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Dirk0 10.06.2003

Wet, wild, wonderful

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Schottland
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Tour-Motorrad
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Wet, wild, wonderful

Schottland zwischen Highlands und Hebriden
Am Tellerrand Europas wartet Schottland mit ungestümen Landschaften und herzlichen Menschen auf. Ausgerüstet mit nagelneuen Regenkombis trotzten wir den Unbilden des Wetters und brachen zu einer Reise in das Alaska Großbritanniens auf.
Die komplette Reportage mit vielen Bildern findet Ihr wie immer unter http://www.motorradkarawane.de​/repo/index.html​ (unter "Regionen" Schottland auswählen, die Reportage steht dann an an erster Stelle) Viel Spaß beim Lesen!

Alles ist, wie es sein muss. In Schottland sowieso. Burgen, Whiskey, Regen. Und Schafe, Schottenröcke, Regen. Also auf jeden Fall Regen. Doch in Edinburgh scheint die Sonne. Auf fast dreißig Grad klettert das Thermometer. Die Straßencafés an der antiken Royal Mile sind voll besetzt. Gerötete Haut wohin man schaut.
Wir haben uns bei Catherine angemeldet,die seit sechs Jahren in der schottischen Hauptstadt arbeitet. In einem leicht verlotterten Haus nahe dem Zentrum hat sie eine Eigentumswohnung gekauft. Die Mieten sind so horrend, dass man sich gleich eine Wohnung kaufen sollte, grinst sie. Außerdem ist sie von hier in wenigen Minuten zu Fuß am Grassmarket, der urigen Kneipenmeile unterhalb der Burg.
Heute ist Samstag, genau der richtige Tag, um einen abendlichen Abstecher zum Grassmarket zu machen. Catherine warnt uns vor den kräftigen Bauernjungs, die sich am Wochenende mit Stout-Starkbier und Whiskey zuschütten. Dann gibt es auch schon mal Streit und eine ordentliche Schlägerei.
Im White Heart Inn herrscht dichtes Gedränge. Dicke Zigarrenluft, grelle Dudelsackmusik und halbvolle Whiskeygläser unter roten Nasen. Auf jeden Fall ohne Eis, macht mich ein Schnauzbart aufmerksam, muss das schottische Nationalgetränk getrunken werden. Mit Eis tun es nur die Amerikaner. Und die haben keine Kultur, meint der Schnauz.
Um die Kultur am Grassmarket stand es auch nicht immer zum allerbesten, weiss Catherine. Blutige Hinrichtungen waren hier eine zeit lang gang und gäbe. Als zweifelhaftes Mahnmal aus dieser Zeit blieb eine Pinte namens Last Drop, der letzte Tropfen, am Ende des Grassmarkets erhalten. Nicht, dass die armseligen Verurteilten hier noch ein letztes Tröpfchen hätten nehmen können, im Gegenteil. Namensgebend waren die letzen Tropfen Blut die aus den Körpern der Enthaupteten rann.
Schauderhaft! Selbst zwei Tage später verfolgt mich der Gedanke an den "Last Drop" als dicke Regentropfen gegen die Visiere klatschen und die nagelneuen, extra für's schottische Schmuddelwetter angeschafften Regenkombis einem ersten unfreiwilligen Härtetest unterzogen werden. Wären wir doch bei Catherine in Edinburgh geblieben! Sie hatte uns gewarnt, dass das Wetter an der Westküste in der Regel erheblich schlechter sei als in der schottischen Metropole im Osten des Landes.

Nur noch ein paar Kilometer sind es bis nach Oban, der Hafenstadt direkt gegenüber der Isle of Mull. Schon von Ferne können wir die blau- weiße Fähre der Caledonian Mac Brayne in den Hafen einlaufen sehen. In der Hoffnung auf besseres Wetter lassen wir das Wahrzeichen Obans, die Nachbildung des römischen Kolosseums links liegen und sputen uns, um soeben noch den Sprung auf das Schiff nach Mull, wo uns die Sonne aus einem Loch in der Wolkendecke entgegengrinst, zu schaffen.
