbst der Penner schunkelt auf seiner Parkbank und singt "Norge, Norge, Olé, Olé, Olé" – größer als dieses Fest kann keine Mittsommernachtsfeier sein!
Traumstraßen, Gletscher und der König der Fjorde
Wir verlassen Bergen auf der E 16 und wechseln bei Knarvik auf die 565, der wir folgen bis Fonnes.
Die schmale kurvenreiche Landstraße windet sich durch eine hinreißend schöne Fjord- und Schärenlandschaft. Vestlandet heißt diese Region, und der Einfluß des Golfstroms sorgt für eine üppige Vegetation inmitten der schroffen Klippen. Licht und Farben der Fjorde wechseln ständig und geben der Küste einen ganz eigenartigen Reiz.

In Fonnes, wo wir auf die erste Fähre des Tages warten, picknicken wir – mal wieder mit Elch- und Rentierwurst. Reto zeigt inzwischen erste leichte Abneigungsreaktionen.
Von Halsvik cruisen wir die mega-malerische 57 entlang bis Rutledal und weiter via Brekke und Instefjord nach Oppedal, wo wir mit Fähre Nummer Zwei den "König der Fjorde", den Sognefjord, überqueren.

204 Kilometer ist dieser Fjord lang und bis zu 1308 Meter tief und damit der längste und tiefste des Landes. Noch ein Superlativ unterscheidet diesen Fjord von anderen: hier – immerhin auf dem selben Breitengrad wie Südgrönland –wachsen dank des milden Golfstroms Erdbeeren und sogar Pfirsiche!
Bei unverändert strahlendem Sonnenschein hat die Landschaft mediterrane Züge. Es ist ein bißchen wie an der Cote d'Azur – dabei wunderbar menschenleer und die Natur ist eindrucksvoller als am Mittelmeer: Gletscher und schneebedeckte Berge, unzählige Wasserfälle, ein Meer pink- und lilafarbener Lupinen, deren süßer Duft uns während der gesamten Fahrt am Sognefjord entlang begleitet.
Einen Stop machen wir in Balestrand, um die Jahrhundertwende der Ferienort Norwegens und bei reichen Engländern ebenso angesagt wie beim deutschen Kaiser Wilhelm II. An einigen Villen sind die prächtigen holzgeschnitzten viktorianischen Fassaden erhalten – nur das hochgelobte Kvittes Hotel Balholm hat einen häßlichen Plattenbau-ähnlichen Anbau bekommen, der das gesamte Ortsbild zerstört.
Seit Wilhelm II. hier seine Sommerfrische genoß, hat eben fast ein ganzes Jahrhundert seine Spuren hinterlassen.

Am Anleger für die dritte Fähre des Tages – nach Hella – lernen wir einen pensionierten französischen Professor kennen, der mit seiner bayerischen Frau zwei Monate im Wohnmobild durch Norwegen zigeunert. Beneidenswert!
Er erzählt uns, dass er vor 40 Jahren schon mal im Jeep über Schotterpisten bis ans Nordkap gefahren ist und wie abenteuerlich man damals reiste.
Wir gönnen uns als krönenden Abschluß des Tages ein Gletscher-Abenteuer und fahren das Jostedal hinauf zum Nigardsbreen.
Dort leckt eine eisblaue Gletscherzunge an einem tiefgrünen Bergsee, und bis auf einen einsamen Radler sind wir ganz allein im Sonnenuntergang in dieser imposanten Kulisse. Der Radler fühlt sich offenbar durch uns gestört und sucht schnell das Weite, so dass wir Europas größten Festlandgletscher nur für uns haben! Ich kann mir nicht helfen und versuche, mein Motorrad aus einer Leni Riefenstahl-Perspektive zu fotografieren ...

