Einmal Rumänien und Ukraine und zurück (Teil 3)
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Karpaten |
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Einmal Rumänien und Ukraine und zurück (Teil 3)
Karpaten-Tour 2009Dracula entlässt mich unversehrt. Die Tour entlang der Karpaten geht nun von Rumänien nach Norden in die Ukraine bis nach L´viv (Lemberg)weiter. Und da muss man dann mal weitersehen...
Sonntag, 9.8.2009, Sibiu, km 92089
Schon am frühen Morgen werde ich durch Plätschern geweckt, das definitiv nicht von der Dusche kommt. Der erste Blick aus dem Fenster verheißt nichts Gutes: Grau in Grau. Es regnet reichlich. Erst mal Frühstück und dann Warten. Schließlich um die Mittagszeit wird der Regen weniger. Ich fahre erst mal ins Zentrum von Sibiu und erkunde weiter ein wenig die preisgekrönte Innenstadt. Entfernt man sich aus dem nobelsanierten Altstadtkern ein paar Meter, blättert der Putz von den Wänden und man wird ein Jahrhundert zurückversetzt.
Endlich, es hört auf zu regnen, ich will doch noch ein wenig touren und die Sonne und 34° C finden. Wieder über Cisnadie fahre ich wie am Vortag die E68 nach Süden um bei Brezoi nach Westen abzubiegen. Die Straße ist nass, aber in gutem Zustand, kaum Verkehr, als ich am Bradisor Stausee vorbeifahre,
aber die grauen Wolken hängen tief und der Regen hört nicht völlig auf. Dann wird die Strecke kurviger, die Schlaglöcher mehr und tiefer,
die Zelte entlang der Strecke zahlreicher. Ein Campingbus mitten in der Landschaft am Ufer eines Flusses – gut, das kann mich mir leicht romantisch vorstellen. Was aber die Menschen dazu treibt, direkt an der Straße in den Kurven Zelte aufzustellen, und damit sie nicht nass werden, mit Plastikplane abzudecken, das erschließt sich mir nicht völlig.
Vorbei an Malaia und Voineasa müsste dann der Lacula Vidra vor mir liegen, auch ein Stausee, aber ich sehe eigentlich nur eine große Ebene durch die ein Fluss fließt.
Dann komme ich nach Lotrului, meine Karte zeigt mir an, dass ich rechts Richtung Norden abbiegen muss. Der Wegweiser ist da, ich biege ab und bin verwirrt. Wo bin ich hier? Das sieht mehr nach einer Baustelle aus, auf die ich mich verirrt habe. Aber eine Baustelle mit Straßenschilder und Wegweiser? Der Boden ist leicht schlammig und durch den ständigen Regen rutschig. Baufahrzeuge, Planierraupen und Bagger stehen am Pistenrand.
„Die werden wohl gerade die Straße sanieren“, denke ich, und rechne damit, dass es nach ein paar Metern sicher besser wird.
Hätte ich gewusst, was mich erwartet - ich wäre niemals abgebogen. Als mir bewusst wird, dass es nach hundert Metern keineswegs besser wird, sondern schlimmer, ist es zu spät. die Räder von Iron Lady versinken bis zu den Speichen im Schlamm, der ganze Boden ist völlig aufgeweicht, das Motorrad lässt sich fast gar nicht mehr steuern, das Vorderrad schmiert sich durch irgendwelche von den Baufahrzeugen gepflügte Furchen, aus denen kein Entkommen möglich ist. Ich gebe Gas, das Hinterrad dreht durch, und schiebt und schiebt und schiebt und mein einziger Gedanke ist, wenn ich hier stehen bleibe, dann komme ich nie, nie, nie wieder raus. An Umkehren kann ich nicht mal denken, ich bin ja schon froh, wenn ich den Slalom um die Kurven und zwischen den Baggern und Baufahrzeugen hinkriege, und dabei noch irgendwie senkrecht auf dem Zweirad bleibe.
