Wallis
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Wallis |
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Wallis
Im Tal der TälerZwischen dem Furkapaß und dem Genfer See hat die Rhône ein Tal geschaffen, daß seine Kostbarkeiten in fast zwei Dutzend Seitentälern verbirgt. Im Schatten der Viertausender versuchten wir, einige von ihnen zu entdecken.
Die Textfassung steht hier, die ganze Reportage mit den Bildern findet Ihr unter http://www.motorradkarawane.de/repo/index.html. (Unter "Regionen" Schweiz auswählen. Der Bericht steht dann an zweiter Stelle.)
Die neue Brücke über der schaurigen Schlucht war gerade errichtet, als Luzifer gelobte, die Brücke zu verschonen, wenn die Seele des ersten Wesens, das die Brücke betritt, ihm gehört. Der clevere Abt, der die Brücke hatte bauen lassen, nahm ein Stück Brot und warf es über die Brücke in den Abgrund. Ein hungriger Hund sprang dem taumelnden Bissen hinterdrein in den Tod. Der Teufel hatte verloren, so glaubten jene, die an der Brücke standen. Doch Luzifer stand lachend unter der Brücke und rief: Es war für Reisen und für Verbrechen wie dies, daß ich die Brücke stehen ließ.
Die Worte aus Longfellows Gedicht - Die Teufelsbrücke - ziehen durch meinen Kopf als wir uns der mächtigen Ganterbrücke nähern. In einem kühnen Schlag quert sie mit ihrem grauen Beton das abgrundtiefe Tal, macht den wintersicheren Simplon zum wichtigsten Paß zwischen dem Wallis und Italien. Die Mystik des Gedichtes fehlt ihr jedoch gänzlich: Moderne Bauweise und die zügige Trassierung der Schnellstraße verwischen die Gedanken an die alten Zeiten, in denen sich die Reisenden mühselig über die rauhen Wege schleppten, Postkutschen die Fahrgäste durchrüttelten und ein Wetterumsturz Lebensgefahr bedeutete.
In der Gondoschlucht nahe der italienischen Grenze war das noch ganz anders. Beklemmend nah rückte der Fels dem Asphalt, die Diveria nagte mit ihren feuchten Zähnen von unten am Grund der Straße. Erst langsam konnte sich der Fahrweg aus der steinernen Umklammerung befreien und auf die kalten Höhen am betagten Hospiz klettern.
Nicht weniger spektakulär geben sich die beiden anderen großen Einfallstore ins östliche Wallis, der Furka- und der Grimselpaß. Anno 1779 überwand Goethe zu Fuß den Furkapaß und staunte nicht schlecht beim Anblick des gewaltigen Rhônegletschers, der sich kurz hinter der Paßhöhe, beim ehrwürdigen Hotel Belvédère ins Blickfeld schiebt. Es sei der ungeheuerste Gletscher, den er gesehen habe, vermerkte der Dichter in sein Tagebuch. Über die folgende Landschaft schrieb er: "Vom Gletscher links und rechts und vorwärts sieht man keinen Baum mehr, alles ist öde und wüst". Öde und wüst? Dabei hatte er doch gerade das Wallis betreten, das andere Literaten das Tal der Täler oder den herrlichen Garten Gottes genannt hatten.
Vorbei an schattigen Lärchenwäldern streifen wir durch das Goms, wie deren Bewohner den östlichen Teil des Wallis nennen. Jene sollen von den Alemannen abstammen und in Ortsnamen wie Oberwald, Münster und Mühlebach spiegeln sich die Wurzeln der Siedlungen wider. Noch heute bezeichnen sie die Rhône nicht mit ihrem französischen Namen sondern mit Rotten, die mit Brig das Zentrum des Oberwallis erreicht.