Mull gehört zu den am wenigsten besiedelten Inseln der bewohnten Hebriden. Das schmucke Tobermory gilt mit seinen bunten Häusern im Nordwesten der Insel als Hauptstadt Mulls und darf seinen Hafen zu den schönsten Großbritanniens zählen. Fast könnte man meinen - gutes Wetter vorausgesetzt - dass man sich angesichts der Flottille schneeweißer Segelschiffe an tropischen Gewässern befindet. Einzig die Fish'n Chips-Bude am Pier ruft mit dem essigdurchsetzten Pommesgeruch wieder in Erinnerung, wo die Beine auf der Erde stehen.
Durch das karge Hinterland Tobermorys bummeln wir über schmale einspurige Straßen, den Single-Tracks, nach Ulva. Hier in dieser Einsamkeit wuchs David Livingston, der berühmte Afrikaforscher heran. Was Ulva für uns aber interessanter macht ist der Bootsanleger in Ulva Ferry, von wo aus kleine Motorkähne zu den vorgelagerten Inseln Staffa und Iona ablegen.
An Bord der Hoy Loss nehmen wir Kurs auf die Inseln. Staffa ist oberflächlich betrachtet nur ein Steinhaufen im Meer, hätte er nicht eine charakteristische Besonderheit aufzuweisen. Wie beim Giants Causeway in Irland hat der Baumeister der Natur die Insel aus sechseckigen Basaltsäulen geschaffen und, als i-Tüpfelchen, noch die nur von der See zugängliche Höhle Fingals Cave hinzugefügt.
Eine Viertelstunde liegt die Hoy Loss jetzt schon vor der Einfahrt zum Naturhafen von Staffa, doch die Wellen schaukeln das Boot derart von links nach rechts, dass Kapitän Mac Allen die Durchfahrt zwischen den vorgelagerten Felsen nicht wagt. Der geplante Landgang fällt aus und ich muss langsam von der Illusion Abschied nehmen, dass mir auf kleinen Schiffen nicht übel wird.
Seekrank ist mittlerweile auch Diana und im wortlosen Kampf mit dem Magen lassen wir die halbstündige Weiterfahrt nach Iona über uns ergehen, wo das Christentum seine schottischen Wurzeln geschlagen hat. 563 errichtete der irische Mönch St. Columba auf der Insel eine erste Missionsstation und bekehrte mit seinen Gefolgsleuten von dort aus die vermeintlichen Heiden der High- und Lowlands zum rechten Glauben.
Auf uns strahlt Iona eine ganz besondere Ruhe aus und das nicht nur weil wir uns dem Seegang entziehen und hier an Land gehen können. Einige wenige Häuser haben sich für den seltenen Sonnenschein herausgeputzt und die Kirche fühlt sich mit ihrer irdenen Farbe als harmonischer Bestandteil des Inselchens.
Gerne würden wir länger hier verweilen, doch der Kapitän Mac Allen mahnt zum Aufbruch. Aus der Gegend, wo sich üblicherweise mein Magen befindet, dringen noch ein paar Argumente hervor, die für das Verweilen auf Iona sprechen, doch schließlich setzt sich der Verstand durch und wir sind froh, als wir in Ulva Ferry eine Stunde später endlich wieder festen Boden unter den Rädern haben.
Trotz der leichten Antipathie gegen die Schifffahrt nehmen wir gleich Kurs auf die nächste große Hebrideninsel, Skye. Für die knapp neunzig Kilometer von Kilchoan nach Mallaig, dem südlichen Fährort nach Skye, benötigen wir gute drei Stunden. Ein Reiseschnitt, der die Vermutung nahelegt, das wir mit Transalp und Africa Twin auf den schmalen Single-Tracks hoffnungslos übermotorisiert sind. Stimmt auch, aber hinzukommen noch die allgegenwärtigen Schafe, die bei der Annäherung eines Motorrades den Leibhaftigen kommen zu sehen glauben. Jedes vernünftige Tier würde die Flucht ergreifen, doch ein schottisches Schaf versucht lieber, kreuz- und quer vor dem Vorderrad einer Enduro herlaufend seiner Angst Herr zu werden. Eine ungerechte Welt schickt den völlig verängstigten Tieren auch noch prustende Lachsalven hinterher, wenn die spindeldürren Hammelbeine ungelenkt geschwungen werden.