Dann, nach vielleicht 1500 Metern ist der Weg wenigstens so beschaffen, dass ich anhalten kann, ohne gleich zu versinken. Wie zum Hohn kommt jetzt die Sonne raus.
Ich ziehe Bilanz: vor mir liegen ungefähr 70 km bis Sebes. Für die letzten anderthalb Kilometer habe ich gut 15 Minuten gebraucht. Ich rechne hoch …. das könnte eine Fahrtzeit von ca. 12 Stunden ergeben. Davon würde aber gut die Hälfte auf stockfinstere Nacht entfallen. Der Weg voraus sieht leicht besser aus, als die Chaos-Meter hinter mir. Was tun? Jetzt umkehren und nochmal durch den Schlamm? Nie im Leben! Sabin, den Endurospezialisten in Sibiu anrufen und fragen, ob er mich rettet? Super Idee, aber gerade kein Handy Empfang.
Nun gut, ich male mir aus, dass vielleicht in 10 km ein schnuckeliges kleines Café am Wegesrand mit leckerer Sahnetorte einläd, genau dorthin will ich. Ich werfe den Motor wieder an und rumpele langsam wieder los, über die Schlammschotterpiste, und denke an mein Glück, dass ich wenigstens noch Reifen mit Stollenprofil habe. Zwar gerate ich nicht noch einmal in eine Schlammbaustelle, aber die Beschaffenheit der glitschigen Piste verlangt immer noch volle Aufmerksamkeit und gedrosseltes Tempo. Dann, von einem Meter auf den anderen – ich traue meinen Augen nicht: vor mir liegt richtige Straße. Neue, geteerte, schlaglochfreie Straße mit einem Mittelstreifen, es sieht gerade so aus, als wäre ich der Erste, der nun dieses Stück Strecke einweiht. Alle Sorgen umsonst also, nun fehlt ja nur noch das Café. Statt Café gibt es einen wunderbaren Blick auf den Lacul Oasa im Sonnenschein.
Wie schön es hier doch sein kann. Ich drehe am Gas, schließlich kann ich jetzt ein wenig aufholen, 80, .. 90 …. 100 km/h zeigt der Tacho, als nach etwa 2 km die Rennstrecke sich genauso plötzlich und ohne Warnung von einem Meter auf den anderen wieder in Schotterpiste und Schlaglochgelände wandelt. Trotz Vollbremsung rase ich in die Löcher rein und höre im Topcase meine Cameratasche an den Deckel knallen. Ab jetzt funktioniert der Autofocus in meinem Weitwinkelobjektiv nur noch sporadisch. Genauso sporadisch wechselt die Straße nun im Zustand. Ein paar Kilometer Schotterpiste, dann ein paar Kilometer astreine Rennstrecke, dann wieder zurück auf den Naturbelag. Irgendwo kommen mir fröhlich winkend 5 Motorradfahrer entgegen, die entspannte Haltung und die relativ sauberen Maschinen lassen vermuten, dass ich das Schlimmste hinter mir und diese erst noch vor sich haben. Wenn ich schon mit Enduro fast nicht durch den Schlamm komme, wie wird das erst mit einer Straßenmaschine gehen?
Weiter führt die Piste am Lacul Tau vorbei bis in die erste Siedlung seit vielen Kilometern: Sugag. Dort schaue ich nochmal auf die Karte. Sabin hat eine reizvolle Abkürzung über Dobra, Jina und Sibiuluj empfohlen, in meiner Karte ist das rot eingezeichnet, was heißt, „für Enduro passierbar“. Ich biege tatsächlich ab. Die geteerte Straße geht noch ein oder zwei Kilometer weiter und wandelt sich zu Schotterstrecke, dann wird die Schotterstrecke eng und enger und schließlich finde ich einen Wegweiser nach links, eine heftige Steigung hinauf, etwas, was ich normal nicht mehr als Feldweg bezeichnen würde. Diesmal aber habe ich noch die Zeit, mich zu entscheiden, und so entscheide ich mich gegen diese romantische und abenteuerliche Endurostrecke zugunsten einer vergleichsweise langweiligen, aber dafür sicheren, Reststrecke von etwa 50km. Dann ist es kurz vor 19 Uhr. Ich habe Heißhunger auf einen guten Kaffee und ein Stückchen Kuchen. Auf dem direkten Weg steuere ich die evangelische Stadtkirche in Sibiu an. In Sichtweite gibt es das Café Wien. Sachertorte, Linzertorte und ein herrlicher Kaffee.