Schon von weitem erkennen wir das Wahrzeichen der Stadt, die goldenen Zwiebeltürme des Stockalper-Palastes. Mitte des siebzehnten Jahrhunderts hatte der geniale Kaufmann Kaspar Jodok Stockalper derartige Reichtümer angesammelt, daß er sich dies monumentale Bauwerk als Wohnsitz errichten ließ. Der Hof des Palastes diente als geschäftiger Warenumschlagplatz für Eisen aus dem Gantertal, Gold aus der Gondoschlucht, Seidenballen, Terpentin und Zucker. Ganz besonders bedeutungsvoll war für Stockalper jedoch das "weiße Gold", da er das Salzmonopol hielt und hier eine der wesentlichen Grundlagen für seinen Reichtum lag. Als gelehrter Mensch erkannte er die Zeichen der Zeit und die Bedeutung der Paßstraßen, speziell die des Simplon. Er kaufte Brig die Rechte an Wegen und Brücken ab und erhob nun seinerseits Zölle auf deren Benutzung. Die berittene Schnellpost, Pferdewechselstationen und das Hospiz auf der Paßhöhe des Simplon gehen auf ihn, den Fugger des Wallis, zurück.
Briga dives, das reiche Brig, blühte unter seinem berühmten Sohn auf, allerdings schienen nicht nur die Sonnenseiten der Zeiten auf die Stadt herab. Erst jüngst ereignete sich eine Katastrophe, vor der Ökologen schon lange gewarnt hatten. Mit der Schneeschmelze schwollen die Wasser der Saltina und der jungen Rhône derart schnell an, daß die gesamte Briger Innenstadt von einer Masse aus Schlamm und Geröll überschwemmt wurde. Aus der Not eine Tugend machend legten die Briger ihre Stadt frei und spendierten ihr eine neue Fußgängerzone, in der aber auch heute noch, gleichsam als Mahnung, die Spuren der Überschwemmung an den Gebäuden der Innenstadt erhalten sind.
Mit der Rhône verlassen wir Brig westwärts, um bei Visp ins Mattertal abzuzweigen. Zermatt, der mondäne Skiort zu Füßen des Matterhorns ist unser Ziel. Die Fahrt endet jedoch schon in Täsch, mit seinen riesigen Parkplätzen. Zugunsten des auto- und motorradfreien Zermatt wurde Täsch zum alpinen Schmuddelkind aus Schnellimbiß und Blechkarawane. Mit der Visp-Zermatt-Bahn legen wir die letzten Kilometer in den Nobelort zurück und dann ist es endlich zu sehen, das Matterhorn.
Heerscharen von Bergsteigern haben sich an ihm versucht, einige haben es bezwungen. Der erste, dem die Besteigung gelang, war der Engländer Edward Whymper. In einem packenden Wettlauf mit dem Italiener Jean Carrel und seinem Team erreichte Whymper am 14.Juli 1865 den Gipfel des 4478 Meter hohen Felskolosses. Im Triumphrausch wollten Whymper und seine Gefährten ins Dorf zurückziehen, doch das Glück des Tages war für einen kurzen Moment nicht bei ihnen gewesen. Bei einer Rast der siebenköpfigen Gruppe rutschte einer aus und riß gleich drei weitere über das Sicherungsseil mit in die bodenlose Tiefe. Drei, unter ihnen Whymper, standen noch oben und hielten mit eiserner Kraft die unendlich schwere Last der Kameraden, bis das Sicherungsseil plötzlich aufplatzte. Die vier stürzten über tausend Meter tief auf den Matterhorngletscher und waren verloren. Trotz dieses Unglücks war die Bergsteigerhysterie, insbesondere unter den Engländern, nicht mehr aufzuhalten. Der moderne Alpinismus war geboren.
Bergsteigen mit Endurostiefeln ist nicht meine Sache, aber dem bekanntesten Alpengipfel ein paar Meter näher kommen möchten wir dennoch. So folgen wir von Zermatt dem schmalen Pfad zum Weiler Zmutt mit seinen schwarzen Holzhäusern. Vor langer Zeit war der Weg nach Zmutt Teil einer bedeutenden Handelsroute zwischen Zermatt und Sion im Unterwallis. Die 1596 erbaute Herberge "Weißes Haus" legt heute noch Zeugnis dafür ab. Auf der hölzernen Sonnenterrasse einer kleinen Wirtschaft bekommen wir "Chümli" mit Backwerk serviert und genießen in Stille den Blick auf die umliegenden schneebedeckten Viertausender.