Skye gilt als die Nebelinsel schlechthin und im Glenbrittle, einem Tal im Süden der Insel gibt sie uns eine Kostprobe ihres dunstigen Könnens. Drei Tage lang warten wir darauf das sich der Schleier um das Cuillin Bergmassiv lüftet und wir unsere Wanderschuhe ausführen können. Vergebens! Wir beschließen daher alternativ, den Quirang, eine Höhenkette im Norden der Insel zu erkunden.
Auf dem Weg dorthin passieren wir nördlich von Uig das Skye Croft Museum. Auf dem Ausstellungsgelände wird eine kleine Siedlung aus dem vergangen Jahrhundert mit vielen Originalschaustücken gezeigt. Unter den reetgedeckten Hausdächern qualmt noch immer das Torffeuer, mit dem manche kalte Abende erwärmt und die Lungen der Bewohner verrußt wurden. Hier wird schnell deutlich, dass das Leben hier kein Zuckerschlecken war. Die grandiose Landschaft wird den Menschen nur ein schwacher Trost gewesen sein.
Der Himmel meint es heute gut mit uns und läßt ein kleines Wunder geschehen. Von der Anhöhe des Museums wird der Blick auf die mehr als 40 Meilen entfernten äußeren Hebriden frei. Wie ein Schutzschild liegen sie zwischen Skye und dem pausenlos heranrollenden Atlantik. Die letzten Sonnenstrahlen streicheln die vom unbarmherzigen Wasser und dem harschen Wind gepeinigten Inseln. Ein phantastischer Anblick, von dem wir uns losreissen müssen, um unser Tagesziel Floddigarry zu erreichen.

Niemandem ist ein Vorwurf daraus zu machen, wenn er an Floddigarry vorbeifährt. Ein verstreutes Grüppchen weißer Häuser, ein Hotel mit stolzen Preisen und eine Jugendherberge sind nicht gerade Magneten des Tourismus zu nennen. Dennoch hat der Ort seinen Reiz. Zum einen liegt er zu Füßen des Quirang-Höhenzuges, den wir morgen erkunden wollen und zum anderen verfügt er über einen skurrilen Pub. Das Interieur ist der arabischen Welt entlehnt und läßt mit orientalischer Stuckdecke und Koransprüchen an der Wand die Frage aufkommen, ob man nicht versehentlich in Ägypten oder Tunesien gelandet ist. Erst als die ersten Mac Ewan-Biere die Kehle hinunter geflossen sind, die Liveband mit "Whiskey in the Jar" und "Dirty old Town" einheizt und erste Verbrüderungsszenen mit den Tischnachbarn stattfinden sind die Zweifel restlos beseitigt.
Es mag am Bier gelegen haben, dass wir am Morgen erst recht spät zur Quirang-Klippenwanderung aufbrechen. Vier Stunden Zeit sollten wir schon einplanen, hatte uns unser Wirt gesagt. Das anschließend mehr als sieben Stunden daraus wurden ist ihm nur zum Teil anzulasten. Die Aussicht von den Klippen hinüber nach Applecross, dem Gebirge auf dem Festland und auf die bizarren Felsformationen des Quirang läßt uns immer wieder innehalten. Auf dem Rückweg nach Floddigarry verpassen wir einen entscheidenden Abzweig und unser Pfad endet an einem spektakulären Steilabfall. Wenn wir uns nicht in der Dunkelheit Hals und Bein brechen wollen, dann müssen wir hier absteigen. Dianas skeptische Miene und die knöchernen Überreste mehrerer Schafe auf dem Talboden lassen bei mir nur bescheidenen Optimismus aufkommen. Aber wir haben keine andere Wahl und mit viel Glück erreichen wir Floddigarry, als sich die Sonne gerade zur Ruhe begeben hat.

Skye, so sagen viele, sei gar keine Insel mehr, seit die Brücke zwischen Kyleakin und Kyle of Lochalsh steht. Stramme drei Pfund, umgerechnet zehn Mark bezahlen wir für die Überfahrt pro Motorrad. Vielleicht war die alte Fähre teurer, stilvoller als die Brücke war sie aber allemal. "Ja, es geschehen seltsame Dinge hier oben", erzählt Mrs. Mac Lallen, die betagte Landlady unsrer Unterkunft in Kinlochewe mit Blick auf die neue Brücke nach Skye. Nicht nur, dass Skye damit seinen Status als Insel verloren hat, sondern auch die in Ihrem Augen unverschämt hohe Maut bringt sie in Rage. Die Inselbewohner haben sich ohnehin geweigert die Brückengebühr zu bezahlen und dürfen mittlerweile kostenfrei von hier nach dort fahren. Reisenden wie uns bleibt nur auf die Fähre Mallaig - Armadale auszuweichen oder zu zahlen.