Mit den eingesauten Klamotten falle ich zwar an diesem Sonntagabend unangenehm zwischen den nobel gekleideten Gästen auf – aber das hat mich ja auch noch nie wirklich gestört. Sibiu gönnt mir noch eine sternenklare Nacht zum Abschied.
Montag, 10.8.2009, Sibiu, km 92395
Mein ursprünglicher Plan, im Nordosten von Rumänien in die Ukraine hineinzufahren, wird nun zeitlich etwas knapp. Suceava ist etwa 400 km von Sibiu entfernt, und ich habe immer noch keine verlässliche Angabe erhalten können, wie lange die Einreiseprozedur an der Grenze dauert. Daher ändere ich die Planung und will mir die Situation im Nordwesten von Rumänien ansehen, so habe ich wenigstens alternative Wege über die Slowakei, sollte ich nicht in die Ukraine gelangen. Nach drei Tagen ist nun Schluss mit Sibiu.
Ich verabschiede mich von Sabin, seiner Frau und seinen Schwiegereltern und unter dem heiseren Gebell von Bobby packe ich mein Gepäck, bezahle und starte los. Die 14 Richtung Norden. Bei Kopsa Mica (Kleinkopisch) halte ich, um das Schild Richtung Wurmloch zu fotografieren (das glaubt mir sonst keiner).
Erst später stelle ich fest, dass sich vielleicht ein Besuch gelohnt hätte. In Wurmloch, oder besser in "Valea Viilor" wie es auf rumänisch heißt, gibt es eine sehenswerte Wehrkirche aus dem 14. Jahrhundert, die in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Aber weiter. In Medias (km 92455) mache ich eine kleine Pause, schaue mich in der Stadt um, ich entdecke das Hotel Traube, das Haus zur Spinnerin, das Liceum Stephan Ludwig Roth, in dem wohl noch immer teilweise in deutsch unterrichtet wird, die deutsche Schule, und natürlich die Wehrkirche, in der gerade eine Touristengruppe über die Geschichte der Siebenbürgensachsen informiert wird.
Als ich zurückkomme zum Motorrad werde ich von einer durchaus elegant gekleideten Frau angesprochen, erst, ob ich eine Zigarette hätte, und dann schildert sie mir in lückenhaftem Deutsch die problematische Situation ihrer Familie und ihrer zwei Kinder. Ich trenne mich von ein paar Leu – ob das nun stimmt, was sie mir erzählt, kann ich nicht beurteilen, aber ich halte es auch nicht für unmöglich. Es ist im Übrigen das einzige Mal, wo ich in Rumänien angebettelt werde.
Weiter geht es über Danes zum knapp 40 km entfernten Sighisoara (km 92496). Dort ist nun alles schon ganz erheblich auf Tourismus eingerichtet. Dutzende von Touristen-Reisebusse drücken sich aneinander vorbei und spucken Grüppchen von Touris aus.
Ein kostenloser Parkplatz ist nicht zu entdecken, also dann eben auf einen legalen und bewachten. Ich habe den Helm noch nicht abgenommen, als schon ein pickliger schmächtiger Mann mit starker Brille neben mir steht, die Parkgebühren abkassiert, und dann anfängt, sich einzuschleimen mit den Namen deutscher Städte, in denen er angeblich schon gewesen ist.