Immer wieder atemberaubend ist die Fahrt vom Haupttal des Wallis in eines seiner Nebentäler. Die Windungen mit denen sich unsere Straße nach Vercorin hinaufschraubt belegt das eindrucksvoll. Ekstatischem Drehen des Gasgriffs beugt jedoch das Asphaltband selbst vor. In einer eher übersichtlichen Kehre verliert das Hinterrad kurz an Haftung und führt zu einem Eiertanz, der für die folgenden Kurvenkombinationen eine langsamere Gangart angeraten erscheinen läßt. Bei mäßigem Tempo und aufgeklapptem Visier streichelt bald der Duft blühender Matten und Alpenblumen um unsere Nasen.
Grimentz, auf der westlichen Seite des Val d'Anniviers gelegen, gilt als das schönste Dorf der Schweiz. Dazu gehört natürlich, daß Fahrzeuge am Ortseingang abzustellen sind. Zu Fuß lassen sich die engen Gassen des Dorfes auch viel besser erkunden und der typisch Walliser Baustil entdecken. Im Labyrinth der Chalets aus sonnenverbranntem Lärchenholz, ragen Balkone, geschmückt mit leuchtenden Geranien, in die Gassen.
Richtig malerisch wird es dann bei der alten Holzmühle, die mit klarem Bergwasser betrieben wird. Die Stadel, blockhüttenartige Speicherbauten, stehen aufgeständert auf Holzpflöcken, auf denen wiederum große runde Steinplatten ruhen. Die ewig hungrige Schar von Mäusen, Iltissen und anderen Nagern sollte so von den kostbaren Vorräten der Dörfler ferngehalten werden.
Das genaue Gegenteil von Grimentz erwartet uns in Montana, dem Sonnenbalkon des Wallis und Ort der Noblesse auf der nördlichen Rhôneseite. Hier lockt weniger die Architektur vergangener Tage, denn die Möglichkeit endlich einmal wieder eine Straße zu befahren, die nicht als Sackgasse endet. Gerade diese hat nämlich ihrer ganz eigenen Reize. In einem Wirrwarr von Serpentinen, Kurven, Verwindungen und Kehren scheint kein einziger Meter Straße geradeaus zu gehen. Dabei fällt der Blick immerfort ins rebenbestandene Tal der Rhône und bei Montana können wir uns an der Aussicht auf das Turtmanntal, das Val d'Anniviers und das Val d'Herens gütlich tun. Im Hintergrund leuchten Zinalrothorn, das Gabelhorn und die Dent Blanche mit ihren Häuptern aus ewigem Eis.
Mag Montana auch kein rechter Augenschmaus sein, ein hungriger Motorradfahrer sollte einen Abstecher in die Bäckerei Taillens wagen. Wahre Schätze des Bäckerei- und Konditoreihandwerks werden hier feilgeboten. Hinter den üppig gefüllten Theken helfen emsige Damen bei der Wahl herzhafter und süßer, auch unbekannter Teigwaren, die sich am besten auf einer der üppigen Wiesen außerhalb des Städtchens verspeisen lassen.
Über Lens und Ayent gleitet die Straße sachte hinab in die Hauptstadt des Wallis, nach Sion. Von der Hangstrecke aus erkennen wir die beiden Burgfelsen Valeria und Tourbillion, die der Stadt ein unverwechselbares Gepräge geben. Schon 4500 vor Christus lebten Menschen in Sion, das die älteste Stadt der Schweiz sein soll. Unter Kaiser Augustus wurde Sion dem römischen Imperium einverleibt und im 6. Jahrhundert wurde es Hauptort des Wallis. Von mächtigen Bischofsfürsten regiert, entstanden in Sion bedeutende Bauwerke, von denen der Sommersitz der herrschenden Bischöfe, Tourbillion, sicherlich der eindrucksvollste ist. An eine kastillische Burgfeste erinnernd thront er über der Stadt und blickt seinem Gegenüber, der ebenfalls stark befestigten Anlage von Valeria, ins Gesicht. Die zu Valeria gehörende Kirche Notre-Dame beherbergt einen der größten schweizer Schätze überhaupt. Gemeint ist die älteste noch spielbare Kirchenorgel der Welt, die seit 1390 ihren Dienst verrichtet.
