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SwissLife 06.08.2004

Parlez vous français? in Südtirol

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Wegpunkte
Elsass
Straßenart
Tour-Motorrad
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Parlez vous français? in Südtirol

Oder anders: Hauptsache Kurven und Berge!
Südtiroler Erfahrungen eines Deutschen am Schweizer Nationalfeiertag im Elsass.
Freitag Morgen. Es ist kurz vor sechs und ich bin quietschfidel. Vor lauter Vorfreude. Mit viel Fingerspitzengefühl war mein Chef davon zu überzeugen, mir trotz Stellvertretung für die abwesende Kollegin den Freitag frei zu geben. Abgesehen davon drohen ab sieben Uhr die Handwerker mit der Fortsetzung ihrer Arbeit beim Einbau neuer Fenster. Noch ein Grund mehr aus heimischen Gefilden zu flüchten.
Endlich kann die erste Tour mit meinen Schweizer Kollegen in diesem Jahr beginnen. Ist halt doch 'was anderes als alleine durch noch so schöne Landschaften zu schieben. Südtirol ist angesagt. Wie letztes Jahr am 1. August, dem Nationalfeiertag der Eidgenossenschaft. Es geht zur Hanni, der Wirtin einer Alpenpension im Grenzgebiet zwischen Österreich und Italien. Ein Kurvenparadies vor traumhaft schöner Heimatfilmkulisse. Die letztjährige Tour ist mir noch lebhaft in Erinnerung. Leider auch die zwei Unfälle innerhalb einer halben Stunde gleich am ersten Tag.
Der Himmel zeigt ein blässliches Blau ohne jeden Ansatz von Wolken. Passend dazu wartet in der Garage der Bluebird vollgetankt auf mich. Die Wetterfrösche haben sich zum erstenmal in diesem Jahr festgelegt, dass es drei Tage am Stück schön bleiben wird. Quintessenz: Die Regenkombi bleibt erstmalig seit vier Jahren daheim.
Ich will endlich los. Mit kleinem Sturmgepäck. Dieses Mal werden keine Gefangenen gemacht. Unsere Mini-Gruppe will's richtig fliegen lassen. Der kleine Bagster muss reichen. Ich will mit eigenen Augen sehen, wie viel Speed die XX in den Serpentinen verträgt. Obwohl ich mittlerweile den Leerlauf auch blind ertaste – wie ein Panzerknacker das leise Klicken beim fast unmerklichen Einrasten der Drehscheibe bei der richtigen Zahl.
Schnell bin ich rasiert, ist die notwendige Halbtagesration Kalorien verinnerlicht und das Nötigste für drei Tage im Tankrucksack verstaut. Auf zum Treffpunkt.
Ah, Richard, mein letztjähriger Zimmergenosse, mit seiner BMW K 1200 RS ist auch schon da. Gut, dann werde ich schon mal nicht der langsamste sein. Der Herr Produkt-Manager fährt gut und zügig, schöpft aber nach meiner Erinnerung das Potential seines Bikes bei weitem nicht aus. So war's zumindest beim letzten Mal.
Er erzählt mir gleich, dass er auf meine Empfehlung hin den Michelin 'Pilot Road' aufgezogen habe und sehr zufrieden sei. Das bayrische Schlachtschiff liesse sich nun bedeutend leichter um die Kurven werfen. Ich hab's ja gewusst.
Als nächstes kommt Edwin im Sattel einer 900er Hornet. Für seine 47 Jahresringe macht er einen ungemein sportlich-austrainierten Eindruck. Der Herr betreibt ganz sicher nicht nur Motorsport. Wenn er analog zu seinem Fitness-Level fährt, na dann aber 'Hallo'.
Dann kommt Beat, stets nur Tiger genannt, unser etatmässiger Pfadfinder. Keiner fährt kartenlesend so flüssig wie er. Seine Geschwindigkeit beim Kartenstudium verändert sich ähnlich wie bei Michael Schumacher in einer Gelbphase: Kaum merklich und für die meisten immer noch zu schnell.