Über Nacht bleiben wir in der Pension Solvang Kafé (netter als das Best Western in Bergen, und das für gerade mal 430 NK!), in der außer uns nur ein paar schwule Bergsteiger sind, die ihre morgige Tour besprechen.
Schneewalzer über das Sognefjell
Ein Tag, an dem wir eigentlich einen Liter Asbach trinken müßten, weil uns soviel Schönes widerfahren ist...
Die Fotos vom Sognefjell haben uns ja schon Zuhause im flachen Berlin angemacht, aber die Wirklichkeit übertrifft jede Vorstellung.
Auf der 55 durchqueren wir Jotunheimen, das "Reich der Riesen". Ebensogut könnte es das Reich der Götter auf den Gipfel-Plateau der Welt heißen, so überwältigend ist es!

Rechts und links der Straße türmt sich der Schnee zwei Meter hoch, und die höchsten Berge Norwegens, Glittertind (2452 m) und Galdhopiggen (2469 m) schimmern von weitem im arktischen Licht. Wir sind ganz allein mit dieser grandiosen Landschaft, halten immer wieder an, fotografieren, stapfen durch den Schnee und bewerfen uns mit Sommer-Schneebällen.

Auf 1400 Metern Höhe rasten wir und bauen unseren ersten Trollhaufen. Das muß man machen, um die buckligen Gesellen milde zu stimmen. Also schichten wir kunstvoll Stein auf Stein und erzählen den Trollen dabei, was wir so vorhaben in ihrem Land (nichts ärgert sie mehr, als wenn man ihre Existenz in Zweifel zieht – dann spielen sie einem die übelsten Streiche).
Reto erfindet eine neue Extremsportart: das "Xtrem-Tummying" und wirft sich - zur Verwunderung zufällig vorbeikommender Touristen - bäuchlings die verschneiten Hänge hinab. Nachahmung bitte nur mit geeigneter Schutzkleidung!
Für weniger Abenteuerlustige gibt es hier ein Sommerskigebiet, Gletscherwanderungen, Eisklettern.
Wir folgen ab Lom der 15 via Grotli zum Breidablik – auch dies eine atemberaubend schöne Strecke.
Zwischen türkisfarbenen Eisschollen spiegeln sich die majestätischen Gipfel in den Fjorden, einige Berge erscheinen wie in der Bewegung erstarrte Riesenwellen. Klirrend kalt ist es, und ich bin dankbar für die Heizgriffe meiner R 80 GS.
Dann setzen wir an zum Gipfelsturm auf den Dalsnibba, einem 1476 Meter hohen Aussichtspunkt, von dem aus man den berühmten Geirangerfjord überblickt.
Nur: raufkommen muß man erstmal!
Das geht über eine mautpflichtige, unbefestigte Haarnadelstrecke – reichlich halsbrecherisch, vor allem für Zweiräder im Schnee. Ich bin nicht ganz sicher, ob ich auf der Fahrt vor Kälte oder Aufregung zittere...
Doch der Blick lohnt sich! Unten im Fjord ankert – Reto zu Ehren – der Kreuzfahrer "Switzerland", direkt neben uns steigt eine Skifahrerin in ihre Bindungen und ein Snowboarder schwingt mit ihr talwärts.
Wir tasten uns durch die Haarnadeln wieder bergab, rein in den Ort Geiranger. Sommer für Sommer gehen hier mehr als 100 Kreuzfahrtschiffe vor Anker. Das 300-Seelen-Nest ist einer der bekanntesten Fremdenverkehrsorte des Landes – und hoffnungslos überlaufen. Da hilft nur Reißaus-Nehmen!
Das tun wir auf dem Ornevegen, dem kühn in den Berg geschnittenen Adlerweg. Ein Fest für die Motorradfahrersinne!
Nachdem wir über den Norddalsfjord gesetzt haben, kurven wir auf der 63 Richtung Trollstig. Der Kurvenrausch wird mir fast zum Verhängnis, als mir ein achtloser Busfahrer in einer 90-Grad-Kurve auf meiner Seite entgegen kommt. Ich lege eine Vollbremsung hin, doch der holländische Buslenker sieht mich immer noch nicht und bringt sein Ungetüm erst wenige Zentimeter vor mir auf mein panisches Hupen hin zum Stehen, während ich bereits rückwärts rolle, um nicht zwischen seine Reifen zu geraten. Puh, dieser Adrenalin-Stoß!
Offenbar kommt sowas öfter vor, jetzt, wo ich darauf achte, sehe ich reichlich wilde Bremsspuren auf den engen Straßen.