Auf deutsch und englisch fragt er mich aus, woher ich komme und wohin ich wolle, versucht mich davon zu überzeugen, dass mein Ziel Cluj-Napoca eine hässliche Stadt sei und ich einfach länger in Sighisoara bleiben solle. Eine Unterkunft könne er mir beschaffen und er würde mir überdies auch einige der schönen rumänischen Ladies besorgen. Angesichts seines eigenen Äußeren stelle ich mir bei seinen Worten eine wahre Geisterbahnbesatzung vor, die sich über mich hermachen würde, ich gebe deutlich zu verstehen, dass ich an seinem Angebot nicht interessiert bin, gehe schon Richtung Stadtzentrum zu, aber der Typ ist anhänglich wie Kletten. Als nächstes meint er, mir eine ganz persönliche Stadtführung anbieten zu müssen. Erst als ich gar nicht mehr mit ihm rede und ihn stehen lasse, wird es etwas ruhiger hinter mir und ich drängle mich an Touristengruppen vorbei in das kleine Zentrum des Ortes, natürlich wieder Wehrkirche, ein Hermann Oberth Denkmal und eines für Vlad Tepes alias Dracula.
Auf großen Schildern entschuldigt sich der Stadtrat für Behinderungen wegen der Sanierungsarbeiten im Ortszentrum.
Tatsächlich fühlt man sich doch sehr wie auf einer Baustelle, aber wenn das mal fertig wird, wird es bestimmt schön werden. Kurz vor der Abfahrt entdecke ich noch ein Café, in dem es herrlichen Cappuccino gibt, und dann geht’s wieder weiter.
Die Straße ist eher langweilig, genauso wie die Landschaft, da mache ich aber bei Aranyosgyeres, kurz vor Turda eine Vollbremsung. Ich weiss, ich bin schon lange unterwegs, aber ich muss mich erst einmal vergewissern, ob ich wach bin oder träume: Diese zwei Paläste, die an der staubigen Straße stehen, sehen aus wie Zwillingsbauten.
Ein Hotel im Bau? Oder ein Puff? Wenig wahrscheinlich. Es bleibt die Vermutung, dass vielleicht sich ein Chef eines Roma-Clans eine gänzlich unbescheidene Residenz gebaut hat.
Dieses Bauwerk bleibt aber auch das einzige außergewöhnliche auf dem Weg über Turda nach Cluj-Napoca. Dort komme ich wohl rechtzeitig zum Feierabendverkehr an. Im Stadtzentrum halte ich, versuche mich zu orientieren, und am Stadtplan sehe ich, dass die Touristeninformation nicht weit ist. Die hat aber um diese Uhrzeit schon längst geschlossen. Gut, dass ich mich in Sibiu schon vorbereitet hab, ich krame die Adresse des Campingplatzes raus und schalte das Navi ein. Am Camping Liliacul in der Calea Turzii 251A fahre ich zwei Mal aus Versehen vorbei, bevor ich rechtzeitig beim dritten Mal anhalten kann. Campingplatz? Das sieht eher nach Gewerbegebiet aus. Ein Hinweisschild gibt es auch nicht. Ich sehe zwar hinter einer etwas heruntergekommenen Pension ein Grundstück das vor langer Zeit einmal ein Campingplatz gewesen sein könnte. Also weitersuchen. Meine Wahl fällt auf die Pensiunea Cluj, die finde ich auch mit nur wenig Schwierigkeiten in einer Sackgasse am Hang. In dieser Pension, die nur 10 Zimmer hat, werde ich freundlichst begrüßt, man gibt mir drei Schlüssel, ich darf mir ein Zimmer aussuchen. Mein Zimmer hat Balkon, rumänisches Kabelfernsehen und kabellosen Internetanschluss.
Nun ist Zeit für eine kleine Stadtrundfahrt. Schnell sehe ich, dass der romantische historische Zauber von Sighisoara nicht bis hierher ausgereicht hat.
Baustellen gibt es auch hier massenweise, aber der historische Stadtkern ist eher bieder. Auffällig dagegen die enge Vernetzung der Stadt überirdisch. Angesichts der gespannten Leitungen und Kabeln wird einem Angst und bang, ob man hier nicht durch Elektrosmog gegrillt wird.