Ausserdem kennt der die kleinsten Nebenstrecken und schönsten Verpflegungsstationen. Kein Zweifel: Er ist unser unbestrittener Häuptling. Zumal er aufgerüstet hat: Aprilia Tuono, ein Spassgerät mit unbeschränkter Schräglagenfreiheit. Er liebt den Zweizylinder-Punch von unten und weiss ihn auch bestens zu nutzten. Sein 'Conti Road Attack' spricht Bände.
Fehlen noch Annabel und Albert. Unser Pärchen. Sie Stewardess, er eidgenössischer Treuhänder. Auch Annabel hat die Klinge geschärft: Kawasaki Z 750 mit Tausender-Lenkerverkleidung statt Enduro. Und obendrauf eine neue, schnieke Dainese Textil-Leder-Kombi in dezentem schwarz-grau. Frau will ja schliesslich auch auf der Giftgrünen, die ausnahmsweise blau ist, eine gute Figur machen. Irgendwie kann der Modeaspekt doch nicht ganz ausgespart bleiben. Zumal wenn sich - wie bei Annabel - Form & Funktion so harmonisch verbinden…
Und Albert, der Einsneunzig-Riese, ist wie bei der letzten Hanni-Tour auf Suzuki GSX 1000 unterwegs. Durch seine langen, stets gebeugten Arme wirkt er am Suzi-Arbeitsplatz immer sehr entspannt und fast ein wenig gelangweilt. In Tat und Wahrheit weiss er aber jedes seiner 170 versammelten Cavalli in schnellen Kurvenkombination einzusetzen und ist ein ebenso kompromissloser Dosenüberholer wie unser Road Captain, der Tiger.
Erste Analyse: Die Herausforderung für mich und den Bluebird besteht im Dranbleiben am Tiger, Edwin und Albert. Annabel und Richard werden vermutlich die Nachhut bilden. Südtirol kann kommen. Dort werde ich dann sehen, was mein Solotraining hinunter zum Gardasee vor drei Wochen wert war.
Es geht auf die Autobahn. Richtung Basel. Mmmh, ok – ich bin kein wandelndes GPS, aber irgendwie hätte ich eine andere Route gewählt. Erste Simulationen am frühen Morgen: Zug - Basel - Freiburg - Karlsruhe - Stuttgart - München - Südtirol? Nee, beim besten Willen nicht. So schnell kann man auf der Bahn gar nicht fliegen, dass sich so eine Schlaufe rechnen würde. Also ergeben abwarten.
Ungefähr 40 Kilometer vor Basel verlassen wir die Autobahn und fahren Richtung Grenzgebiet Schweiz-Frankreich. Jetzt bin ich mir sicher: Ich hab' wohl irgendetwas von wegen Südtirol total falsch verstanden. Mein einziger Trost sind allein die mitgeführten Euros - die gehen bei den Welschen ebenso wie bei den Össis. Kurz nachdem wir nach wechselhaftem Grenzverlauf zwischen Schweiz und Frankreich endgültig das Elsass erreicht haben, stoppen wir zum 'Z'nüni'. So heisst die Frühstückspause gegen neun Uhr bei den Helveten.
Beim Kaffee erkundige ich mich so beiläufig wie möglich nach dem eigentlichen Ziel unserer Tour. Und ob ich die Südtirolkarten die nächsten Tage eigentlich bräuchte. Breites Grinsen in der Runde - hat den Düütsch'n mal wieder keiner informiert? Ja nee, kommt die schmunzelnde Antwort, ursprünglich sei Südtirol schon geplant gewesen, aber man habe angesichts des Ferienbeginns und des damit verbundenen Verkehrs kurzfristig umdisponiert und lieber auf das weniger frequentierte Elsass gesetzt. Schliesslich kann ständiges Fahren im Gegenverkehr auf Dauer doch etwas lästig werden. Auch wieder wahr.
Einerlei – Hauptsache wir kommen zum Fliegen, Pardon zum Fahren. Und das wollen alle hier. Wir schätzen uns glücklich, keine suchtgeplagten Raucher unter uns zu wissen, die auf jeder Passhöhe zwanghaft nach einer Fluppe fingern. Das einzige was bei uns qualmen soll, sind die Gummis unserer Maschinen.