Das wildeste aller Walliser Täler, so versichert man uns in Sion, sei jenes der Derborence. Und in der Tat, selbst weitgereiste Tourenfahrer werden dieses Tal so schnell nicht vergessen. Nach der kleinen Kapelle von Aven knickt die Straße scharf nach rechts ab und verläßt das fruchtbare Rhônetal, um sich in der Enge der Derborence zu verlieren. Kahle graue Felswände, die sich aus dem Bett der Derborence hunderte von Metern aufwärtsrecken, rauben dem Talboden das wärmende Licht der Sonne. Steinschlag begleitet die an vielen Stellen notdürftig ausgebesserte Route, Felsbrocken vom Format eines Fußballs liegen auf der Fahrbahn, zwingen immer wieder zum Herunterschalten und Abbremsen.
Erinnerungen an den Canyon de Verdon in Südfrankreich werden wach bei der von Tunnels und Galerien begleiteten Strecke. In den stockfinsteren und kurvenreichen Tunnels ist erhöhte Vorsicht geboten. Die nassen schwarzen Felswände saugen die Lichtstrahlen der Scheinwerfer auf, so daß man glauben könnte, die bordeigene Beleuchtungseinheit bestünde aus einer müde gewordenen Taschenlampe. Einzig die Tunnelfenster, die zum Teil von sprühenden Wasserfällen mit einer flüssigen Gardine versehen sind, lassen dann und wann ein wenig Tageslicht in die Stollen.
Nach den Tunneldurchfahrten eröffnet das Tal seinen Besuchern eine weitere Besonderheit in Form einer drei Kilometer langen Geröllawine, die ihren Ursprung bei zwei immensen Bergrutschen am Ende des Tals Mitte des 18. Jahrhunderts hatte. Ganze Viehherden samt ihrer Hirten waren damals von den Lawinen überrascht und unter ihnen begraben worden. Die Katastrophe führte aber auch zur Entstehung und Bewahrung eines Kleinods der Walliser Landschaft, dem Lac du Derborence und dem sich an den See anschließenden einzigen Urwald der Schweiz.
Einige hundert Meter geschotterter Piste lassen die Herzen der Endurofahrer höher schlagen und die grobstolligen Reifen produzieren eine Staubfontäne, die jeder afrikanischen Piste zur Ehre gereichen würde. Seitenständer werden ausgeklappt, Helmschlösser öffnen sich, das Ende des befahrbaren Teils der Derborence ist erreicht. Einige kleine Hütten, die verstreut an den steilen Hängen liegen, beherbergen die wenigen Bewohner des Tals. Eine von ihnen ist die einzige Wirtin der Gegend, die hier am Ende der Walliser Welt eine kleine Schenke mit einfacher Herberge betreibt. Die hereinbrechende Dunkelheit treibt uns ihr und ihrem vorzüglich zubereiteten Raclette in die Arme. Dazu eine Karaffe Fendant, dem typischen Walliser Wein, und die wohltuende Basis für einen Abend voller Erzählungen über das jüngst Erlebte ist geschaffen. Erstaunlich wirkt auf uns, daß die Bewohner der Derborence bis heute nicht ans Stromnetz angeschlossen sind und die Lampen in der Gaststube mit Gas betrieben werden. Vielleicht ist es auch deshalb so gemütlich, daß wir den Weg in die Betten erst antreten, als die Wirtin selbst die Bettgehzeit einläutet.
Der Himmel des nächsten Tages erscheint in einem Blau, das man nur in den Bergen erleben kann, der Morgen überrascht dafür mit einer Kälte, die man wohl auch nur in den Bergen geboten bekommt. Die kalte, klare Luft läßt keine Geruchswahrnehmung zu, die Visiere bleiben trotz langsamer Fahrt geschlossen. Wir wechseln in Saxon die Talseite und halten auf ein Sträßlein zu, das auch bei Motorrädern keinen Gegenverkehr zuläßt, südwärts. Nach unzähligen Haarnadelkurven erreichen wir das kleine Plateau von Levron. Doch statt idyllischer Einsamkeit ist die Straße von einer bunten Autoschlange gesäumt, die Insassen auf einer Wiese versammelt.
Grund ihrer Zusammenkunft ist ein Eringerkampf, die schweizer Variante der spanischen Corrida. Während auf der iberischen Halbinsel Stiere gegen die Toreros in einen ungleichen Kampf ziehen, lassen die Walliser je zwei Eringerkühe gegeneinander antreten. Die muskelprotzenden Vettern der lila Kuh, deren Ausdünstung an alles andere als an Schokolade erinnert, ringen aber nur so lange miteinander bis eine der Kühe vor der anderen zurückweicht. Verletzungen bei den Tieren haben Seltenheitswert und die Abwesenheit blutüberströmter Kadaver läßt den Verdauungstrakt Zartbesaiteter in Ruhe weilen.