Nun fängt es zu meiner Freude auch noch an, zu regnen. Wie schön, dass es wenigstens tagsüber gehalten hat. Den dicksten Pluspunkt bekommt Cluj-Napoca dann allerdings für die rumänische Stadt mit den meisten und besten Konditoreien und ich kann gar nicht so viel Kaffee trinken und Kuchen essen, wie mir angeboten wird. Hinsichtlich anderer lukullischer Genüsse sieht es aber schon wieder bescheidener aus. Entlang einer Einkaufsstraße im Zentrum setze ich mich in ein Straßenrestaurant und wähle etwas schnitzelähnliches aus und spüle es mit einem immerhin guten rumänischen Bier nach.
Dienstag, 11.8.2009, Cluj-Napoca, km 92675
Auch in Sachen Frühstück ist die Pensiunea Cluj keine schlechte Wahl. Ich zahle meine 110 RON (ca. 30 €). Das Wetter sieht heute gut und beständig aus, ein guter Tag, um einen Ausflug in die Ukraine zu machen. Um nicht allzuviel Zeit zu verlieren fahre ich ohne Pause über Dej, Baia Mare und Sighetu Marmatiei an die Grenze. Ich hatte erwartet, eine längere Autoschlange zu finden, aber vor dem Schlagbaum warten lediglich etwa ein Dutzend Autos. Ich reihe Iron Lady dahinter ein und laufe vor zu dem rumänischen Uniformierten und versuche zu fragen, wie lange ich denn etwa warten müsse. Er, mit einem freundlichen Lächeln gibt mir zu verstehen, ich solle mein Motorrad bis zum Schlagbaum vorholen, in 10 Minuten etwa könne ich weiterfahren. Soviel Glück ist mir schon fast unheimlich, mit schlechtem Gewissen fahre ich an dem Dutzend wartender Autos vorbei bis ganz vorne hin und rechne schon fast damit, gelyncht zu werden, aber dazu haben die Wartenden schon gar keine Zeit mehr, denn kaum hab ich mein Motorrad ausgemacht, darf ich es auch schon wieder anlassen: der Schlagbaum öffnet sich, das Abenteuer Ukraine beginnt.
Die rumänische Seite des Grenzübertritts war der einfache Teil. Jetzt heißt es, ein wenig warten. Aber schon nach 5 Minuten kommt ein Herr in einer anderen Uniform zu mir, sieht sich meinen Pass an, verlangt nach den Fahrzeugpapieren, läuft zweimal um mich herum, füllt einen Zettel aus und gibt mir den Stapel Papiere wieder. Hm. Auf den obersten Zettel hat er mein Kennzeichen geschrieben. Mal sehn, wie das nun weitergeht.
Ich darf 10 Meter weiter bis zu einem kleinen Häuschen und dort reiche ich durch das Fensterchen meinen Papierstapel einem nicht mehr ganz so freundlich wirkenden Mann hinein. Er schiebt mir das ganze gleich wieder zurück. „иммигра́ция формуля́р !!“ verstehe ich….. !? …. Ach so, Immigracja Formular, ich hatte übersehen, dass mir vorher ein Einwanderungsformular in die Hand gedrückt worden ist, und ich hätte das ausfüllen sollen. Gut, ich mache mich an die Beantwortung der üblichen Fragen. Ziel meiner Fahrt? Adresse der Übernachtung? Nun, das weiß ich nicht und lasse das Formular an dieser Stelle leer. Der strenge Herr in Uniform lässt mir das allerdings so nicht durchgehen. Mit seinem dicken Finger deutet er auf das Formular und will wissen, wohin die Reise gehen soll. Gut, ich nenne „L´vov“ als Ziel und darf das auch selbst in das zurückgereichte Formular eintragen. Der unter der Uniformmütze ist aber immer noch nicht mit mir zufrieden. Er besteht auf eine Angabe, wo ich denn übernachten werden. Nur, was soll ich ihm sagen, ich weiß es selbst nicht. In einem Ausbruch überschwänglicher Hilfsbereitschaft schiebt er mir das Formular erneut zu und souffliert „Hotel Ukraine“. Gut, ich hoffe, ich mache nun keinen Fehler, und bestätige schriftlich, dass ich im Hotel Ukraine übernachten werden. Vielleicht kriegt er ja Provision. Nun ist er zufrieden, zieht einen roten Stempel und donnert ihn mit Macht auf den Zettel mit meinem Motorradkennzeichen. Ich atme auf. Ich darf weiter zum nächsten Fensterchen. Ich spüre Schweißtropfen meinen Rücken hinuntertropfen, wegen der Temperatur ist das aber nicht.