Nach dem der Kreislauf – dem schwarzen Lebenselixier sei Dank – zur Normaldrehzahl hochgefahren ist, kann's unter der ortskundigen Führung des Tigers losgehen. Er scheint fast alle Winkel des Elsass aus dem Effeff zu kennen. Schnell bildet sich an der Spitze ein Trio. Der Tiger, Edwin und ich. Danach mit etwas Abstand Richard auf seiner blau-weissen Wuchtbrumme, gefolgt von der tapfer kämpfenden Annabel und Albert als Besenmann.
Wir erklimmen sanft, doch stetig, die Vogesen mit Höhen zwischen 500 und 1.500 Metern. Die Temperaturen liegen hier bei konzentrationsfördernden 18 bis 25 Grad. Genau richtig, wenn man den ganzen Tag unterwegs sein möchte. Die Strassen sind durchwegs gut, der Belag rau und griffig. Selbst auf den kleinen, oft nur anderthalb-spurigen Nebenstrecken, muss man sich zum Thema Haftung kaum Gedanken machen. Nur auf einigen Abschnitten ist der neue Rollsplitt noch etwas lose. Dort formiert er sich an den klebenden Gummis zu einem Geschosshagel für den Hintermann. Selbst in 20 Metern Abstand prasselt es bisweilen am Visier wie in einer Waschanlage.
Dann eine kurvige Waldpassage mit dem Grand Ballon als Hintergrundpanorama. Nur gelegentlich unterbrochen von Wiesen und Weiden mit einheimischen Rindviechern. Unser vorausfahrendes Trio erreicht einen kleinen Weiler mit einladendem Restaurant samt Biergarten. Wir warten. Wie an jeder Gabelung, wo Zweifel über die weitere Wegsstrecke angebracht sind oder lokale Gastlichkeit lockt. Als nächstes müsste eigentlich das sonore Brummen der K 1200 RS zu hören sein. Fehlanzeige.
Stattdessen rollt die Dainese bewehrte Annabel auf der blauen Kawa zu uns. Ihre Gestik lässt nur einen Schluss zu: Sofort wenden. Au Backe - nicht schon wieder! Dunkle Erinnerungen an letztes Jahr werden wach. Fünfhundert Meter zurück finden wir Richard. Leider ohne seine BMW. Die liegt eingeklemmt unter einer Leitplanke in einer leichten Rechtskurve mit dahinter liegender Weide.
Kurze Aufregung. Was ist passiert, wieso hier, alle Knochen heil geblieben, wie geht's der Maschine? Richard, der Kurven generell sehr weit aussen angeht, ist auf den Randstreifen mit Schotter gekommen, hat dabei die Fuhre aufgerichtet und war gleich darauf mit der Leitplanke aneinander geraten. Wie durch ein Wunder gelingt es ihm, zwischen zwei Pfosten durchzurutschen ohne anzuschlagen. Weiss der Himmel wie er das geschafft hat?
Die Weiss-Blaue bleibt mit dem Lenker zwischendrin hängen. Nur mit viel Mühe und vier Mann lässt sie sich zurück auf die Strasse wuchten. Etwas Benzin ist ausgelaufen. Kratzer auf der rechten Seite. Logisch. Beide Blinker baumeln nur noch an den Drähten. Sie lassen sich ohne Probleme wieder in ihre Halterungen klippsen. Auf den ersten Blick ist der Schaden gar nicht so gross. Bis auf die rechte Fussraste. Die ist weg. Aber die BMW läuft – wenn auch das ABS Fehlfunktion signalisiert.
Egal. Alle sind froh, dass Richard offensichtlich wohlauf ist. Nicht einmal sein neuer BMW-Carbonhelm mit gerademal 900 Gramm hat einen Kratzer abbekommen. Durchatmen. Erst mal bis zum Garten-Restaurant, wo wir zuvor gewartet hatten. Bestandsaufnahme. Wie fährt und bremst die angeschlagene Bajuwarin? Können wir die Soziusfussraste nach vorne umbauen?
Fahren und Bremsen geht offensichtlich. Aber die hintere Fussraste passt definitiv vorne nicht. Ich schlage vor, dass Richard nach Mühlhouse fährt und versucht, die Raste in einer Werkstatt ersetzen zu lassen. Danach kann er zu unserem Quartier für die erste Nacht nachkommen. Alle, einschliesslich Richard, sind einverstanden. So machen wir's!