Die Applecross Mountains hatten wir schon von Skye aus gesehen, und jetzt wo wir wieder auf dem Festland sind, wollen wir sie auch erkunden. Aber Petrus öffnet alle Schleusen und es regnet, wie man hier oben sagt, cats and dogs. Zum weglaufen. Wir fliehen nordwärts vor dem Regen, der uns aber immer dicht auf den Fersen bleibt und mehrfach einholt. In Gairloch treibt er uns der Fishbox, einer kleinen Pinte zur Mittagszeit in die Arme. Die klammen Helme und Handschuhe trocknen am Kamin und wir zeigen dem heftigen Wind durchs Sprossenfenster grinsend eine lange Nase. Doch wie so häufig wurde die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Während wir unsere Freude über den warmen Zufluchtsort noch richtig ausleben, beginnt das Kaminfeuer die Hitzebeständigkeit meines Klapphelms auf eine harte Probe zu stellen. Erst die Frage eines weiteren Gastes, ob der vor sich hinschmelzende Helm mir gehöre, läßt uns wieder auf den Boden der nassen Tatsachen kommen. Der Helm ist leicht verzogen. Und immer noch klamm.
Als nach zwei Stunden die Sonne kurz durch die Wolken blitzt, stürzen wir den Tee hinunter und schwingen uns wieder auf die Enduros. Eine herrliche Küstenlandschaft mit kleinen sandigen Buchte und vorgelagerten Inseln erwartet uns. Fast möchte man sich an den Strand legen. Aber nicht nur der kalte Wind hält uns ab. Auf einer Insel in der Gruinard Bay haben britische Militärs gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem todbringenden Milzbranderreger experimentiert. Der Erfolg war durchschlagend: Binnen kurzen war alles Leben auf der Insel erloschen. Wäre der Krieg nicht 1945 zu Ende gewesen, hätte Churchill Deutschland damit verseuchen lassen. Die Insel wurde 1988, 45 Jahre nach dem Experiment entseucht. Doch bis heute darf die Insel nicht von Menschen betreten werden. Niemand kann ausschließen, dass der Erreger wirklich nicht mehr vorhanden ist.

In Ullapool, der letzten Stadt vor der Einsamkeit des Nordens füllen wir rasch unseren Proviant auf und starten durch zur Nordküste nach Durness, dem Ende der schottischen Welt. Unsere Flucht vor dem Regen findet hier ihr zwangsläufiges Ende. Weiter nordwärts geht es hier einfach nicht. Und als hätte der Wettergott nur auf diese Gelegenheit gewartet, entlädt er seinen seit Tagen genährten Groll gegen uns. Heftige Regenschauer und ein Orkan der Extraklasse brechen nächstens über unser Zelt herein. Der grässlich peitschende Wind reißt alles mit sich was nicht fest mit Mutter Erde verbunden ist. Dianas Sorge gilt den Motorrädern, die sie vor ihrem geistigen Auge vom Sturm davon getragen im Atlantik versinken sieht. Mich treibt gegen drei Uhr nachts die schiere Angst davor aus dem Zelt, dass uns der Sturm am Ende noch noch mitsamt Zelt aufs nahe Meer hinaus reißt. Wir geben auf und evakuieren uns in das Toilettenhaus des Campingplatzes das auf uns Schlaflose fast den Reiz eines gediegenen Hotelzimmers ausübt. Eineinhalb Stunden später raubt uns die anbrechende Tageshelle den kurzen Schlaf. Von Wetterbesserung keine Spur. Nein, Durness kann uns nicht länger halten. Es gibt nur noch einen Wunsch: Weg von hier!