Der nächste Uniformierte, die nächsten Fragen: „Name?“. Hm, wird das ein Verhör? Er könnte doch einfach in meinen Pass schauen. Gut, ich bin heute gelöster, guter Stimmung und verrate ihm freundlich meinen Namen. Der Herr in Uniform tippt etwas in seinen Computer. „Vorname?“, „Straße?“ – er tippt wieder. „Motorrad … Marke?“ – nun gut, BMWs wird’s hier nicht so viele geben, ich verrate auch noch die drei Buchstaben als mir ein furchtbarer Gedanke kommt. Der tippt natürlich alles auf kyrillisch in seinen Computer. Deswegen muss er ja auch hören, wie das ausgesprochen wird. Aber was wird passieren, wenn der Grenzbeamte bei der Ausreise etwas ganz anderes hört? Werde ich dann meine „БМЩ“ als „ЩМЪЕ“ wiederkriegen?
Noch während ich nachdenke packt der Uniformierte einen grünen Stempel und knallt ihn zielsicher auf das Zettelchen mit meinem Kennzeichen und einen weiteren in meinen Pass. Ich bekomme Zettelchen, Pass und sogar Fahrzeugpapiere wieder, und seine Handbewegung deute ich so, dass ich weiterfahren darf. War das alles? Unsicher setze ich Helm auf und verstaue die Papiere. Immerhin, ich komme etwa 30 Meter weiter bis zum nächsten Schlagbaum. Dort steht wieder ein Staatsdiener in Uniform und nuschelt etwas von „Papier“. Vorsichtshalber nehme ich erst mal den Helm ab, hole wieder meine Papiere raus und folge ihm in sein kleines Stübchen. Dort steht ein Acrylwürfel, etwa 60x60x60 cm, der ist gut zur Hälfte mit den grün und rot bestempelten Zettelchen gefüllt, und blitzschnell kombiniere ich, ich solle meinen Zettel ebenfalls dazu reinwerfen. Was bleibt mir anderes übrig. Ich vermute, aus den ganzen Zetteln wird einmal wöchentlich ein Fahrzeug gezogen, das dann als Gewinn fürs staatliche Lotto konfisziert wird. Immerhin geht danach zur Belohnung der Schlagbaum hoch. Ich lass mich nicht lange bitten, fahre los, und kann auf die ersten Meter gar nicht glauben, dass ich es so schnell hinter mich gebracht habe: alles in allem vielleicht gerade mal 30 Minuten.
Oberflächlich gesehen unterscheidet sich die Ukraine auf den ersten Blick wenig von Rumänien. Die Landschaft ist gleich, die Häuser und Dörfer sind ähnlich, die Straßen keineswegs zu bemängeln. Vielleicht eher etwas weniger Verkehr und die Autos selbst sind vorwiegend älteren Baujahrs und häufig Ladas. Nur an den Ortschildern und Wegweisern erkennt man, dass man gerade die Grenze zum kyrillischen Schriftraum überschritten hat.