Indes glaubt wohl keiner, dass er wirklich nachkommt. Man sieht Richard an: Ihm ist der Schreck heftig in die Glieder gefahren und das Vertrauen ins Bike ist vor einer gründlichen Untersuchung durch den 'Freundlichen' auch nicht mehr gegeben. Zumal wir uns auf dieser Tour der flotten Gangart verschrieben haben. Da darf kein Zweifel an der Technik das Urvertrauen vor der nächsten Kurve stören.
Die restlichen zwei Stunden bevor wir Quartier in Hohrodberg im Hotel Panorama nehmen, lassen wir's ruhiger und auch ein bisschen nachdenklicher angehen. Die berühmten 'Was-wäre-wenn-Fragen?' beschäftigen wohl jeden von uns. Jedem von uns ist klar: Eine Sekunde Unaufmerksamkeit oder ein abgelenkter Schutzengel können bisweilen entscheidend sein über kurzweilige Kurvenhatz oder langwierige Rekonvaleszenz und teuren Bike-Schrott.
Der nächste Morgen. Wieder bin ich früh wach. Jedenfalls zu früh für Edwin, meinen Hornet-Zimmergenossen. Ich beschliesse, den Tag in aller Ruhe mit einem Blick über die Vogesen bei Vogelgezwitscher und taufeuchten Wiesen abseits des Hotels mit einem kleinen Spaziergang zu beginnen. Bis zum Frühstück um acht Uhr bleibt noch eine Stunde. Und um neun geht's endlich auf zum fröhlichen Angasen Teil II.
Richard ist wie erwartet nicht nachgekommen und zurück in die Schweiz gefahren. An seiner Stelle hätte ich wohl genauso gehandelt. Die Gruppe ist einfach zu flott unterwegs für irgendwelche Spielchen. Und Bremsklotz will auch keiner für die anderen sein.
Heute wollen wir u.a. den Grand Ballon samt umliegenden Schluchten und Tälern sowie die 'Col de la Schlucht' bei Munster unter die Räder nehmen. Angesichts der superben Strecken und des geringen Verkehrs frage ich mich langsam ernsthaft, wie ich das Elsass und speziell die Vogesen solange als Bikerrevier ignorieren konnte. Schliesslich wohnte ich zehn Jahre lang im Schwarzwald genau Vis à Vis. Tzzz!!
Schwamm drüber! Nach typisch französischem Frühstück geht's im Sog der Tuono los. Gleich zu Beginn lässt der Tiger es kräftig fliegen. Und dabei sieht sein Kurvenwuseln am SB-Lenker so spielerisch leicht aus. Man sieht praktisch keine Lenkbewegungen. Nur die Drehung des Helms folgt gut sichtbar und weit voraus blickend dem Strassenverlauf. Um stressfrei dran zu bleiben, halte ich die XX meistens zwischen 4.000 und 7.000 Touren. Schalten, und das schätze ich besonders an der Dicken, kann meist auf ein Minimum reduziert werden, während hubraumschwächere Bikes fleissig durchgeschaltet werden wollen.
Jetzt sind wir so richtig in unserem Element: Kurven jeglicher Art. Weite und enge, sich öffnend oder Würgeschlangen gleich sich zuziehend. Steil aufschiessende Serpentinen, die die Angstnippel im Zeitraffertempo herunter fräsen. Oder sanft abfallende 180-Grad Ecken, die Last-minute-Hineinbremsen und extremes Umlegen bis zum Abwinken möglich machen.
Wem's jetzt nicht die Freudentränen in die Augenwinkel treibt, dem ist in diesem Leben wohl nicht mehr zu helfen. Und wenn jetzt nach der nächsten Ecke eine Steilwandkurve oder ein Looping in die Landschaft eingebaut wäre, mich würd's nicht wundern. Ganz ehrlich.