Der Trollstigvegen entschädigt uns mehr als reichlich für den Schock. Landschaftlich ist diese Bergstraße einer der schönsten Pässe, die wir je gefahren sind, mittendrin eine Brücke über den tosenden Wasserfall Stigfoss. Herrlichst!
Die Norweger haben den "Trollpfad" in den 30er Jahren in die fast senkrechte Felswand gesprengt. Elf schwindelerregende Serpentinen überwinden 852 Höhenmeter.

Fast unmittelbar daneben blickt man auf die Trollwand, die 1000 Meter steil abfällt. In den 80er Jahren haben sich verwegene Fallschirmspringer von der Kante in die Tiefe gestürzt, aber nach einigen tödlichen Unfällen wurde der "Para-Kick" 1986 verboten.
Wir folgen der Straße entlang eines Bergbachs, bis wir zu einem kleinen Gasthaus kommen, neben dem ein paar feine neue Holzhütten vermietet werden.
So eine nehmen wir und sind sehr angetan davon, was man hier für 450 NK bekommt: einen geschmackvoll möblierten Wohnraum mit offener Küche, separates Schlafzimmer, Bad und Veranda mit Blick auf den Trollstig und den Bergbach.
Ach, diese Bergbäche! Nirgendwo sonst habe ich so viele gesehen, so rauschende, tobende, gewaltige Bäche – Tiefblau, Türkis, Grün, Azur oder brodelnd Weiß. Einzigartig!
Nach dem Abendessen (richtig: Elch- und Rentierwurst!) und einem Aquavit (Reto sagt, sonst ißt er keinen Bissen mehr von der Wurst) errichten wir noch einen Trollhaufen. Damit bitten wir die Trolle um Hilfe – denn Retos Motorrad ölt unverdrossen vor sich hin, wobei sich merkwürdigerweise der Ölstand nicht im Geringsten ändert. Sicherheitshalber wollen wir morgen in Alesund in einer Werkstatt vorbeischauen.
Erstmal müssen wir die Gummikühe vor Echten retten: als wir kamen, haben wir direkt vor dem Gasthaus geparkt, aber der Vermieter erzählt uns nun, dass seine Kühe jeden Abend von Berg kommen und es bestimmt himmlisch fänden, sich an unseren Maschinen zu scheuern. Also fahren wir auf den geschützten Platz neben unserer Veranda – und tatsächlich, in der Dämmerung trotten die Kühe heran und beäugen ganz sehnsüchtig ihre gut gesicherten Gummiverwandten.
Wie man es schafft, dass Motorräder nach Fisch riechen
Am Morgen regnet es, und deshalb ist die Fahrt nach Alesund nicht so malerisch wie erwartet, und auch die als "Venedig des Nordens" (wieviele Nord-Venedigs gibt es eigentlich??) gerühmte Jugendstilstadt zeigt sich eher von ihrer nassesten als von ihrer charmantesten Seite.
Dafür beruhigt uns der Mechaniker – alles in Ordnung, vermutlich einfach zuviel Öl eingefüllt. Und warum sinkt dann der Ölstand nicht? Keine Ahnung. Na, toll.
Wir platschen durch Alesunds Fußgängerzone, zollen den Fassaden gebührende Bewunderung, machen das minimalst-Touri-Programm und überlegen, wie wir weiterfahren, als uns plötzlich ein Geistesblitz trifft: Hurtigruten!
Hurtigruten wird von den Norwegern auch Reichsstraße 1 genannt und ist die entspannteste Art zu reisen, weil sich auf einer Strecke von rund 2300 km nur elf Fahrzeuge bewegen: Postschiffe.
Seit gut 100 Jahren verbinden sie 35 Hafenstädte von Bergen bis Kirkenes miteinander. Die komplette Tour – für viele "die schönste Seereise der Welt" - dauert elf Tage, aber man kann in jedem Hafen zu- und aussteigen, genauso einfach wie bei einem Fährschiff.