Wenn sich auch am Ende zeigt, dass die Ukrainer im Westen des Landes eben ukrainisch und nicht russisch reden, zahlen sich meine Mühen, in den Wochen vor der Tour mir noch ein paar Grundbegriffe der russischen Sprache anzueignen, tatsächlich aus: Ich kann die Wegweiser und viele Schilder lesen. Dennoch und andererseits: ich hätte mir in den Wochen vor der Tour auch eine Straßenkarte der Ukraine anschaffen sollen, denn hier zeigt sich die gleiche Situation wie in Rumänien: Tankstellen gibt es genug. Benzin ist überall zu kriegen (Mist, was heißt „bleifrei“ auf ukrainisch?). Nur eben keine Straßenkarte. Übrigens – auch das Navi hat Ukraine nicht mehr drauf. Irgendwo ist vielleicht doch Ende der zivilisierten Welt. Für den BMW-Mobilitätsservice übrigens auch, der deckt zwar Europa ab, aber nicht mehr die GUS-Länder, und dazu zählt die Ukraine. Ein defekter Öldruckschalter könnte hier tatsächlich ein Problem werden.
Dann, ich bin schon bestimmt zwei Stunden unterwegs, mache ich in einer kleinen Stadt eine Pause, ich habe hier eine Bank entdeckt, und will mir doch ein wenig ukrainisches Geld eintauschen. Es dauert eine Weile, bis ich drankomme. Meine Hoffnung, ein paar polnische Zloty in ukrainische Grywna zu tauschen wird nicht erfüllt, aber EURO werden bereitwillig getauscht. Nun kanns weitergehen, nun bin ich auch in Landeswährung reich, ein nettes Café allerdings, um meinen neuerworbenen Reichtum zu verprassen, sehe ich nicht.
Dafür Kühe, die über die Straße getrieben werden, neue Kirchen, verlassene Häuser und immer wieder die Hügel und Höhen der ukrainischen Karpaten.
Gelegentlich stehen Polizeifahrzeuge am Straßenrand. Wer beim Fahren die Augen offen hält, weiß das schon Kilometer vorher, denn die ukrainische Kommunikation unter den Autofahrern funktioniert bestens.
Dann werden die Werbetafeln entlang der Straße mehr, der Verkehr dichter und Lvov kommt näher. Leider noch immer völlig ohne Orientierung versuche ich das Stadtzentrum zu treffen und lasse mich mehr oder weniger treiben. Wieder einmal muss gerade rush hour sein, ein Wahnsinnsverkehr. Da ich nicht weiß, wo ich sonst parken soll, parke ich auf dem Gehweg vor irgend einer Behörde. Ganz bestimmt nicht legal, aber ich muss mir mal die Beine vertreten und vielleicht doch noch nach einer Straßenkarte Ausschau halten. Sofort werde ich von einem jungen Mann auf englisch angesprochen, der mir beruhigenderweise rät, mein Motorrad bloß nicht aus den Augen zu lassen oder es wenigstens anzuketten, da es leicht geklaut werden könnte. Na, der macht mir ja Mut. Als ich ihn bitte, mir zu helfen, einen Stadtplan zu finden, fragt er an einem Zeitungskiosk, aber erklärt mir dann, die würden soeben schließen, und da gäb es eben keine Stadtpläne mehr.
Ein Blick um die Ecke, ich stelle fest, ich muss im Zentrum sein, nur, Iron Lady ist dusselig geparkt. Also steige ich wieder auf und fahre 500 Meter weiter durchs Verkehrsgewühl und kann sie dann sicherer abstellen. Gerade noch rechtzeitig, denn – was hätte ich auch anderes erwarten können – in diesem Moment fängt es wieder einmal an, zu regnen. Also erkunde ich Lvov vorerst zu Fuss im Regen.
Der erste Eindruck: nette Fußgängerzone, aber alles etwas sehr grau. Dann bin ich schon am Ende angekommen, drehe mich um und sehe „Готелъ“ an der Hauswand stehen. Das sind die Schriftzeichen für „Hotel“, denke ich, aber Hotel auf russisch heisst doch „гости́ница“? Nun gut, ich gehe hinein um mal nachzufragen. Eine sehr junge Dame sitzt an einem Schreibtisch, ein nicht wirklich älterer junger Herr liegt auf dem Sofa im Empfangsraum. Die junge Dame am Empfang bestätigt auf gutem englisch, dass es ein Hotel ist und dass auch Zimmer frei sind. Sie bietet mir ein Zimmer für 35 € an. Ich überlege nicht lange. Kein Stadtplan, keine Adressen, keine Ahnung ob es einen Campingplatz gibt, Regen …. also gebucht. Das dauert zwar etwas, bis ich mein ganzes Gepäck bis in die fünfte Etage hochgeschleppt hab – einen Lift gibt es nicht in dem Etablissement – das Zimmer ist dann allerdings vom Feinsten. Groß, nobel, ein Grossbildfernseher hängt an der Wand – schade, dass ich keines der Programme verstehe.