Dazu gesellt sich die ganz persönliche Erkenntnis, dass sich mein Spontantrip zum Gardasee fahrdynamisch gelohnt hat. Ich bin auf die XX wieder richtig eingeschossen. Zusammen sind wir wieder das letztjährige Dreamteam. Der erhoffte Automatismus zwischen Beschleunigen, Schalten, Bremsen und Umlegen hat sich glücklicherweise - auch diese Saison - wieder eingestellt. Statt jedes einzelne Manöver vorab akribisch unter dem rauchenden Braincab kritisch zu beleuchten, stellt sich eine geradezu spielerische Leichtigkeit des Seins ein. Motorradfahren gleichsam als Kunstform der evolutionär gesteigerten Fortbewegung des Homo sapiens sapiens. Das isses!!
Einzig unser Suzuki-Ritter Albert, dessen treuhändische Rechte Dank trauter Verbundenheit zu Annabel zu ungewohnter Mässigung verdammt ist, leidet. Man sieht förmlich wie seine Beschützerinstinkte für Annabel wie Eis in der Frühlingssonne dahin zu schmelzen drohen, wenn sich die Meute vehement im Kurvengeschlängel auf und davon macht.
Am 'Col de la Schlucht' ist es dann soweit. Annabel hin oder her. Mit ihren zarten 30 Lenzen muss sie selbst sehen, wie sie ohne Alberts Begleitschutz auf die Passhöhe kommt. Die GSX schiesst wie ein vom Zügel gelassenes Vollblut zu unserer Vorausabteilung und wir donnern mit bis zu 150 km/h die frisch geteerte Piste zu Anhöhe hinauf. Dafür erweist sich Edwin als Gentleman alter Schule und lässt sich aus unserem Quartett zu Alberts Herzensdame zurückfallen.
Als erstes kommt uns ein zügig fahrender GS 1150 Pilot vor die Flinte. Er hat kaum Zeit sich zu wehren und die eigenen Boxer-Reihen zu ordnen, da sind wir auch schon an ihm vorbei. Im Rückspiegel sehe ich grade noch, wie er ein zweites Mal innerhalb von 20 Sekunden zum Opfer wird. Annabel und Edwin lassen ihm genauso wenig eine Chance wie wir zuvor.
Weiter oberhalb werden die Radien auf diesem ca. 13 Kilometer langen Gourmetstück elsässischer Strassenbaukunst immer weiter. Das Tempo steigt. Hier muss jedes einzelne PS von seiner An- oder Abwesenheit Kenntnis geben. Mein Drehzahlmesser jubiliert in ungewohnten Regionen. Der Zeiger fällt kaum noch unter 7.500er Marke.
Edwin wird später auf der Passhöhe berichten, dass in fast allen Kurven drei fette schwarze Streifen innerhalb eines halben Meters von unserem gesetzwidrigem Tun Zeugnis gaben. Mmmh, ein schlechtes Gewissen will sich bei uns dennoch nicht so recht einstellen… Dazu waren einfach zu viele Glückshormone im Blutkreislauf! Und selbst die kleinen Würstchen auf unseren Gummipellen scheinen ganz zufrieden in die Landschaft zu blinzeln.
Oben angekommen bietet sich auf dem grossen Parkplatz ein Anblick munteren Treibens. Ständiges Kommen und Gehen von Bikern aus aller Herren Länder. Wir beschliessen einen kurzen Timeout, um die zurückliegenden Traumstrecken vor unserem geistigen Auge Revue passieren zu lassen.
Und kaum sitzen wir beim ersten Café au lait zusammen, beginnt das obligatorische Spielchen unseres Turtelpärchens.
Albert: 'Schatzi, super gefahren. War doch gar nicht so schwer, die GS abzuhängen, oder?'
Sie schweigt – weil mit sicherem Gespür ahnend, was unweigerlich folgt. Albert – sich sicher wähnend, dass die kurze Pause nach der Belobigung hinreichend Eindruck hinterlasse habe, um heimlich, still und leise die eigentliche Message nachschieben zu können – setzt zum verbalen Knock-out an: 'Aaaber, … eigentlich, Schatzi, müsste es doch gar nicht so schwer sein, an uns dran zu bleiben, wenn…'
Annabel's weibliche Intuition und ihre professionelle Erfahrung im Umgang mit schwierigen Swiss-Kunden verhindern zum wiederholten Male eine anti-maskuline Gefühlseruption gen Albert.