Wir gehen also zum Hurtigruten-Büro und fragen, ob heute noch ein Schiff nach Norden geht. Die Kontoristin deutet gelangweilt aus dem Fenster und murmelt etwas von "15 Minuten". Mit etwas Beeilung ist das zu schaffen – Tickets kann man an Bord lösen.
Wir rennen durch den Regen zurück zu unseren Bikes, suchen uns einen Weg zum Kai und ins Innere des Postschiffs. Das ist nun doch ganz anders als auf-die-Fähre-fahren. Wir müssen nämlich mit einem Aufzug ins mittlere Frachtgeschoss des Dampfers gehievt werden. Dort weist uns ein Mann im Overall Plätze zwischen Fischkisten, Reusen und riesigen Kabeltrommeln an.
Nachdem alles verzurrt ist, lösen wir eine Passage bis Molde und gehen an Deck, gerade als die Sirene zum Ablegen dröhnt.
Das Postschiff gleitet gemächlich zwischen den Schären und Inseln hindurch, und man kann in aller Ruhe die Dramatik der norwegischen Küstenlandschaft bewundern, Vögel beobachten oder mit Mitreisenden quatschen. Wir lernen eine Gruppe älterer Engländer kennen, Pensionäre, die eine komplette Tour gebucht haben, von Bergen bis ans Nordkap. Zwischendurch machen sie Landausflüge, mit Bussen von einem Hafen zum nächsten. Übernachtet und gegessen wird an Bord, zwar nicht so elegant wie auf einem Kreuzfahrschiff, aber dafür treffen sie unterwegs Menschen aller Nationalitäten und sehen ungeheuer viel von Land und Leuten.
Alle aus der Gruppe sind weitgereist, waren in Asien unterwegs, in Afrika oder Amerika, und es ist angenehm, sich einige Stunden mit ihnen zu unterhalten.
Kurz bevor wir in Molde einlaufen, befreien wir unsere Mopeds wieder von ihren Fesseln und stellen fest, dass sie den Geruch der Fischkisten eins zu eins übernommen haben.
Es ist eigenartig, auf einem fischigen Motorrad durch die Stadt zu fahren, aber es paßt zu diesem nassen Tag. Sehr weit kommen wir auch nicht mehr, etwa 100 Kilometer vor Trondheim lockt uns ein Schild "Hytter" einen steilen Schoterweg hinauf zu einem Bauerngehöft.
Die Bäuerin spricht ausschließlich norwegisch, aber mit Händen und Füßen erklärt sie uns, dass das schöne alte Holzhaus, dass sie uns vermietet, früher das eigentliche Bauernhaus war.
Wir werfen den Kamin an, packen den mitgebrachten Lachs (und einen Rest Rentierwurst...) aus und wärmen uns mit einem Aquavit auf, während unsere Motorradkombis neben dem Feuer trocknen. Diese "Hytter" ist bisher mit Abstand die gemütlichste!
Der Norden ruft!
Am nächsten Tag ist wieder schönster Sonnenschein, und wir biken entspannt rein nach Trondheim und parken die BMWs am Hafen – wo endlich mal mehr Segel- als Motorboote liegen! - bei einem Fischrestaurant, bevor wir aufbrechen zum Stadtbummeln.
Die Geschichte Trondheims reicht zurück bis in die graueste Vorzeit. Ursprünglich ein Thingplatz der Wikinger, wurde es 1163 erste Krönungsstadt, und auch die Kurie schätzte die heutzutage drittgrößte Stadt Norwegens als nördlichen "Außenposten". Aus dieser Zeit stammt die Nidaros Domkirke, Nordeuropas prächtigstes gotisches Bauwerk. Viel schlichter, aber genauso sehenswert sind die alten hölzernen Speicherhäuser am Nidelv. Auf keinen Fall verpassen sollte man die Fischhalle Ravnkloa, wo wir uns – quasi als Vorspeise – mal wieder eine Tüte Reker holen, die wir dann am Markt pulen.