An der sandigen Lagune von Durness vorbei steuern wir die Vogelschutzinsel Handa an. Die ist Privateigentum und wird von Freiwilligen des schottischen Vogelschutzverbands gepflegt. Pete und Gordon weihen uns bei der Ankunft in die wichtigsten Verhaltensmuster der Vögel ein. Besonders wichtig, weil gerade Brutzeit ist und die Altvögel sehr schnell gereizt reagieren und unliebsame Besucher mit beherzten Flugattacken zu vertreiben suchen. Dabei kann es durchaus zu Kopfverletzungen kommen, wenn man nicht, wie Pete empfiehlt, die Arme nach oben reckt und sich aus dem Staub macht. Wir sind keine zehn Minuten unterwegs, da müssen wir uns auch schon der ersten Angriffe aufgebrachter Vogeleltern erwehren, die ihre Küken im hohen Gras heranziehen.

Die eigentliche Attraktion Handas sind aber die Klippen und Felsstöcke in denen hunderttausende von Seevögeln nisten. Wie in einem Hochhaus brüten putzige Papageientaucher, schreiende Möwen und pinguinähnliche Razorbills dicht an dicht. Viele der jungen Flieger habe die Kalkschale ihrer Eier schon verlassen und manch einer rüstet zur ersten Flugstunde
Nur wenige Kilometer von Handa entfernt machen wir in Kinlochbervie, einem unscheinbaren Fischernest Rast. Die Europäische Union hat hier ein Projekt gegen das in Schottland allgegenwärtige Gespenst der Arbeitslosigkeit gestartet. In einer eigens gebauten Auktionshalle werden hier die Fischfänge der Westküste zentral versteigert. In weißen Plastikkisten werden die Fänge des Tages aufgebahrt. Tausend glasige Augen schauen aus den kalten Körpern. Makrelen, Thunfische, sogar Rochen liegen hier. Wer ißt eigentlich Rochen? Fast kommen mir die Tränen, wenn ich daran denke, mit welch eleganter Schönheit sich Rochen im Wasser bewegen, fast zu fliegen scheinen. Doch für die Netze der Fischkutter zählt das Wort Schönheit nicht.
Mit gemischten Gefühlen stiefeln wir zur Gaststätte gegenüber der Auktionshalle, der Fisherman's Mission. Für kleines Geld werden hier nicht nur Seeleute verköstigt. Bei Fish und Chips lugen wir verstohlen zu den windgegerbten Gesichtern an den Nebentischen. Rauhe Jungs mit dicken Pullis und Gummistiefeln. Viel wird ihnen nicht geschenkt. Hauptsache Arbeit. Eine Arbeit die nicht nur anstrengend sondern auch heute noch gefährlich ist. In der Mission hängen mehrere Todesanzeigen von Seemännern, die bei rauher See über Bord gingen und ihr Leben verloren. Betroffenheit spiegelt sich in den Gesichtern derjenigen, die sie lesen.
Vorbei an den Thermo-Lastzügen, die im kleinen Kinlochbervie irgendwie deplaziert wirken, tuckern wir weiter an der Küste entlang. Manchmal gewährt uns der Nebel einen Blick auf Sandstrände, schroffe Felsen und malerische Seen. In Tongue prahlt schließlich wieder die Sonne und erinnert uns daran, dass eigentlich Sommer ist. Schottischer Sommer eben. Auf dem Damm, der den Fjord von Tongue durchschneidet halten wir an. Zeit tief Luft zu holen und Sonne nachzutanken.
Vom guten Wetter angezogen folgen wir der Nordküste weiter in Richtung John O'Groates. Kurz hinter Gliss, wo sich Seehunde auf den Sandbänken aalen, hält Diana plötzlich an. "Hast Du das Schachspiel gesehen?", fragt sie mich. Ein Schachspiel? Weit und breit sind hier nur Wiesen, Felder und das Meer. Aber in der Tat, ein paar hundert Meter zurück steht ein Schachspiel wettergeschützt am Straßenrand. Aber auch nicht irgendeins. Nein, die Figuren sind aus dem Märchen Alice im Wunderland. Gleich neben dem Schachspiel führt ein schmaler Weg durch die Büsche dahinter steht ein kleiner Pavillon, der uns schier den Atem verschlägt. Lauter Schachspiele mit den tollsten Figuren. Mal erscheint der König als Heinrich der VIII, die Königinnen sind Maria Stuart und ihre Gegenspielerin Elizabeth. Statt der schnöden Bauern ringt eine Armada von weißen und schwarzen Segelschiffen um den Sieg auf dem karierten Brett.