Lächelnd und mit unaufgesetzter Gelassenheit nimmt sie der Situation die Spannung mit dem dezenten Hinweis, dass sie den Eindruck habe, schon viel schneller als am ersten Tag unterwegs zu sein. Zustimmendes Nicken allenthalben.
Und nach einer rhetorisch geschickt getimten Verzögerung kommt die Nachfrage, ob uns denn eigentlich im Verlauf der Tour überhaupt jemand überholt habe. Äh, – nee, nicht wirklich. Alle haben's mitbekommen. Und ganz besonders Albert. Er ist ihr ja schliesslich die längste Zeit unmittelbar hinter ihr gefahren. Dem ist eigentlich nichts hinzu zu fügen. Doch so schnell gibt sich der blauäugige Treuhänder nicht geschlagen.
'Versuche doch einfach mal, vor der nächsten Kurve zwei Gänge runter zu schalten', flötet er, sichtlich um einen unaufdringlichen Tonfall bemüht. Sie relaxt zurück: 'Aber ich fahre doch schon so schnell ich kann.'
Wir anderen in der Runde feixen ob des sich ständig in immer neuen Variationen wiederholenden Rituals. Ich bin mir sicher: Albert hat noch nie unterrichtet; insbesondere keine Ehepaare oder Pärchen. Denn sonst wüsste er, dass jeder, aber auch wirklich jeder x-Beliebige ausser ihm besser zur Erteilung von Ratschlägen an Annabel geeignet wäre. Ich schweige und goutiere die Loriot-reife Vorstellung der beiden… Muss Liebe unter Bikern schön sein…
Der Rest des Tages vergeht wie im Fluge. Wir halten meist nur kurz zum Tanken oder an Abzweigungen, um auf die wechselweise mit Annabel/Albert oder Annabel/Edwin besetzte Nachhut zu warten. Was aber nie wirklich länger als zwei, drei Minuten dauert.
Am Samstag Abend laufen wir auf dem Berg Dabo ein. Direkt unterhalb einer kleinen Kapelle liegt ein äusserlich unscheinbares Hotel mit grandiosem Rundumblick. Innen dagegen ist es frisch renoviert mit geschmackvollem Interieur. Wir sind begeistert und zischen – noch in Leder gewandet – das erste Bierchen auf der Aussenterrasse. Selbst die Bikes scheinen zufrieden zu grienen, denn sie dürfen auf einer überdachten Veranda übernachten.
Am Tag des Herrn steht der Abschied aus den Vogesen und ein Abstecher in meine alte Heimat, den Hochschwarzwald, an. Krönender Abschluss unserer Tour soll kurz vor der Schweizer Grenze das 'Hinkelstein-Valley' entlang der Alp sein. Also quasi 'back to the roots' für mich und die XX, wo wir uns einst zur Gemeinschaft von Mensch und Maschine step-by-step zusammen rauften.
Wir kreuzen Vater Rhein bei Kehl und ziehen weiter Richtung Oppenau. Es herrscht schlagartig deutlich mehr Verkehr als im Elsass. Vermutlich wäre es in Südtirol nicht anders gewesen. Unser Leithammel, der Tiger, hat vermutlich wieder mal ein gutes Nässchen gehabt und beweist auch im Schwarzwald, dass selbst hier keine noch so kleine Nebenstrecke seinen scharfen Adleraugen verborgen geblieben ist.
Dann steht endlich 'Hinkelstein-Valley' an. That means: Ca. 12 Kilometer griffiger Asphalt, zur Linken schroffer Fels und als rechte Fahrbahnbegrenzung grob behauene Steinquader als Leitplankenersatz. Daher der Spitzname. Ganz böse Zungen behaupten, es gäbe gewisse Äffinitäten zu Grabsteinen…
Bleibt festzuhalten: Es ist in jeder Beziehung suboptimal, sich hier während der Fahrt vom Moped zu trennen. Sollte es wider Erwarten gelingen, den Felsen irgendwie zu entkommen, bleibt als "Alternative" noch der Abflug ins tiefer gelegene Bachbett. Oder aber der Drift auf der max. anderthalbspurigen Strecke in den Gegenverkehr. Hier habe ich schon manche Rossi-Replica unfreiwillig absteigen sehen.