Das Mädchen an der Rezeption bietet mir an, das Motorrad im Hof abzustellen. Der junge Mann geht mit mir um den Block und zeigt mir eine schmale Türe, durch die ich Iron Lady schieben soll. Na also, da müssen wir aber vorher noch ein paar Wände versetzen…. Iron Lady bleibt da, wo sie ist, nämlich genau vor dem Hotel. Plötzlich fällt mir auf, dass neben Iron Lady ein VW Käfer Cabrio steht – mit Offenbacher Kennzeichen. So ein Zufall.
Auch das Hotel hat keinen Stadtplan, da sich das Wetter nicht bessert, beschließe ich, zu Fuß die Gegend zu erkunden. Kaum 400 Meter vom Hotel entfernt entdecke ich einen Stadtplan in einem kleinen Laden am Regal an der Wand, ich gehe hinein, ich vermute Selbstbedienung, ich greife nach dem Stadtplan, als ich hinter mir eine keifende Stimme höre „Tak nie mozna, tak nie mozna …!!!“. Ich zucke zurück und sehe im Geist schon die Handschellen um meine Hände klicken. Schnell verstehe ich das Shop im Shop System: Am Tresen werden Lebensmittel verkauft, hier in der Ecke Schreibwaren und Landkarten, nur, die Ecke ist nicht mehr besetzt. Also werden auch keine Landkarten mehr verkauft. Erst später denke ich, ich hätte sie bestechen sollen. Aber in der Situation war ich froh, als freier Mann den Laden verlassen zu können ….
Ich schau mich ein wenig um in L´vov, auf den Häusern und Gebäuden scheint noch der Mehltau der stalinistischen Ära zu liegen, an der Bushaltestelle verkaufen Bäuerinnen Gemüse aus Eimern und Kisten, die Preise sind unglaublich – eine Schachtel Zigaretten für 80 Cent, Wodka in Flaschen für € 1,50,
Die Busfahrer rufen ein Lächeln auf mein Gesicht: das ist allerbeste rumänische Schule. Schließlich gehe ich in ein Restaurant, das nach deren Meinung zu den 8 Besten der Ukraine zählt. Ich weiß, mit meinem Motorradoutfit falle ich wieder einmal unangenehm auf, aber ohne zu zögern werde ich von der Bedienung eine Etage nach unten an einen Tisch geführt, freundlich begrüßt und mir eine Menükarte auf Ukrainisch, Polnisch und Englisch vorgelegt und ich werde wahrlich von der ukrainischen Küche nicht enttäuscht. Für das Essen inclusive Getränke wird umgerechnet 8 Euro kassiert. Ich fühle mich unglaublich wohlhabend. Bevor ich ins Hotel zurückkehre, kaufe ich bei einem der noch offenen Getränkeläden für wenig Geld zwei Dosen ukrainisches Bier. Die eine trinke ich noch vor dem Schlafengehen, die andere … ich leg sie ins Topcase. Ich nehm sie mit nach Hause und will sie meinem Sohn mitbringen.
Wird das gutgehen? Werde ich das Bier heil nach Hause bringen können? Oder erlegt mich der Radarstrahl eines ukrainischen Polizisten noch vor der Grenze? Mehr darüber im vierten und letzten Teil der Karpaten-Saga.
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Da hast du dir ja richtig Mühe gegeben - mit Text und Bildern. War interessant und unterhaltsam. Nun werd ich mich auf die Suche nach den anderen Teilen deines Berichtes machen.