Während wir uns die Nasen an der Scheibe platt drücken ertönt hinter uns ein freundliches "Hello, can I help you?". Mrs. Brewster entpuppt sich als die Schachfigurenkünstlerin, die ihre handgearbeiteten Spiele in die ganze Welt verkauft. Nur dieses Jahr, so klagt sie, läuft das Geschäft schlecht. Der ungünstige Wechselkurs fürs britische Pfund hält offenbar die Kunden fern. Aber wo wir jetzt schon mal da sind, könnten wir ja gleich ein Schachspiel mitnehmen und die Transportkosten sparen. Das rührige Angebot müssen wir leider ablehnen, da uns, wo wir schon selber keine Schachspieler sind, auch spontan niemand einfällt, den wir mit einem Spiel der Könige beglücken können.
An Thurso vorbei erreichen wir mit dem Leuchtturm von Dunnet Head den nördlichsten Punkt des schottischen Festlands. Gegenüber ragen die Orkney-Inseln aus der Nordsee. Sogar der südliche Einstieg ins Scapa Flow, einem von den Orkneys fast vollständig umringten Meeresteil ist sichtbar. Scapa Flow spielte in beiden Weltkriegen eine bedeutende Rolle für die britische und deutsche Marine.
Im ersten Weltkrieg pflegten sich im Schutz von Scapa Flow die britischen Kriegschiffe zu sammeln. Aus Furcht vor deutschen U-Boot-Angriffen hatte die Royal Navy 20 Schiffe versenkt, um den U-Booten die Einfahrt zwischen den Inseln ins Flow unmöglich zu machen. Dennoch gelang es 1916 einem Tauchboot einzufahrenund mit einer der gelegten Minen die HMS Hampshire mit Hunderten Matrosen an Bord zu zerstören. Unter den Opfern war auch General Kitchener, der mit Lawrence von Arabien den Nahen Osten von der Vorherrschaft der Osmanen befreit hatte.
Es ist Ironie des Schicksals, dass die deutsche Flotte nach dem verlorenen ersten Weltkrieg ausgerechnet hier gefangen gehalten wurde. Um die Flotte nicht übergeben zu müssen, ließ Admiral von Reuter alle 74 Schiffe der Flotte versenken. Wenige Jahrzehnte später, der Zweite Weltkrieg hatte gerade begonnen versenkten deutsche U-Boote die britische Royal Oak. Diesmal fielen dem Angriff über achthundert Menschen zum Opfer. Churchill ordnete daraufhin die Versenkung weiterer Schiffe und den Bau von Dämmen an, um die Durchfahrt für U-Boote endgültig unmöglich zu machen. Bevor der Churchill Causeway fertiggestellt wurde, war der Zweite Weltkrieg beendet.
Wir fahren weiter auf den Spuren der Vergangenheit und erreichen Wick, dass seine Blütezeit mit dem Heringsboom erlebte. Tausend Heringskutter gingen hier vor Anker und ließen die ehemals armen Kapitäne zu wohlhabenden Leuten werden. Im örtlichen Museum führt uns der Aufseher kreuz und quer durch die verworrenen Gänge. Eine Heringsräucherei ist ebenso ausgestellt wie ein Leuchtturm und der Nachbau des Hafensbeckens von Wick. Unter den kleineren Schaustücken findet sich auch eine Blechdose in der Hustenpastillen aufbewahrt wurden. Die Heringe, die tausend Kutter, der Reichtum von Wick, alles ist vergangen. Nur der Name für die Halsbonbons ist bis heute der gleiche geblieben.
Weiter südwärts stoßen wir bei Tain auf die ersten Vorposten des Whiskeytrails. Ihm wollen wir zwar nicht folgen, aber eine Destilleriebesichtigung muss schon drin sein. Glenmorengie, ein guter Name unter den Whiskeys, kommt uns da gerade gelegen. Doch leider, so konstatiert die höfliche Dame am Empfang, ist wegen dringender Reperaturarbeiten in der Destille heute keine Besichtigung mehr möglich. Abhilfe schafft da der Supermarkt von Tain, wo wir zwar dem Produktionsprozess nicht folgen uns dafür aber mit gleich zwei Flaschen des edlen Gesöffs eindecken können.