Dafür entschädigt die Strecke mit zumeist guter Einsehbarkeit und landschaftlichem Zauber. Beim letzten Halt hatte ich unsern Leitwolf schon mal vorsorglich damit vertraut gemacht, dass ich auf der einen oder anderen Strecke an ihm vorbei die Führung übernehme würde. Schliesslich kennt man sich in seinem Wohnzimmer i.d.R. besser aus als die Gäste. Selbst wenn es häufige Gäste sind. Der Tiger signalisierte: Kein Problem. Schliesslich fahren wir miteinander und nicht gegeneinander. Theoretisch…
In den Vogesen hatte ich schon gemerkt, dass es mir auf der XX keine Mühe bereitete, den jeweils angeschlagenen Tempi zu folgen. Im Gegenteil. Auf der Bremse hatte ich deutlich Reserven und beim Hochdrehen keine Mühe, den Anschluss zu halten. Mein Motto: Solange ich noch einen 'Brikett' drauflegen kann, droht mir nicht das Damoklesschwert des Verlassen der persönlichen Genusszone. Und Zaubern während der Fahrt, war ohnehin noch nie meine Spezialdisziplin…
Albert war das offensichtlich nicht entgangen. Ich konnte die offene Frage in seinem Gesicht ohne Weiteres ablesen: Wieso kann solch ein Brocken wie die XX einer Tuono und selbst einer GSX mit 40, 50 Kilo weniger auf den Rippen problemlos folgen? So kam's, dass wir bei einem Pausen-Plausch spontan einen Maschinentausch vereinbarten.
Er die XX, ich die GSX. Für beide zum erstenmal.
Heimatland. Der Unterschied von einem satten Zentner kann subjektiv gewaltig sein. Der Motor der tausender Suzi packte in allen Lebens- sprich Drehzahllagen umgehend zu. Dafür schob er beim Zumachen viel stärker nach als das XX-Aggregat. Ungewohnt und zugleich sehr beeindruckend – ganz ehrlich. Aber entspannt Tieffliegen geht für meinen Geschmack irgendwie anders. Suum quique – Jedem das Seine.
Als Kehrseite entpuppte sich für mich die viel weiter nach vorn orientierte Sitzposition und die äusserst giftig zupackende Vorderradbremse. Meine XX mit SB-Lenker fährt sich da weitaus gelassener und fehlertoleranter. Mit jeder Kurve wurde mir klarer, warum Albert in engen Kurven schon mal abreissen lassen musste. Beim scharfen Anbremsen bot der Tank eindeutig zu wenig Halt, wenn sich das Gewicht mit Wucht nach vorne verlagerte. Man konnte fast nicht anders als sich stärker an den Lenkerenden festzuklammern.
Und das hatte Folgen. Leichtes Einlenken auf der Bremse wurde immer schwieriger und die Linie zu treffen, ein Glückspiel. Nee, nichts für Mutter's Sohn. Rasch zurück gewechselt auf den Bluebird und die Suzi abgehakt. Alberts Kommentar zum Wechselspiel: Die fährt sich aber easy! Ich könnte mir gemeinere Komentare zur XX vorstellen…
Doch zurück zum 'Hinkelstein-Valley'. Jetzt wollte ich's wissen. Sind Tigers Tuono, Alberts GSX und Edwins Hornisse im Rückspiegel mittels XX zu schrumpfen oder nicht? Also los: Vorne tief rein gesetzt, Fussspitzen weit nach hinten geklappt, zweiter Gang eingelegt und den Hahn bis zum Anschlag gespannt.
Huiiih, sieh mal an, so schnell kann sich eine Strecke verengen. Aber keine sechs Kurven weiter herrschte im Rückspiegel wieder technikbefreite Natur vor. Smile. Mein 'vogeslicher Eindruck' von den bestehenden Reserven hatte also nicht getrogen.
Dann beim nächsten Stopp. Albert zum Tiger: 'Wolltest Du nicht oder konntest Du nicht?' Tiger an Albert (leicht genuschelt): '…persönliches Limit… ging irgendwie nicht schneller… Strecke lange nicht mehr gefahren… und überhaupt.' Ah, ja!