Trondheim ist eine quirlige, frische Stadt mit einer ganz relaxten, positiven Atmosphäre. Wenn's uns nicht so nach Norden zöge, würden wir hier bestimmt noch einen Tag dran hängen und abends in eines der vielen Pubs gehen.
So schlagen wir uns in dem Fischrestaurant, neben dem wir geparkt haben, noch den Bauch voll, bevor wir auf der E 6 die Stadt verlassen.
Die ersten 50 Kilometer sind weder fahrerisch noch landschaftlich aufregend, doch spätestens ab Steinkjer ist man wieder umgeben von einer gloriosen Waldlandschaft. Hier ganz in der Nähe sind die berühmtesten Felszeichnungen Norwegens, das 5000 Jahre alte "Rentier von Bola", Bären und Elche. Leider finden wir keinen Hinweis, wo man abbiegen muß, und begnügen uns – etwas später – mit echten, lebendigen Rentieren.
Die Straße folgt dem breiten Fluß Namsen, den die Engländer Ende des 19. Jahrhunderts "The Queen of Norway" getauft haben, weil er einer der ertragreichsten Lachsflüsse des Landes ist.
Bei Namsskogan übernachten wir im Nam-Inn, einem einfach Motel, für 490 NK inkl. Frühstück, der bisherige Tiefstpreis.
Durch einsame, romantische Täler, vorbei an gigantischen schneebedeckten Gipfeln, durch endlose Tundraweite cruisen wir gen Polarkreis.
Bei Laksfors staunen wir über den tosenden Wasserfall, den immer wieder Lachse hinaufzuspringen versuchen. Hier kann man auch frischgeräucherten Fisch mitnehmen.
Über das karge Korgfjell, auf dem nur Moose und Fjellbirken wachsen, erreichen wir Mo i Rana.
Immer wieder erinnern Gedenksteine daran, dass während des Krieges jugoslawische, russische und polnische Gefangene diese "Blutstraße" in den Norden bauen mußten.
Exakt auf dem 66 1/2sten Breitengrad überspannt ein Bogen die Straße:
Willkommen am Polarkreis
Das Polarsirkelen-Senter neben der E 6 ist etwas enttäuschend. Mehr, als dass die Sonne hier vom 23. auf den 24. Juni genau 24 Stunden am Himmel bleibt, erfährt man über den "Arctic Circle" nicht. Der größte Teil des "Senters" ist Caféteria und Verkaufsraum für Souvenirs (die immerhin ausgesucht hübsch sind).
Kurz vor Bodo finden wir noch ein "Senter": das Saltstraumen-Erlebniszentrum. Der Saltstraumen ist der stärkste Gezeitenstrom der Welt. Alle sechs Stunden pressen Ebbe oder Flut ihre Wassermassen mit bis zu 40 km/h in einem brodelnden Strudel durch die Meerenge. In dem schäumenden Strom werden jede Menge Plankton und kleine Fische aufgewirbelt und mitgerissen, gefolgt von Schwärmen gieriger großer Fische, was diese Naturgewalt zu einem Eldorado für Angler gemacht hat.
"Nie werde ich das Gefühl des Grauens und der Bewunderung vergessen können", schreibt Edgar Allan Poe über den Mahlstrom, "die entsetzliche Erhabenheit des Bildes hatte mich ganz überwältigt." Wir finden das Spektakel weitaus weniger erhaben – um nicht zu sagen: langweilig.
Aber es ist auch weder Voll- noch Neumond – und da soll's erst so richtig rund gehen.
Auch von Bodo sind wir nicht überwältigt, was wir jedoch mit vielen Norwegern gemeinsam haben, die angeblich sagen: "Bodo, das liegt doch da, wo man hinfährt, wenn man weiterfahren will."
Genau das ist unsere Absicht, nämlich auf die Lofoten, und so suchen wir uns eine Unterkunft nahe dem Fährhafen. "Mitternachtssonne" heißt das Hotel, ist genauso günstig wie in der Nacht davor und zwar sehr eng, aber ganz witzig eingerichtet...
Fortsetzung folgt...

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