Vermutlich hat in der Folge unsere weitere Reiseroute unter dem Einfluss des Whiskeys gelitten. Denn statt nach dem Cromarty Firth, der Meerenge mit seinem Dutzend Ölbohrinseln nach Inverness und zum Loch Ness,der Heimat von Nessie abzubiegen, reitet uns der Teufel. Angesichts des für hiesige Verhältnisse unglaublich guten Wetters fahren wir in einem Zug von der Ost- an die Westküste, um unser Glück erneut im Applecross-Gebirge zu versuchen. Und wir werden nicht enttäuscht.
In unseren Reiseführern nicht erwähnt und abseits der Touristenhauptroute fristet Applecross sein Schattendasein gegenüber von Skye. Vollkommen zu Unrecht, denn nirgendwo sind die Singlestracks schmaler, die Steigungen steiler, die Aussichten faszinierender als hier. Den Sonnenuntergang verleben wir auf dem Pass of the cattle. Vom knallenden Gelb ins warme Orange verfärbt sich der Himmel, während der Vollmond seinen Auftritt vorbereitet. In sein schneeweisses Kleid gehüllt steht er bald umringt von den ersten Sternen am tiefblauen Abendhimmel. Auch wenn es in Schottland nur regnen würde sind wir uns einig: Ein solcher Augenblick macht alles, aber wirklich alles wieder wett.
Am nächsten Morgen machen wir Eilean Donan Castle unsere Aufwartung. Die Wasserburg im Loch Duich ist ein Muss für alle Schottlandfahrer. Hier turnten Christopher Lambert und Sean Connery für die Verfilmung des Highlanders herum und tausende Touristen jedes Jahr versuchen hier den Hauch des rauhen Helden einzufangen.
Was beim Highlander nur ein Leinwandgemetzel war, ist wenige Meilen entfernt blutige Realität gewesen. Im Glencoe, dem Tal der Tränen, nutzten im 17. Jahrhundert Mitglieder des Campell-Clans die Gastfreundschaft des dort ansässigen Mac Donalds mehrere Tage aus bevor sie im Morgengauen des 13. Tages über ihre Gastgeber herfielen und ein Massaker unter ihnen anrichteten. Der Plan, die Mac Donalds vollkommen auszurotten misslang, da über 400 Leute in die Moore jenseits des Glencoe entkamen.
Die schottische Vergangenheit geizt nicht mit Geschichten, die mit Blut geschrieben wurden. Eine weitere, vor einigen Jahren als Kinoepos verfilmte Geschichte ist jene von Rob Roy. Als Highlandpendant zum englischen Robin Hood lieferte er sich in seiner Heimat, den Trossachs, so manches Scharmützel mit der bösartigen Adelsclique.
Für uns sind die Trossachs nach ein paar hundert Kilometern die erste Gelegenheit, Reifenflanken und Asphalt wieder miteinander in Berührung zu bringen. Beherzt schwingen wir uns durch die Kehren und werden erst durch das Zwielicht der hereinbrechenden Nacht gebremst.
Aus den Höhen der Trossachs fahren wir in einem Rutsch nach Glasgow, der Architekturstadt '99. Viel Zeit bleibt uns nicht mehr, die neuen Schätze der vermeintlich schäbigen Schwester Edinburghs anzusehen. Nur im Stau der nachmittäglichen Rushhour erhaschen wir einen kleinen Eindruck der durchaus sehenswerten Stadt.
Glasgow ist nur achtzig Kilometer von Edinburgh entfernt. Eine gute Gelegenheit, noch einmal bei Catherine vorbeizuschauen und "bye-bye" zu sagen bevor wir morgen wieder die Fähre in Newcastle besteigen. Der Abschiedsabend klingt im White Heart Inn aus, wo die Luft schon wieder zum schneiden ist. Whiskey-Gläser, Zigarrenluft, Dudelsackmusik und der Schnauzbart ist auch wieder da. Drei Whiskey bestelle ich für uns. Ohne Eis.
Die Bilder zur Reportage findet Ihr wie immer unter http://www.motorradkarawane.de​/repo/index.html​ (unter "Regionen" Schottland auswählen, die Reportage steht dann an an erster Stelle).

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