Nächster Punkt: Kontrollblick zum hinteren Pilot Road meiner Blauen. 'Wie, nicht mal sichtbarer Abrieb?' Kopfschütteln und Fazit: 'Wozu auf der GSX einen Sportreifen wie den Bridgestone BT011/012 fahren, wenn's ein Tourenreifen wie der Michelin auch tut?'
Vorsichtige Frage: 'Wie viel Kilometer hat Dein Pilot Road bereits drauf?' Antwort: 'Och, ungefähr erst 6.000 Kilometer.' Albert: 'Merci und Danke für's Gespräch.' Das war's. Keine weiteren Fragen von seiner GSX-Durchlaucht Albert dem Riesen.
Jetzt haben meine Schweizer Freunde noch einen letzten Pfeil im eidgenössischen Köcher. Wolf, die leibhaftige Rennsau. Mehrfacher Sieger in unterschiedlichen nationalen Amateurrennklassen. Zuletzt 2003 auf dem Flugplatz in Buochs. Privat unterwegs auf – na, was wohl? – GSX 1000 und für dieses Mal daheim geblieben.
Wird er es schaffen, mir das Gefühl zu vermitteln auf einem ausgewachsenen Sporttourer und nicht auf einem Supersport-Killer zu sitzen? Ok, ein wenig Phantasieren ist hin und wieder wohl gestattet. Und überhaupt. Jeder Mann braucht schliesslich eine Herausforderung. Auch ich. Und die nächste Tour nach Südtirol kommt bestimmt. Und wenn's auch nur bis zum Elsass langt! Die XX und ich sind dabei. Keine Frage.
Schlussgedanken: Manches mal in diesen Tagen im Elsass habe ich mich gefragt, wie es wohl gewesen wäre, wenn unsere Gruppe nur aus Black-, Blue-, Red- und Silver-Birds bestanden hätte. Ob wohl alle ebenso viel Freude am Fahren empfunden hätten wie ich? Who knows, vielleicht kommt ja einmal der Tag, wo wirklich alles, aber auch alles zusammen passt!
Gute Fahrt,
Swisslife

Kommentare


ABSENDEN

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heike1303
Hi, du lebst ja noch :-)
Ach ja, die Vogesen, dieses Jahr hab ich es tatsächlich noch nicht geschafft dort zu fahren.
Netter Bericht und tolle Motorradgegend, sollten wir aber nicht zu vielen verraten :)
Gruss Heike
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SwissLife
Hallo Jojo1960,
Merci für\'s freundliche Feedback, aber für Fotos war aus verständlichen Gründen einfach keine Zeit. Und wenn schon, dann sollten es doch welche während der Fahrt sein, gelle?
Mit Erinnerungsfotos vom x-ten Kaffee-Kränzchen kann ich nun mal nicht viel anfangen ;-)
Doch: Worauf ist Dein Angebot zur Hilfe bezogen? Auf die Erstellung von Fotos? Kommst Du nächstes Mal mit auf Tour als visueller Dokumentar? ;-))
Grüsse,
Swisslife
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Missing_mini
Gelöschter Benutzer
WoW!
Ist das erquickend mel wieder einen Artikel nach meinem Geschmack zu lesen. *g*
Es kann nur eine 10 geben. *gg*
Ich schließ mich Henry mal an. Ein paar Fotos dazu, wär der Hit gewesen.
Falls Du Hilfe brauchst, schreib mal.
;o) Jojo
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nicolassparks
Wow, ich muss echt sagen, selten einen so guten Bericht gelesen. Da macht es richtig Spaß die Masse an Text zu lesen!
10 Points das ist ja mal klar!
Gruß Jessi
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SwissLife
Südtiroler Erfahrungen eines Deutschen am Schweizer Nationalfeiertag im Elsass.  mehr...
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Megarider
Hallo Hans-Günter,
ein wirklich toller Bericht den Du da geschrieben hast. Schade das keine Bilder dabei sind. Das hätte der hervoragenden Schreibweise sicher die Krone aufgesetzt.
Auf jeden Fall bekommt man gleich mal wieder Lust in die Schweiz zufahren und noch mal ein paar schöne Pässe zufahren. *fg*
Linke Hand,
Henry
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