Hinter Levron weitet sich die Straße wieder auf Normalmaß und mündet wenig später auf die Straße die zum Großen St. Bernhard führt. Eng mit dem Namen des Passes, den Napoleon 1800 mit 40.000 Mann und 150 Geschützen überquerte, ist der Titel der Hunderasse verbunden, die seit jeher als Retter der Menschen in Bergnot gelten, die Bernhardiner.
Das Hospiz auf dem Großen St. Bernhard wurde von den Mönchen des Augustinerordens betrieben, die besonders in den harten Wintertagen jeden Morgen Patroulliengänge mit einem der respektheischenden Hunde zur Schutzhütte "L'Hospitalet" unternahmen. Der Rettungshund ging stets voraus durch den tiefen Schnee und ebnete dem mit Proviant beladenem Chorherren den Weg. Wurden unterwegs Notleidende angetroffen leistete man ihnen nach Kräften Hilfe oder ließ anderenfalls den Proviant für Bedürftige in der Hütte zurück. Einem ganz besonderen Exemplar dieser Rasse mit dem Namen Barry gelang zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Rettung von 40 Menschenleben. Heute hat der Retter mit der feuchten Schnauze allerdings ausgedient. Mit dem Bau des wintersicheren Tunnels ins Aostatal und der Einrichtung von Nottelefonen entlang der gesamten Strecke wurde der Einsatz der Rumfäßchen tragenden Hunde entbehrlich.
Das einfachste wäre es jetzt der Straße talwärts zu folgen, doch nur wenige Kilometer trennen uns von einer kleinen Kehrenorgie, die wir uns nicht entgehen lassen wollen, und die zudem nicht vom Schwerlastverkehr benutzt wird. Die Strecke zwischen Som-la-Proz und Les Valettes wäre auch vollkommen ungeeignet für größere Fahrzeuge, da die Kurven von jenem Radius sind die jedem Lkw-Fahrer den Schweiß auf den Rücken treibt, dem Motorradler jedoch ein verzücktes Lächeln entlockt.
Wenig später, in Martigny, ist die Kälte des Morgens vergessen, wir halten wir es vor Hitze kaum aus. Die Sonne sengt gnadenlos auf die Stadt zu Füßen des Großen St. Bernhard und des Col de la Forclaz. Aus dieser Lage am Knotenpunkt wichtiger Verkehrsadern bezog Martigny schon zu Zeiten der Römer seine Bedeutung. Heute ist nur noch wenig davon erhalten und wir beschließen, dem Col de la Forclaz unsere Aufwartung zu machen.
Die Auffahrt gestaltet sich fahrerisch wenig anspruchsvoll, die gebotenen Ausblicke auf das Rhônetal sind dagegen allerdings einmalig. Aus der Vogelperspektive hoch über Martigny sind die Häuser der Stadt am Rhôneknie zu kleinen Schachteln geschrumpft, das Wallis auf das Format einer Spielzeuglandschaft verkleinert. Man glaubt, in der Ferne den Rhônegletscher erkennen zu können, der einst mit der Kraft seines Eises das gewaltige Tal schuf.
Mit dem Erreichen der Paßhöhe beginnt keineswegs das französische Hoheitsgebiet. Vielmehr schaukelt sich die Straße hinab ins wilde Tal des Trient, eines Flußlaufs der noch zum Wallis gehört und sich letztlich kurz hinter Martigny in die Rhône ergießt. Wir folgen dem Trient abseits der Hauptstraße nach Finhaut, wo sich das Asphaltband vom Wasserlauf verabschiedet. Zu eng ist die Trientschlucht, als daß Fahrzeuge sie befahren könnten. Einzig eine Eisenbahnlinie zwängt sich durch den schmalen Durchlaß und verbindet die beiden abgetrennten Talhälften. Doch Finhaut ist noch nicht das Ende der malerischen Sackgasse. Erst eine Barriere vor dem Lac d'Emosson macht die Weiterfahrt unmöglich. Mit Blick auf das gleißende Weiß des Glacier du Trient neigt sich der Tag dem Ende zu und die Sonne eröffnet in den Schneefeldern ihr einzigartiges Farbspiel.
Der Trient hat es uns angetan. Wir nähern uns seinem Lauf erneut, diesmal von der Rhône aus. Aus dem gurgelnden Flüßchen des gestrigen Tages ist bei Salvan ein reißender Fluß geworden, der sich mit brachialer Gewalt seinen Weg durch den Fels bahnt, um sich mit einer silbernen Gischtfontäne ins Tal zu stürzen.
Letzte Station bevor wir das Wallis verlassen ist die alte Abteistadt St. Maurice. Merowinger und Karolinger residierten hier bis ins 9. Jahrhundert, die im 6. Jahrhundert gegründete Abtei besteht noch heute. Als älteste christliche Stätte der Schweiz birgt sie einen außergewöhnlichen Schatz mittelalterlicher Goldschmiedearbeiten. Oberhalb des Schlosses locken die Grottes aux Fées die Höhlenfreaks unter den Tourenfahrern mit einem unterirdischem See und einem 50 Meter hohen Wasserfall.
So rauh das Wallis, das Tal der Täler, begonnen hat, so lieblich klingt es in der Mündung der Rhône in den Genfer See aus. Der unruhige, in unserer Zeit wieder wilder werdende Fluß, findet seine Ruhe im "Meer der Schweiz". Doch seine Rast ist nur von kurzer Dauer. Wenn er den See verläßt macht er sich auf die Suche nach den vergangenen Jahrtausenden, die mit dem einst riesigen Gletscher dahingegangen sind.
Kommentare
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@Searcher
Die Anreise ging für uns am einfachsten über den Genfer See und dann nach Martigny. Von dort aus auf den Col de la Forclaz und ins Val d\'Emosson. Auf dem Rückweg haben wir einen kleinen Abstecher auf den Gr. St Bernard gemacht. Der Rest ist eigentlich ziemlich easy: Du fährst das Rhonetal aufwärts und die Täler liegen rechts und links wie bei einer Fischgräte ;-) Echte Nieten gibt\'s darunter kaum. Fahrerisch ist die Strecke nach Täsch und Zermatt natürlich nix. Für den Blick auf\'s Matterhorn kann man trotzdem reinfahren. Die nettere Alternative ist auf der gegenüberliegenden Talseite Crans Montana. Von dort kannst Du den Zipfel auch sehen. Kleingeld nicht vergessen ;-)
@Heike
Das Finden ist das einfachste. Aus den hübschen Tälern freiwillig wieder \'rausfahren das andere
Schönes Wochenende und Dank Euch für die 10 :-)
Dirk
Hi Dirk
Bisher bin ich nicht viel rum gekommen im Wallis, sehr schön hast du das beschrieben. Schauen wir mal, ob wir ein paar Strecken davon finden :-)
10 Punkte
Heike
Zwischen dem Furkapaß und dem Genfer See hat die Rhône ein Tal geschaffen, daß seine Kostbarkeiten in fast zwei Dutzend Seitentälern verbirgt. Im Schatten der Viertausender versuchten wir, einige von ihnen zu entdecken. mehr...
Hallo Dirk,
irgendwie fehlen mir momentan die worte.
habe gerade deinen (euren) tourenbericht
vom wallis gelesen.
ich finde ihn mehr als gelungen. einen schönen
schreibstil habt ihr. sehr gut habt ihr geschichte
und gegenwart mit einander verknüpft und eine sehr
lebendige motorradtour beschrieben. die fotos
sind ja schon fast atemberaubend, denke ich gerade
an das bild vom "Crans Montana dem Sonnenbalkon des Wallis".
auch das häuserfoto von Grimentz ist sehr schön.
ach was, die fotos sind einfach alle spitzenklasse.
ihr habt mir richtig appetit auf mehr gemacht.
deshalb hier einmal eine kleine frage.
hast du für mich eine streckenführung, die ihr mir
zu verfügung stellen könntet ?
sehr gerne würde ich eure tour einmal nachfahren,
besonders mit blick auf Derborence.
wenn es euch möglich ist, so schreibe mir doch einfach einmal - entweder per messenger oder mail.
würde mich echt darüber freuen.
weiterhin viele schöne touren.
bin schon echt gespannt auf deinen (eure) nächsten
berichte.
linke hand zum gruss
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